Der brasilianische Rechtswissenschaftler Mercelo Neves stellt in seinem Vortrag an der FU das Konzept der Transdemocracy vor. Ein Ansatz, der die globalen Herausforderungen wie Klimawandel, Menschenrechte und Migration mit einer staatsübergreifenden Idee von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angeht, schlussfolgert Enya Denzel.
Demokratia ist nicht Demokratie
Unsere heutige Demokratie unterscheidet sich sehr von dem griechischen Vorbild, stellt Neves zum Einstieg seines Vortrags klar. Denn in der Antike bestand die Demokratie, anders als heute, nur innerhalb der Polis, kleinen autarken Städten. Dort durften nur wohlhabende Männer wählen oder gewählt werden. Frauen und Sklaven wurden strukturell von Wahlen ausgeschlossen.
Heutige Demokratien sind auch nicht so rosig
Die Idee heutiger Demokratien ist, dass die Macht vom Volk ausgeht und die Handlungen der Staatsführung legitimiert sein müssen. Die Staaten heutzutage sind, im Gegensatz zu griechischen Polis, nicht autark, sondern globalisiert, erklärt Marcelo Neves seiner kleinen Zuhörer*innenschaft. Das führt dazu, dass demokratische Staaten nicht nur innerhalb ihrer Grenzen, sondern in einer Weltgesellschaft agieren. Handlungen von Staaten betreffen daher oftmals nicht nur die eigene Bevölkerung, sondern auch die Bevölkerung anderer Staaten. Die Handlungen, z.B. klimapolitische Entscheidungen, sind also nicht immer von denen legitimiert, die sie betreffen, darin sieht Marcelo Neves eine Paradoxie.
Hinzu kommt, dass die westlichen Demokratien entstehen konnten und weiter bestehen können, weil sie Probleme in den Globalen Süden auslagerten, durch Imperialismus und Kolonialismus – und das heute zum Teil immer noch tun. Dort halten die westlichen Staaten ihre selbst festgelegten, demokratischen Werte und Menschenrechte meistens nicht ein. Diese ausgelagerten Probleme bleiben aber nicht im Globalen Süden, Neves nennt das während seines Vortrags salopp „the garbage turns back without recycling“. Gemeint ist damit, dass bestimmte Handlungen erstmal den Menschen im Globalen Süden schaden, die Folgen der Handlungen die westlichen Staaten aber irgendwann wieder einholen, z.B. durch den Klimawandel bedingte Flüchtlingsströme und damit einhergehende Probleme.
Transdemocracy als Lösungsansatz globaler Herausforderungen
Als Lösung sieht Neves das Konzept der Transdemocracy. Das ist eine Idee der Demokratie, die über Staatsgrenzen hinausgehen soll. Es soll die traditionelle Souveränität überwinden – durch mehr Zusammenarbeit in Bezug auf Recht und Organisation. Ein gemeinsames Weltrecht und eine entsprechende Rechtsprechung würden alle Staaten rechtlich binden und dazu führen, dass demokratische Standards und Menschenrechte eingehalten werden müssen.
Aus „we are the people” wird „we are the peoples”.
Rechtswissenschaftler Mercelo Neves
Er bekräftigt, dass es eine nachhaltige Demokratie braucht. Nachhaltigkeit sowohl im Sinne einer beständigen Demokratie, als auch im ökologischen Sinne. Demokratische Entscheidungen müssen Menschen einbeziehen, die davon betroffen sind. Besonders betont Neves die Einbeziehung von Indigenen und Minderheiten, da diese bislang besonders wenig an solchen Prozessen teilhaben. Die Idee ist also, dass nicht nur an die eigenen Interessen gedacht werden soll, sondern an die Interessen aller. Aus „we are the people” wird „we are the peoples”.
Auf Nachfrage aus dem Publikum stellt Neves klar, dass das nicht die Auflösung von Nationalstaaten bedeuten soll, da die Menschen ein Gemeinschaftsgefühl durch gemeinsame Kultur, Erfahrungen und Sprache haben. Es sei aber unheimlich wichtig, dass unterschiedliche Lebensweisen akzeptiert und geschützt werden – laut Neves am besten durch eine Transdemocracy.