Pride Month an der FU: Historiker*innen kamen aus aller Welt, um sich über Themen der queeren Geschichte auszutauschen. Regina-Marie Roßbach über das performative Hissen der Regenbogenflagge und Raum für queere Wissenschaft.
„Die Freie Universität möchte ein diskriminierungsfreier Ort für alle Studierenden und Beschäftigten sein“, so heißt es auf der Website der FU, um die Veranstaltung „Queer Contemporary Histories – International and Intersectional Perspectives“. Die Tagung im Henry-Ford Bau am ersten und zweiten Juli solle dazu dienen, queerer Geschichte Raum zu geben, sie von unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten und den Horizont der Forschung der FU, die sich hauptsächlich auf den deutschen Raum beschränkt, zu erweitern. Hierzu wurden Historiker*innen aus der ganzen Welt eingeladen, ihre Forschungen und Ergebnisse zu teilen. „This Conference is a visible sign for emanzipation of queer life”, stellt der Historiker Markus Lücke vom Friedrich-Meinecke-Institut der FU fest. Bei dem wissenschaftlichen Austausch, organisiert vom Forschungsnetzwerk „Queere Zeitgeschichten“ der FU, reichten die Themen von Kunst und Kultur über Aktivismus und Protest zu Politik und Machtstrukturen.
Das Forschungsnetzwerk „Queere Zeitgeschichten“ besteht seit drei Jahren an der FU. Es untersucht die in der Geschichtswissenschaft bisher kaum wahrgenommene Bedeutung queerer Menschen in der kontemporären Geschichte. Die Forschung soll neue Perspektiven ermöglichen und den Stellenwert nicht-normativer Sexualitäten und Geschlechter für die Produktion sexueller Normen untersuchen. Geleitet wird das Projekt von Benno Gammerl (Europäisches Hochschulinstitut Florenz), Andrea Rottmann und Martin Lücke (beide Freie Universität Berlin). Ziel ist die Veröffentlichung eines dreibändigen Handbuchs, um Perspektiven für die zukünftige Forschung queerer Geschichte aufzuzeigen.
Perspektiven aus aller Welt
„This is an opportunity to share something that is close to me, that is close to my heart”, beginnt Kukasina Kubana, eine Forscherin der Universität Hamburg, ihren Vortrag. Sie berichtet von den queeren Menschen in Patani, einer primär muslimischen Gesellschaft im Süden Thailands. Sie erzählt von einer Minderheit, die sich lange verstecken musste und dies häufig immer noch muss. Eine Minderheit, die langsam aus dem Schatten tritt und sich durch Filme und Bücher repräsentieren kann.
Jacob Bloomfield von der Universität Koblenz berichtet von der Entwicklung des Drags in Großbritannien. Er bringt einen neuen Blickwinkel auf die Kunstform und erzählt, dass Drag nicht immer so existiert habe, sondern im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hauptsächlich als amüsante Unterhaltungsform galt, die von heterosexuellen Männern vorgetragen wurde. Mit der Aussage „Drag is a queer art form, but it is also so many other things”, schließt Bloomfield seinen Vortag.
Andere Historiker*innen erzählen von dem Einfluss des Tanzes auf die Entwicklung der Gender Studies in Portugal, von lesbischen Frauenbewegungen in Kanada, vom Einfluss des Kapitalismus auf die Queeren-Bewegung in Polen und vielem mehr. Insgesamt wurden in fünf Panels 16 verschiedene Themen präsentiert, die sich mit queerer Geschichte in fast 10 verschiedenen Ländern befasst haben.
Das Hissen der Regenbogenflagge
Zum Abschluss der Tagung soll ein Zeichen gesetzt werden. Vor dem Henry-Ford-Bau wird gemeinsam mit den Teilnehmer*innen der Tagung, Universitätspräsident Günter Ziegler, der Vize-Präsidentin Verena Blechinger-Talcott, dem Berliner Bündnis gegen Homophobie und Vertreter*innen des Queer Staff Networks der FU, die Regenbogenflagge gehisst. „This is a visible sign for tolerance and diversitity“, deklariert Blechinger-Talcott. Die Flagge wird jährlich anlässlich des Pride Months an der Universität gehisst. In diesem Jahr wurde zum ersten Mal die Inter* Inclusive Pride Flag gehisst. Sie repräsentiert auch intergeschlechtliche und nicht binäre Personen sowie trans* Personen und BIPoc (Black, Indigenous, People of Color).
Pride immer nur zum Pride Month?
„It is more than just a symbolic act, it is an important sign of our university”, sagt die Vize-Präsidentin der FU abschließend. Aber dennoch schmückt die Flagge den Henry-Ford-Bau immer nur für einen Monat des Jahres. Das „feierliche Hissen“ der Flagge mit großem Tamm-Tamm, Sekt und Champagner, die Fototirade währenddessen: All das lässt die Flagge und damit ihre Bedeutung für die Universität eben doch als symbolischen Akt wirken. Das Hissen der Flagge wirkt performativ: ‚Es ist Pride Month, also müssen wir jetzt ein Zeichen setzen‘.
Die Tagung war ein voller Erfolg und unglaublich lehrreich für alle Anwesenden. Solche Veranstaltungen der Universität sollten sich nicht auf einen Monat im Jahr beschränken. Es ist wichtig, dieses Thema im täglichen Diskurs zu halten und immer wieder darauf aufmerksam zu machen, und zwar an jedem der 365 Tage im Jahr. Man sollte die Flagge also das ganz Jahr lang hängen lassen und die Arbeit, die in sich immer wiederholende Reden gesteckt wird, in die weitere Aufarbeitung und Weiterbildung von Studierenden und Lehrenden der Uni investieren. Es können an der Universität noch viele weitere Möglichkeiten des Lernens und des Austauschs über die Diskriminierung, Internationalität und Intersektionalität geschaffen werden. Denn anders als die Universitäts-Website es sagt, möchte die Freie Universität nicht „ein diskriminierungsfreier Ort für alle Studierenden und Beschäftigten SEIN“, sondern befindet sich immer noch auf dem Weg dahin, so ein Ort zu WERDEN.