
…zoomen raus und sehen unsere Erde unter uns schweben, dann den Mond, die anderen Planeten. In der Ferne glüht ein feuerroter Ball, doch wir fliegen weiter hinaus in das All, entfernen uns von unserer Galaxie, das Bild ein Produkt unserer unendlichen Fantasie. Winzig klein, zu ewig weit, so unbegreiflich fern. Stern um Stern, ohne Zaun oder Mauer, ein Bild von endloser Dauer. Eine Einheit, keine Schranken, weit und breit. Vielleicht sind wir frei in dieser Gedankenspielerei. Oder wir fallen immer weiter ins ewige Nichts, verloren, verflogen, vom Weg falsch abgebogen.
Albert Einstein soll gesagt haben: »Zwei Dinge sind unendlich: Das Universum und die menschliche Dummheit. Aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.« Tatsächlich ist die Unendlichkeit des Universums bis heute nicht beweisbar – die menschliche Dummheit im Gegenzug vielleicht schon eher. Schließlich werden bei drängenden Problemen, wie aktuell der Klimakrise, nicht früh genug Lösungen durchgesetzt. Was für dauerhafte Auswirkungen das auf die Menschheit hat, ist für manche noch immer nicht verständlich genug, um zu handeln. Oder sie sind einfach ignorant.
›Unendlichkeit‹ ist für uns nicht greifbar. Das Konzept widerspricht unseren Alltagserfahrungen, bereitet Unbehagen und ist für uns Menschen schlichtweg zu abstrakt. Glauben wir stattdessen an Anfang und Ende, ermöglicht dies, zeitliche und räumliche Zustände messbar und konkret zu machen. Die Existenz eines Anfangs bedingt dabei automatisch die Existenz eines Abschlusses. Und obwohl Neuanfänge einerseits einschüchternd wirken, werden sie andererseits positiv mit neuen Möglichkeiten assoziiert. Ähnlich sieht es mit Enden aus. Niemand mag sie – alle lieben sie. Endlich ist der Tag vorbei, in wenigen Wochen das Semester und bald endgültig ein weiteres anstrengendes Jahr. Alles zurück auf Null. In der westlichen Kultur ist unser zeitliches Denken geprägt von klaren Linien, gezogen wie ein Zaun, statt dem Bild eines endlosen Zeitflusses. Vergänglichkeit statt Ewigkeit. Die Geburtsstunde des Paares ›Anfang‹ und ›Ende‹ lässt sich trotzdem nicht klar datieren. Und womöglich ist auch gerade diese Illusion, dass alles schon immer einen festen Ursprung und Ausgang hatte, der Grund, warum wir uns davon nicht lösen können.
Der römische Philosoph Seneca kam zu dem Schluss: »Jeder neue Anfang kommt vom Ende eines anderen Anfangs.« Eine deutliche Befürwortung vom festen Zusammenhang zwischen Ursprüngen und ihren Abschlüssen. Doch lassen sich überhaupt natürlich definierte Anfänge und Enden in unserer Welt finden?
Betrachten wir die Naturwissenschaften, wurde auf diese essenzielle Frage bisher keine Antwort gefunden. In der Physik beispielsweise kann Energie nach dem Erhaltungsgesetz weder gewonnen werden, noch verloren gehen. Sie lässt sich einzig und allein umwandeln. Wie bei thermischer Energie, die durch Reibung oder das Verbrennen von Kraftstoffen entstehen kann. In einem geschlossenen System, wie unserer Erde, gibt es keinen Moment, in dem Energie anfängt oder aufhört zu existieren.
Wenig aufschlussreich ist auch die Astronomie, in der sich vor allem das Konzept der endlosen Zyklen finden lässt: Unsere Erde kreist täglich um sich selbst, der Mond monatlich um die Erde und die Erde wiederum jährlich um die Sonne. Wo beginnt dieser Prozess? »Jeder neue Anfang kommt vom Ende eines anderen Anfangs.« Impliziert Senecas Auffassung nicht einen fließenden Übergang, also Unendlichkeit?
Zumindest sollten wir einen neuen Blickwinkel auf die uns fundamental erscheinenden Gegensatzpaare zulassen. In der Fachsprache wird Zweiteilung oft als Dichotomie bezeichnet. Doch das Konzept einer dichotomisch geprägten Welt ist vor allem eines: menschengemacht. Oben oder unten, positiv oder negativ, männlich oder weiblich – und eben auch Anfang oder Ende. All diese Entweder und Oder sind anthropogenen Ursprungs. Von uns, für uns. Sie verfolgen besonders einen Zweck: Sicherheit geben. Fest in unserem gesellschaftlichen Denken verankert, erleichtern sie uns, die Komplexität der Welt und unseres Lebens zu komprimieren. Begrenzend werden sie dabei immer wirken; sie sind schließlich genau auf diesem Fundament aufgebaut.
Gleichzeitig bewerten wir Dichotomien mit Dichotomien selbst. Einer der Pole ist immer besser, der andere schlechter. Die Eine ist Frühaufsteherin, die Andere Morgenmuffel. Indem wir uns dichotomer Konzepte bedienen, verliert die Unendlichkeit an Gewicht. Wir malen uns unsere Welt, wie sie uns gefällt. Schwarz und weiß. Klar kategorisierbar. Einfach.
Hat Einstein also Recht? Ist die menschliche Dummheit, gerade durch unser eingeschränktes Vorstellungsvermögen, unendlich? Schließlich ist die Ewigkeit ein für uns ungreifbares Konzept. Sie führt uns vor Augen, dass auch die menschliche Auffassungsgabe faktisch begrenzt ist.
Vielleicht zählt vor allem, wie wir mit unserem kategorischen Denken umgehen. Und dabei rückt die Frage, ob es nun wirklich Anfänge oder Enden gibt oder das große Ganze doch von der Ewigkeit regiert wird, vollkommen in den Hintergrund. Was wäre, wenn wir Anfänge und Enden über ihre beschränkende Ebene hinaus betrachten, in Frage stellen und durchaus auch aufbrechen? Wenn wir die Konzepte unserer Welt nicht als statische, sondern als dynamische Entitäten auffassen… Nehmen wir die Idee einer Unendlichkeit also einmal an…