Vor drei Jahren stürzte Unikanzlerin Andrea Bör die FU Berlin mit einem Alleingang in eine tiefe Krise. Seitdem ist sie zwangsweise beurlaubt. Nun mehren sich die Zeichen, dass Bör an die FU zurückkehren könnte. Doch die Uni möchte die Kanzlerin gar nicht mehr haben. Valentin Petri berichtet.

Drei Jahre sind eine lange Zeit an einer Uni. Sechs Semester, ein ganzer Bachelor in Regelstudienzeit oder mehr als die Hälfte einer durchschnittlichen Promotion. Seit fast drei Jahren darf Andrea Bör, die seit 2016 – und formal immer noch – Kanzlerin der Freien Universität ist, ihr Amt nicht ausüben. Grund ist eine Affäre, die im Oktober 2021 mit einem großen Knall öffentlich wurde.
Jetzt mehren sich die Zeichen, dass Bör noch vor Ende des Jahres an die Uni zurückkehren könnte, obwohl alle relevanten Unigremien und auch die Unileitung unter Präsident Günter Ziegler mehrfach deutlich gemacht haben, dass sie nicht mehr mit ihr als Kanzlerin zusammenarbeiten wollen. Für die FU könnte damit eine jahrelange Hängepartie weitergehen.
Bör soll eigenmächtig Personalagentur beauftragt haben
Die Affäre um Bör begann mit einem Machtkampf innerhalb der Unileitung: Im September 2021 stand der Wahlkampf für die Neuwahl des Präsidiums, dem höchsten Exekutivorgan an der Uni, vor der heißen Phase. Präsident Ziegler hatte bereits erklärt, für eine zweite Amtszeit kandidieren zu wollen – bis dahin ohne Gegenkandidat*in. Das wollten die Kanzlerin und eine Gruppe Professor*innen offenbar unbedingt verhindern.
Auf Drängen der Professor*innen soll Bör daraufhin eine externe Personalagentur damit beauftragt haben, weitere Kandidat*innen für die Präsident*innenwahl zu finden. Besonders pikant: die Professor*innen stammten aus dem Führungszirkel der Vereinten Mitte – der mächtigsten Wahlliste (also einer Art Partei in den Unigremien), die Unipräsident Ziegler eigentlich mal ins Amt gebracht hatten, jetzt offenbar aber unzufrieden mit ihm waren.
Unigremien entziehen Kanzlerin das Vertrauen
Nach bisherigen Erkenntnissen handelte die Kanzlerin, als sie den Headhunter beauftragte, ohne vorherigen Beschluss oder offizielle Kenntnis der relevanten Entscheidungsgremien der FU – also dem Akademischen Senat (AS), dem Kuratorium oder dem Präsidium. Als die Vorgänge bekannt wurden, erhob Unipräsident Ziegler Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bör. Der AS und das Kuratorium entzogen ihr das Vertrauen.
Die Kanzlerin räumte auf einer nicht-öffentlichen Krisensitzung wohl ein, Fehler begangen zu haben, stritt seitdem aber stets ab, dass sie mit ihrem Agieren der Uni geschadet habe. Auch der Vertrag mit dem Headhunter wurde noch im September 2021 wieder aufgelöst. Für die bereits erbrachten Leistungen, soll er aber dennoch eine fünfstellige Summe aus dem Hochschuletat erhalten haben.

Die Kanzlerin hat als Verwaltungschefin eine Schlüsselposition innerhalb der Uni, wahrscheinlich die wichtigste nach dem Präsidenten. Ein solcher Fall wie der von Bör ist in der deutschen Hochschullandschaft auch relativ einmalig – allein schon deshalb dürften auch andere Akteur*innen aus dem Wissenschaftsbetrieb auf das schauen, was mit ihr an der FU geschieht.
Land stellt Strafanzeige, kann sie aber nicht entlassen
Als Beamtin des Landes Berlin kann Bör nicht ohne Weiteres entlassen werden. Auch das Misstrauensvotum der Unigremien hat keinen Einfluss darauf, ob sie weiterhin für die FU tätig sein darf. Die Kanzlerin abzuwählen, ist nach der innerhalb der FU vertretenen Rechtsauffassung nicht möglich. Einen Rücktritt lehnte sie stets ab.
Im Frühjahr 2022 ordnete die damalige Berliner Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne) deshalb an, dass Bör ihr Amt bis auf Weiteres nicht ausüben darf. Zudem stellte die zuständige Senatsverwaltung vor dem Hintergrund der bereits an den Headhunter gezahlten Honorarsumme gegen Bör Strafanzeige wegen des Verdachts auf Veruntreuung öffentlicher Gelder.
Die Wende? Disziplinarverfahren muss im November enden
Drei Jahre später läuft das Disziplinarverfahren gegen die Kanzlerin immer noch – bisher ohne Ergebnis. Das sollte sich nun bald ändern: Nach einem Bericht des Tagesspiegel hat ein Gericht der Senatsverwaltung auferlegt, das Verfahren bis zu einer Frist im November abzuschließen. Demnach läuft es wahrscheinlich auf eine eher geringe Geldstrafe für Bör hinaus.
Damit deutet sich an, was auch die ungewöhnliche Länge des Verfahrens vermuten ließ: die Senatsverwaltung kann womöglich kein Dienstvergehen nachweisen, das eine Entlassung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen würde. Presseanfragen zum Verfahren und zur Causa Bör wurden von der Wissenschaftsverwaltung in der Vergangenheit stets mit dem Verweis abgelehnt, dass man sich zu Personalangelegenheiten grundsätzlich nicht äußere. Im Ergebnis könnte das Dienstverbot noch im November fallen und Bör dann an die FU zurückkehren.
Unigremien sind ratlos, Unileitung zurückhaltend
Nachdem der Unipräsident diese Aussicht Mitte Oktober im Akademischen Senat vorgetragen hatte, sprach die professorale Senatorin Kristina Maria Parr aus, was sicher vielen Anwesenden durch den Kopf ging: “Gibt es irgendetwas, das wir tun können? Oder können wir jetzt nur abwarten und schauen was uns vorgesetzt wird?” Zieglers “Nein” erfolgte knapp und indirekt, indem er betonte, dass die Uni keine Handhabe habe. “Die Entscheidungen liegen bei der Senatsverwaltung für Wissenschaft.”
Als ein Studierendenvertreter um Klarstellung bat, ob sich der Präsident denn Gedanken gemacht habe, was er tun würde, falls Bör an die FU zurückkomme, kam von Ziegler nur ein knappes “Ja”. Für die Scholz’sche Patzigkeit des Präsidenten gibt es einen guten Grund: Die Unileitung lässt sich aktuell noch weniger in die Karten schauen als sonst. Dafür ist die Hängepartie mit der Kanzlerin rechtlich zu heikel und für das Image der Uni in der deutschen Hochschullandschaft äußerst unvorteilhaft.
Präsident betont gute Zusammenarbeit seit Bör weg ist
Es ist zu erwarten, dass die FU eine Rückkehr der Kanzlerin nicht einfach so hinnehmen wird. Eine Zusammenarbeit zwischen Ziegler und den meisten Mitgliedern der Unileitung auf der einen und Kanzlerin Bör auf der anderen Seite erscheint schlichtweg undenkbar. Dafür ist die Erde inzwischen zu verbrannt.
Wahrscheinlich lässt das Präsidium deshalb kaum eine Gelegenheit verstreichen, ohne zu betonen, wie gut die Zusammenarbeit in der mittlerweile neu aufgestellten Unileitung laufe. Über Börs Vertretung als Kanzlerin, Andrea Güttner, ist in der Tat viel Gutes zu hören. Die vorige Verwaltungsleiterin des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften nimmt die Amtsgeschäfte der Kanzlerin in ihrer Abwesenheit seit über zweieinhalb Jahren wahr und damit bereits halb so lang wie Bör in ihrer gesamten aktiven Zeit. Güttner scheint im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin auch breite Unterstützung in den relevanten Unigremien zu genießen.
Bör will Kanzlerin bleiben
Es ist ein offenes Geheimnis, dass Bör trotz aller Verwerfungen wieder an die FU zurückkehren möchte. Ihre Chancen, nach der öffentlichen Debatte in der deutschen Hochschullandschaft einen neuen, ähnlich prominenten Job zu bekommen, dürften eher schlecht stehen. Es ist davon auszugehen, dass die Senatsverwaltung versucht hat, sie auf eine vergleichbar bezahlte Leitungsposition in einer Landesbehörde zu versetzen. Bör scheint alle derartigen Angebote ausgeschlagen zu haben.
Es sollte auch erwähnt werden, dass die Kanzlerin sich bisher öffentlich nie zu den Vorkommnissen äußern durfte. Als Beamtin des Landes Berlin muss sie bei der Senatsverwaltung eine Genehmigung einholen, um der Presse ein Interview geben zu dürfen. Diese Genehmigung ist ihr bisher offenbar verwehrt worden.
Uni zahlt etwa 10.000 Euro monatlich an beurlaubte Kanzlerin
Nach allem, was zu hören ist, wird Bör auch während ihres Dienstverbotes in vollem Umfang bezahlt. Ihr Grundgehalt liegt nach “B5” in der aktuellen Besoldungstabelle des Landes Berlin bei um die 10.000 Euro im Monat. Demzufolge sind aus dem Haushalt der Uni seit Beginn des Dienstverbots deutlich über 300.000 Euro an eine Amtsinhaberin geflossen, die ihr Amt nicht ausüben darf.
Das Land Berlin hätte bislang auch keine Grundlage, um ihr das Gehalt zu kürzen, weil Bör bis dato kein schwerwiegendes Dienstvergehen nachgewiesen wurde. Das Berliner Oberverwaltungsgericht hat zwar im Herbst 2023 eine Klage Börs gegen das Dienstverbot abgewiesen und festgestellt, dass die Kanzlerin mit der Beauftragung der Personalagentur “entgegen der rechtlichen Kompetenzordnung” an der Uni gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft wiederum hat die Ermittlungen zur Strafanzeige wegen Untreue gegen Bör nach zwei Jahren eingestellt, weil sie keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten fand.
Die dauerbeurlaubte Kanzlerin selbst verfolgte im Oktober die Diskussion über ihre berufliche Zukunft an der FU aus den Zuschauerreihen. Sie besucht auch drei Jahre nach Beginn der Affäre noch fast jede Sitzung des höchsten Unigremiums. Womöglich sitzt sie bereits ab Ende November wieder vorne neben dem Präsidenten.