AfD-Parteitag in Essen: Blickwinkel Blockade

 Sticker mit dem Logo von „Widersetzen“ auf der Weste einer*s Demonstrant*in. Foto: Olivia R. Warkus

Ende Juli fand der AfD-Parteitag in der Grugahalle in Essen statt. Es gab mehrere angemeldete Veranstaltungen sowie zivilen Ungehorsam in Form von Blockaden. Olivia R. Warkus war bei einer der sieben Blockaden innerhalb des Sperrgebietes dabei und berichtet von ihren Erlebnissen. 

Es ist 4.30 Uhr. Der Bus wird langsamer. Vom unteren Teil des Busses bemerkt man Aufregung. Es gibt mehrere Durchsagen: „Keine spitzen Gegenstände mitnehmen!“, „Zieht die Warnwesten an!“ und „Wenn euch jemand fragt, wollen wir zur angemeldeten Kundgebung an der Florastraße!“. Auch auf den Ermittlungsausschuss (EA) wird erneut hingewiesen. Sie stehen mit Anwält*innen in Kontakt, die im Falle einer Verhaftung durch den EA vermittelt werden können. Dafür haben sich die Demonstrant*innen zuvor eine EA-Nummer von der zuständigen Website generieren lassen, welche sie anstelle des Namens nennen können. Diese schmückt nun gemeinsam mit der Telefonnummer des EAs die Beine oder Arme der meisten.

Alle machen sich bereit. Kleidung wird gewechselt und letzte Sachen umgepackt. Dann: Ruhe. Diese klischeehafte Ruhe vor dem Sturm. Die Stille wird von dem Gesang zweier Männer aus dem hinteren Teil des Busses durchbrochen. Sie singen „Bella Ciao“ und „Drei Rote Pfiffe“.  Andere steigen in den Gesang ein. Doch dann hält der Bus vor einer Kreuzung. Alle steigen aus. Vor und hinter ihnen weitere Busse. Die Bezugsgruppen, die sie im vorbereitenden Training gebildet hatten, sammeln sich. Dann geht es los. Wohin genau, wissen nur wenige. Zu Beginn noch im normalen Schritttempo, doch sobald die erste Baustellenabsperrung von Demonstrierenden geöffnet wird, wird es hektischer. 

Hand in Hand durch das Sperrgebiet

Die Gruppe, bestehend aus ca. 400 Menschen, rennt. Ab jetzt befinden sie sich im Sperrgebiet. Personen halten sich an den Händen, um sich nicht zu verlieren. Polizist*innen in Vollmontur und Helmen versuchen, sie aufzuhalten. Dabei laufen sie durch die Masse, doch ohne Erfolg. Nachdem die Gruppe sich wieder sammelt, geht es in normalem Schritttempo weiter. Von Anfang an werden Lieder und Chöre angestimmt, dabei kennt kaum einer die Personen um sich. Trotzdem sind Zusammenhalt und Vertrauen spürbar.

Dann herrscht wieder Hektik. Teile der Gruppe verlieren den Anschluss. Viele rennen, um aufzuholen. Eines ist allen klar: Wenn die Gruppe sich teilt, könnte die Polizei sie trennen. Stark sind die Demonstrant*innen vor allem in der Masse. Der Vormarsch wird durch eine Polizeiabsperrung gestoppt. Vor ihnen befinden sich Polizeigitter, zwei Mannschaftswagen und einige Polizist*innen mit Helmen.

Weiter oder bleiben und blockieren?

Es wird ein erstes Treffen der Delegierten der verschiedenen Bezugsgruppen einberufen. Bei ihnen handelt es sich um jeweils eine Vertretung aus der Bezugsgruppe. Sie kommuniziert zwischen der eigenen Bezugsgruppe und anderen Bezugsgruppen bei sogenannten Delegierten-Treffen. Die Fragen: Wie wird weiter verfahren? Sollen wir versuchen weiter zu kommen oder bleiben und blockieren? Es gibt außerdem erste Infos von außen. Diese Gruppe ist entgegen den Erwartungen der anderen am weitesten bis zur Halle vorgedrungen und befindet sich am tiefsten im Sperrgebiet. Einige sprechen sich dafür aus, noch näher heran zu gehen, andere haben Sorge, in Gewahrsam zu kommen. Bisher tragen die Polizist*innen zwar ihre komplette Ausrüstung und haben auch ihre Helme auf, zu Konfrontationen kam es bisher nicht. Keiner von ihnen hat bis dato mit jemandem aus der Gruppe gesprochen. Die erste Entscheidung ist getroffen: Vorerst soll blockiert werden, bis mehr Informationen von anderen Gruppen durchgedrungen sind.

Ein*e Demonstrant*in verliest selbstgeschriebene Texte. Die anderen sitzen und hören zu. Es wird passend zu den Inhalten entweder gebuht, wenn es um Diskriminierungserfahrungen geht, oder gejubelt, wenn hoffnungsvolle Passagen vorgetragen werden. Danach gibt es immer wieder Gesang und Rufe wie „Ob Ost, ob West – nieder mit der Nazi-Pest“. Die Presse trifft ein, macht Fotos und fragt, ob jemand ein Interview geben würde. Viele sind das erste Mal bei einer Blockade dabei. Keiner möchte die Fragen der Journalist*innen beantworten. Es finden weitere Treffen der Delegierten statt. Einige hätten sich in der Umgebung umgesehen und eine Möglichkeit gefunden, hinter die Absperrung zu gelangen. Eine kleine Gruppe teilt sich ab und versucht es. Es lässt sich nur vermuten, dass sie nicht erfolgreich war. Ein Mann, dessen Auge und Wange rot angeschwollen sind, läuft an der Blockade entlang. Es gibt Vermutungen, dass die Verletzungen von einem Schlagstock stammen. Bestätigt werden konnte dies nicht.

Polizist*innen passieren die Blockade in Vollmontur. Foto: Lars Kerkhoff

Erste negative Nachrichten erreichen die Blockade. Die erste Gruppe wurde von der Polizei eingekesselt. Zuvor wurde sie mit Pfefferspray und Schlagstöcken zurückgedrängt. An unserer Blockade ist es bisher nicht zu Auseinandersetzungen gekommen. Die Polizist*innen haben inzwischen ihre Helme abgenommen. Immer wieder kommt Unmut auf, dass die Blockade keine Fortschritte mache, scheinbar nicht genug bewirke. Ab 7.00 Uhr spalten sich immer wieder Gruppen ab. Sie versuchen, andere Blockaden zu unterstützen oder neue aufzubauen. Die Verbleibenden sorgen sich: Was, wenn es zu wenige werden und die Polizei die illegale Versammlung auflöst? „Eigentlich könnten wir sie alle in Gewahrsam nehmen!“, sagt ein*e Polizist*in zu einer anderen Person der Polizei. Eine offizielle Ansage gibt es nicht.

Erste Menschen kommen auf die Blockade zu: Potenzielle Besucher*innen des Parteitages. Immer wieder die Frage, ob man es jemandem ansehen würde, dass er oder sie die AfD unterstützt. Jedes Mal, wenn Personen kommen, werden Chöre angestimmt. „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda! Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda!“ Die meisten drehen um oder biegen ab. Wer auf die Gruppe zukommt,  wird von anderen Demonstrant*innen gefragt, wo sie hinmöchten. Wer doch näher an die Blockade gelangt, ist meist Anwohner*in oder von der Presse.

Lonsdale und Alpha Industries Shirts

Eine Dreiergruppe verlässt die Blockade, um bei einer Bäckerei auf die Toilette zu gehen. Die Westen behalten sie an, andere zuvor zogen sie aus. Die Sorge, von der Polizei herausgezogen zu werden, ist zu groß. Die Straßen wirken wie aus einer Geisterstadt. Nur vereinzelt sind Passant*innen zu sehen. Und dann drei Männer mit Lonsdale und Alpha Industries Shirts. Beides sind Marken, die bei Neonazis beliebt sind. Das wirkt an einem Tag wie diesem nicht wie ein Zufall. In der Bäckerei trifft die Dreiergruppe auf andere Demonstrant*innen. Man redet kurz über ihre und die eigenen Erlebnisse. Eine junge Frau war bei einem Einsatz der Polizei dabei, bei dem auch Pfefferspray eingesetzt wurde. Sie ist unversehrt, erzählt aber, wie der Anblick der Verletzten sie erschütterte. Es ist surreal, wie alltäglich die immer wieder aufkommenden Gespräche über Polizeigewalt an anderen Blockaden an diesem Tag wirken. Dann zurück zur Blockade.

Es gibt einen ersten sichtbaren Erfolg: 10 Uhr und laut Live-Schaltung von Phoenix ist die Halle noch so gut wie leer. Einige jubeln und lächeln. Es werden im Internet Bilder gesucht, nachdem es Meldungen gab, dass AfD-Politiker*innen über Polizeigitter klettern mussten. Sie wirken wie Beweise für den Erfolg. Zudem kursieren Gerüchte, der Parteitag solle sogar auf 12 Uhr verschoben werden. Doch um 10.30 Uhr wird diese Hoffnung wieder getrübt. Der Parteitag beginnt und der Saal wirkt voller.

Die letzte Stunde der Blockade

Die Motivation sinkt sichtlich und die Energie ist durch die pralle Sonne, die seit Stunden auf die Demonstrant*innen scheint, immer mehr getrübt. Viele sitzen oder liegen auf dem Boden. Die Blockade wirkt immer mehr wie ein Picknick als ein Protest. Auch die Blockade einige hundert Meter weiter hat damit zu kämpfen. Die Gruppe versucht, Personen zu ihnen zu schicken, um sie zu unterstützen. Doch auch das kann die Stimmung nicht heben. Die letzte Idee: Gesänge! Sie sind nur noch 100 Leute, doch es ist so laut und schallt durch die Straßen, als wären sie noch immer 400, wie zu Beginn.

11.30 Uhr fällt die Entscheidung, gemeinsam mit der anderen Blockade Richtung Kundgebung zu laufen. An der Alfredstraße angekommen, passieren sie unzählige Mannschaftswagen. Sie halten ihr Banner und rufen: „Wo? Wo? Wo wart ihr in Hanau?“. Die Energie wirkt so frisch wie am Morgen. Wut ist spürbar, aber auch Stolz, nach dem, was sie an diesem Tag geleistet haben. Begrüßt werden die Demonstrant*innen an der Kundgebung mit lautem Jubel. Sofort kommen Menschen, die Getränke und Essen anbieten. Wenn der 29.06.2024 eines zeigen konnte, dann das: Wir sind nicht allein!

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