Sprecht trotzdem!

Im April dieses Jahres erschien der Essayband trotzdem sprechen, herausgegeben von Lena Gorelik, Miryam Schellbach und Mirjam Zadoff. Die 17 Beiträge ergeben ein Plädoyer dafür, trotz der Angst und Ungewissheit, trotz unterschiedlicher Hintergründe in den Austausch über den Krieg in Gaza und Israel zu treten. Eine Buchempfehlung von Paddy Lehleiter

Foto: Paddy Lehleiter 

„Welchen Mut, welche Kraft und Toleranz für Ambiguität und Streit können wir, müssen wir aufbringen, um die Logik der Verhärtung zu stoppen?”. Bereits im Vorwort gehen die Herausgeberinnen auf die schwierigen Verhältnisse ein, unter denen dieses notwendige Buch entstanden ist. Vor allem jüdische und palästinensische Menschen haben mehr Angst denn je, eine Meinung zu äußern, die von der eigenen Erfahrung geprägt ist. Am Anfang wird eine Passage aus einem Text zitiert, der kurz vor Veröffentlichung zurückgezogen wurde, weil der*die Autor*in Angst vor den Reaktionen auf das Buch hatte: „Welches Gehör bekäme meine Stimme, wenn ich ein abweichendes Bild von der israelischen Politik und dem militärischen Aktionen zeichne, als das, das dem deutschen Selbstverständnis entspricht?”. 

Die Anthologie erscheint in einem Klima des angstvollen Schweigens und schafft es, dieses zu durchbrechen. Michael Brenner, Professor für jüdische Geschichte und Kultur an der LMU überlegt: „Warum wird in Umfragen zum Nahostkonflikt immer danach gefragt, ob man pro-israelisch oder pro-palästinensisch sei? Muss das eine das andere ausschließen?”. Brenner spricht über die Dringlichkeit, an der Universität Räume für kritischen Diskurs zu schaffen. In seinen Seminaren fordert er Studierende auf, ihm in mindestens drei Punkten zu widersprechen. Als Lehrmaterial nutzt er unter anderem das Buch Side by Side: Parallel Histories of Israel-Palestine, welches die Geschichte des Gebiets und ihre Kernereignisse immer sowohl aus der palästinensischen als auch der israelischen Perspektive beleuchtet. 

Wir

Das „jüdische Wir” in Deutschland fühle sich unsicherer denn je, konstatiert Julia Y. Alfandari, Leiterin für politische Bildung in der Bildungsstätte Anne Frank. Kritisiert wird das scheinheilige „nie wieder”, das aus biodeutschen Mündern erklinge, während Juden*Jüdinnen und Palästinenser*innen gegeneinander ausgespielt würden: „Juden und Jüdinnen zu Kompliz*innen für rechte Politik zu machen, entzieht sich jeglicher historischer Verantwortung und instrumentalisiert sie für eine Rechtfertigung undemokratischer Emotionen”, so Alfandari. Auch Carolin Emcke, deutsche Autorin und Publizistin, unterstreicht, dass es Rechtsextremist*innen in die Karten spielt, wenn wir nicht gegen diese Tendenz im Diskurs vorgehen: „Die AfD sitzt auf den Tribünen des traurigen Spektakels und labt sich lustvoll am Ausspielen von rassistischen gegen antisemitische Ressentiments”: Die Rechts-und Islamwissenschaftlerin Nahed Samour sieht die Antwort auf diese Instrumentalisierung in der „Bildung einer jüdisch-muslimischen Leitkultur”. Nie war der Zusammenhalt wichtiger als heute, und die Texte bilden ein Plädoyer für Freund*innenschaften im Kampf gegen ein falsches Bild der Unversöhnlichen. 

Allianzen

Der zentrale Aspekt in vielen der Texte ist ein hoffnungsvoller: Allianzen. Vor allem israelisch-palästinänsiche Allianzen werden beleuchtet. Von Erinnerungen des friedlichen und freundschaftlichen Zusammenlebens in Palästina und Israel nach der Staatsbildung erzählt Nazih Musharbash. Der SPD-Politiker beschreibt die Gefahr der Polarisierung, die die Gesellschaft noch mehr spaltet, als sie ohnehin schon ist und beschreibt den „Generalverdacht”, den weiße Deutsche gegenüber Palästinenser*innen und Muslim*innen hegen. Alle Autor*innen, ob weiß, jüdisch, iranisch oder muslimisch, unterstreichen in ihren Beiträgen, wie wichtig es ist, dass wir uns alle gegenseitig als Menschen mit mannigfaltigen Erfahrungen und Positionalitäten wahrnehmen, und nicht aufgrund einer einzigen Aussage als Repräsentant*innen einer bestimmten Ideologie. Eine solche Simplifizierung in zwei Lager ist gefährlich und es muss wieder Raum für komplizierte Standpunkte geben.

Verstehen statt Verhärtung 

In einer Zeit, in der der Diskurs ohne Polarisierung unmöglich scheint und es statt Verständnis nur zu Verhärtungen der Fronten kommt, braucht es das Zusammenbringen verschiedener Perspektiven und das Aushalten von Ambiguitäten. Trotzdem sprechen ist ein Anfang für dieses Zusammenkommen. Für das Buch spricht vor allem das Beieinandersein jüdischer und muslimischer Perspektiven. Die Autor*innen finden harte Worte gegen den Rassismus einerseits und den Antisemitismus andererseits, stehen sich aber beiseite im Kampf gegen die deutsche Dominanzgesellschaft. 

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