Forschende der FU und Charité Berlin haben eine neue Strategie gegen den weltweit häufigsten Virulenzfaktor von Lungenentzündungen veröffentlicht. Im Kampf gegen steigende Antibiotikaresistenzen könnten Pathoblocker eine neue Hoffnung darstellen. Ein Bericht von Lara Ziegler.
Wer sich eine bakterielle Infektion einfängt, wird in der Arztpraxis oder im Krankenhaus mit Antibiotika behandelt – eine Garantie für die erfolgreiche Bekämpfung des Erregers ist dies jedoch nicht. Es besteht ein verbissenes Wettrennen zwischen der modernen Medizin und mutierenden Pathogenen, die stetig neue Resistenzen entwickeln. Zudem gibt es einen weiteren Faktor, der erfolgreiche Behandlungen erheblich erschwert: Einige Bakterien können während des Infektes Toxine absondern, die den Körper schädigen. Lungenentzündungen der Variante Streptococcus pneumoniae fordern weltweit jährlich etwa zwei Millionen Tote, wobei besonders Säuglinge und ältere Menschen betroffen sind. Auslöser dieser Todesfälle ist das Zellgift Pneumolysin der Pneumokokken. Das zentrale Problem hierbei: Es lässt sich, wie die meisten Zellgifte, nicht mit klassischen Antibiotika behandeln.
Die Zellgiftstrategie
Pneumolysin (PLY) ist ein Zellgift des Bakteriums S. pneumoniae, bekannt als Pneumokokken. Zellgifte wirken, wie der Name schon sagt, direkt an den Zellen ihres Wirts. Sie schädigen diese und können durch ihre Zerstörung zum Zelltod führen.
Bei PLY handelt es sich spezifisch um ein porenbildendes Protein, welches die äußere Membran einer Wirtszelle angreift. Es verankert sich mit einer speziellen Bindungsstelle an das Cholesterin der Zellmembran und sorgt dort für die Entstehung von Poren. Hierzu verbindet es sich an einer zweiten Bindestelle (Oligomerisationsdomäne) mit anderen PLY Proteinen und bildet einen ringförmigen Porencomplex (siehe Abb. 1). Die Zerstörung der Membran führt schließlich zur kompletten Auflösung der Zelle. Während einer Infektion mit Pneumokokken werden primär Erythrozyten (rote Blutkörperchen) und Alveolozyten (die Zellen der Lungenbläschen) angegriffen. Die Folgen sind Hämolyse, ein geschädigtes Lungengewebe und ein stark aktiviertes Immunsystem, was die typischen Symptome der Lungenentzündung hervorruft. Das Zellgift wird durch selbstinduzierte Auflösung des Bakteriums nach der Infektion freigesetzt. Und genau hier liegt das Problem: PLY ist besonders nach dem Absterben der Bakterienzelle aktiv und lässt sich folglich nicht mit klassischen Antibiotika bekämpfen. Gerade das Abtöten der Bakterien beschleunigt die Freisetzung des Zellgiftes. Deshalb können Lungenentzündungen so hartnäckig und gefährlich sein.
Die neue Gegenstrategie: Pathoblocker
Im April 2024 veröffentlichten Forschende der FU und der Charité Berlin eine Studie im Forschungsjournal Nature Communications zu ihrer Entwicklung von neuen potentiellen Schutzstoffen gegen den weltweit häufigsten Erreger von Lungenentzündungen. Bei denen von Prof. Rademanns Forschungsgruppe entwickelten Pathoblockern handelt es sich um kleine Moleküle, die als spezifische Inhibitoren wirken. Ihr Grundprinzip liegt nicht darin, die Bakterienzelle zu attackieren, sondern gezielt das Pneumolysin auszuschalten. Dies gelingt durch direkte Bindung an das PLY, genauer gesagt an die Cholesterinbindungsstelle der Proteine. Somit wird die Verankerung in der Zellmembran unterbunden und die Zelle vor der Zerstörung geschützt. Bei Experimenten mit mutierten PLY-Typen ohne diese Bindungsstelle erfolgte keine Inhibition durch die Pathoblocker, wodurch dieser Bindungsmechanismus bestätigt wurde. Im Labor wurden drei verschiedene Versionen der Blocker entwickelt und stufenweise optimiert. Das finale Molekül PB-3 zeigte eine hohe chemische Stabilität und Löslichkeit. Zudem schützte es das Lungengewebe zu 95% vor PLY-induziertem Zelltod.
Hoffnung für die Medizin
Aktuell gibt es schlicht keine zugelassenen Medikamente, welche die Effekte des Pneumolysins gezielt und ohne Nebenwirkungen bekämpfen. Die neu entwickelten Pathoblocker sind spezifische und stabile Moleküle, die eine wirksame Strategie gegen einen der Haupt-Virulenzfaktoren von Lungenentzündungen darstellen. Laut der Studie sollten sie zudem auch auf homologe Zellgifte anwendbar sein, die über dieselbe spezifische Bindungsstelle verfügen. Sie könnten somit auch gegen andere bakterielle Erreger wirken. Die Pathoblocker bieten somit eine vielversprechende Grundlage für weitere Studien und die Entwicklung von Medikamenten gegen bakterielle Infektionen. In Zukunft könnten diese eine ergänzende Behandlungsmöglichkeit zu Antibiotika oder sogar deren Ersatz darstellen.