PALÄSTINA, ISRAEL UND DIE FU: STIMMEN VOM CAMPUS

Die letzten Monate waren bewegte Zeiten für alle Mitglieder der FU. Denn die Debatte zur Lage in Palästina und Israel wurde auch am Campus ausgetragen. Was ist also passiert und was denken die Menschen an der FU darüber?

Seit dem 7. Oktober und der erneuten Eskalation des Konflikts zwischen Israel und Palästina gehören Proteste an der FU zur Tagesordnung. Ebenso deren Begleiterscheinungen: zum Beispiel ein hohes Polizei- und Medienaufgebot am Campus. Doch auch wenn die Menge der Proteste und die Berichterstattung es anders vermuten lassen – der Großteil der 33.500 Studierenden beteiligt sich nicht an den Aktionen und dem Diskurs: Sie essen in der Mensa und gehen dann zum nächsten Seminar. Dagegen implizieren die Schlagzeilen in den Leitmedien, die ganze FU sei einer Meinung. Der Spiegel titelt: »Hass gegen Juden – was ist los an der Freien Universität?«. »Uni der Angst« und »Universitäter«, schreibt die BILD.

Die Titel lassen Zustände an der FU erwarten, die nicht auf alle Protestierenden, geschweige denn auf die gesamte Studierendenschaft zutreffen. In den meisten Berichten kommen oftmals nur wenige FU-Mitglieder zu Wort. Dabei gibt es viele Stimmen, die sich auf Anfrage der FURIOS melden.
Was haben Menschen am FU-Campus zu sagen?

Lars Kerkhoff engagiert sich bei der Hochschulgruppe Campusgrün und der Fachschaftsinitiative Politik FSI OSI. Er bezeichnet sich selbst als solidarisch mit der palästinensischen Zivilbevölkerung, dennoch nimmt er am Campus vor allem an israelsolidarischen Demonstrationen teil. Manche Äußerungen, die auf Palästina-Aktionen gefallen seien, könne er nicht mittragen, erklärt er – etwa den Aufruf zur Intifada, den er als antisemitisch und Aufruf zur Gewalt verstehe. Lars erzählt: »Mir wurde am gleichen Tag vorgeworfen, ein Genozidunterstützer und ein Antisemit zu sein – für die gleiche Position«. Keine der beiden »Seiten« verhalte sich diskursfördernd.

»Die Erwartung, dass es die eine Definition von Antisemitismus gäbe, ist ganz sicher falsch.«

An der FU besteht Uneinigkeit darüber, was Antisemitismus eigentlich bedeutet. »Es hätte gemeinsam über Definitionen von Antisemitismus gesprochen werden müssen«, räumt das Präsidium im Interview mit FURIOS ein. Klaus Holz ist Antisemitismusforscher und hielt am 5. Juni einen Vortrag an der FU; er sagt: »Die Erwartung, dass es die eine Definition von Antisemitismus gäbe, ist ganz sicher falsch.« Außerdem sei es nie möglich, durch eine Definition Probleme zu lösen.

»Hat die Freie Universität ein Antisemitismusproblem?« wird Universitätspräsident Günter Ziegler in den Tagesthemen, einen Tag nach der Hörsaalbesetzung, gefragt. Ziegler betont daraufhin die Illegalität der Hörsaalbesetzung und spricht von einem »externen Problem«. Stefan Petri, Leiter der Psychologischen Beratung an der FU, meint: »Es gibt jüdische Studieninteressierte, die sich fragen: Ist mir die Situation an der FU noch geheuer? Das sind zwar Einzelfälle, aber das gab es davor nicht.« Auch die Medien spielten bei dem Unsicherheitsgefühl der Studierenden eine große Rolle, meint Petri.


Neben Beratungsangeboten versucht die Universität aktuell auch, neue Bildungsangebote zu schaffen. Dazu gehören etwa Workshops und Vorträge zu Antisemitismus und antimuslimischem Rassismus. Petri bewertet diese positiv: »Das war das Beste, was die Uni in so kurzer Zeit tun konnte.« Die Angebote sind derzeit sehr gefragt. Holz wünscht sich, dass die Problematik des Antisemitismus auch »in den Alltag des Lehrbetriebs sickert und nicht immer nur in einem spezifischen Antisemitismusseminar behandelt wird.«

»Die Uni hat gezeigt, dass es keinen Raum für palästinasolidarische Stimmen gibt, warum sollte das bei den Workshops anders sein?«

Luis engagiert sich sowohl beim Palästina Komitee als auch bei Waffen der Kritik. Er ist den Workshops gegenüber skeptisch eingestellt: »Die Uni hat gezeigt, dass es keinen Raum für palästinasolidarische Stimmen gibt, warum sollte das bei den Workshops anders sein?« Auch die Diskussion über die Wiedereinführung des Ordnungsrechts könnte das Vertrauen der Studierendenschaft in die Universitätsleitung weiter verringern. FU-Vize-präsident Sven Chojnacki räumt ein: »Das Risiko besteht, dass Studierende dadurch unpolitischer werden.« Gleichzeitig beobachtet Luis auch: »Im Zuge des
Protestcamps hat eine große Politisierung der Studis stattgefunden. Es gibt jetzt eine neue Dynamik.«


Eine Studentin der FU, die anonym bleiben möchte, ist in keiner der verschiedenen Hochschulgruppen organisiert. Was die Lage in Nahost angeht, fühle sie sich manchmal in Diskussionen eingeschüchtert. Zu sagen: ›Hey, dazu weiß ich nicht so viel‹ koste sie viel Überwindung. Sie erzählt, dass das Thema in ihrem Universitätsalltag nicht so präsent sei, wie es die Medien vermuten lassen. Mit Ausnahme des 7. Mai: »Ich saß in der Mensa, als die Polizei angefangen hat, alles abzuriegeln«. Zwar gab es schon davor Polizei am Campus, doch markiert die Räumung des Palästina-Protestcamps im Mai für einige FU-Mitglieder eine Zäsur. Die Studentin findet: »Die FU ist auch mein Ort. Ich dachte, die Uni steht zu uns, nicht gegen uns.«


Robin Celikates ist Wissenschaftler für Protest und Demokratie an der FU und hat den offenen Brief der Dozierenden unterschrieben, der die Räumung des Camps verurteilt. Er ist ebenso wie viele andere Dozierende später namentlich in einem BILD-Artikel aufgetaucht. Dass die BILD Hetze betreibe, habe Celikates nicht überrascht, doch dass die Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger sich so kritisch gegenüber dem offenen Brief äußere, bedeute einen ernsthaften Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit. Celikates findet es zudem problematisch, präventiv die Polizei zu rufen. Es sei zu keinerlei Straftaten gekommen, bevor die Polizei benachrichtigt wurde. Dieses generelle Ausschließen von Besetzungen als Protestform sei kritisch zu sehen, so Celikates.

FU-Vizepräsidentin Verena Blechinger-Talcott äußert sich dazu gegenüber FURIOS: »Wenn Studierende Zelte mitnehmen, dann richten sie sich ein länger zu bleiben und das sehe ich auch als Akt der Gewalt an.« Die Vitrinen im Präsidiumshaus erinnern im Gegensatz dazu an die von Besetzungen geprägte Geschichte der FU.

Auch Omar Kasmani ist Dozent an der FU, hat den offenen Brief unterschrieben und ist in der Namensliste der BILD aufgetaucht. Er kritisiert: »Lecturers who don‘t have a permanent contract, often persons of color, are the ones who speak up«. Für Kasmani steht fest: »Students can perhaps expect support from lecturers, but not leadership. The moral clarity comes from the students.«

Erdal Yilmaz ist Student an der FU und engagiert sich politisch für Palästina. Die Reaktion der Dozierenden sei für ihn eine Erleichterung gewesen, erzählt er. Erdal findet: »They don’t have to support all the demands of the students. What we need now is unity and collaboration with the lecturers.« Nach der Räumung des Protestcamps scheinen die Dozierenden und Studierenden ein Stück enger zusammengerückt zu sein.

Die Menge der unterschiedlichen Stimmen belegt: Viele Menschen an der FU haben Redebedarf, über das, was in den letzten Monaten passiert ist. Für einen gemeinsamen Austausch werden nun neue Räume geöffnet, unter anderem in Seminaren. Vielleicht werden wir als Zugehörige der FU in diesen Räumen merken, dass es sich lohnt, einander zuzuhören – trotz der Berichterstattung, die häufig nur die Polarisierung verstärkt. Immerhin reden nun alle von »Dialog«. Doch geht es nur darum, sich als dialogoffen zu inszenieren? Werden Personen nicht trotzdem vorschnell in eine Schublade einsortiert, weil sie sich einer bestimmten Ausdrucksweise bedienen? Für einen gesünderen Diskurs an der FU ist es zentral, Meinungsunterschiede auch auszuhalten. Das ist nicht immer einfach, insbesondere für direkt Betroffene. Alle anderen haben die Aufgabe, auch dann noch zuzuhören, wenn es unangenehm wird.

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