Nach der ersten Aufführung im Mai in Schwerin und anschließenden Aufführungen in Wien und Stuttgart kommt “Sancta Susanna” an die Volksbühne Berlin. Körper, Frauen und Glaube werden spektakulär auf der Bühne verhandelt und von vor dem Opernhaus von Christ*innen bekämpft.
Eine Rezension von Agnes Otto.
Hindemith neu inszeniert von Florentine Holzinger
Florentina Holzinger hat mit der Staatsoper Stuttgart, dem Mecklenburgischen Staatstheater Schwerin, den Wiener Festwochen und der Volksbühne Berlin zusammen die Oper „Sancta Susanna“ auf die Bühne gebracht. Das Werk von Paul Hindemiths aus dem Jahr 1922 nimmt aber nur einen kleinen Teil der Vorführung ein. Vielmehr entwickelt sich der Abend in eine ausschweifenden Reflexion über Kirche und Christentum, Frauen* und Körper. Ausgehend von der Geschichte einer Nonne, die aus ihrem Kloster verstoßen wird, da sie ihr sexuelles Begehren entdeckt, wird assoziativ das Themenfeld des Christentum, des Glaubens und der Kirche umspielt. Nach der kurzen, aus einem Akt bestehenden Oper folgt eine heilige Messe aus Bach, Rachmaninow, Metal, Noise und zeitgenössischen Kompositionen. Die zahlreichen Perfomer*innen tanzen, spielen, schaffen und singen, begleitet vom Chor, Orchester, DJ und E-Gitarre. Nackt, aber mit der für Nonnen üblichen Kopfbedeckung rebellieren sie gegen die konservativen Werte des Christentums und die Macht der Kirche. Im Laufe des Stücks wird klar, dass das Thema ein persönliches und extrem aufgeladenes ist: Die Frauen haben seit Kinderjahren alle ein ähnlich ambivalentes und tief gehendes Verhältnis zur Kirche
Kloster, Frauen, Nacktheit
In einem ruhigen Moment, wo die Bühne nicht von den Klängen Bachs oder Rihannas beschallt wird, sitzen die Künstlerinnen zusammen und teilen ihre Geschichten – der emotionale Höhepunkt des Abends. Das gegenseitige Zuhören und der Zusammenhalt, der auf der Bühne zelebriert wird, ist Teil des Nonnenlebens. Es bedeutet nicht nur Einengung und Keuschheit, sondern ist vor allem früher ein Weg gewesen, um Frauen Austausch und Bildung zu ermöglichen, was ihnen in der patriarchal geprägten Welt meistens verwehrt wurde. Die Inszenierung schafft es, sich differenziert mit dem oft schwierigen Verhältnis von Frau und Kirche auseinanderzusetzen, in dem es tiefgehend, neben negativen Aspekten wie Machtmissbrauch und Gewalt, auch diesen intimen Momenten des Zusammenhaltes widmet.
Der Abend baut ein Spannungsfeld von Körperlichkeit auf. Grenzen werden berührt, ausgetestet und überschritten. Dem Ideal des Christentums, in dem jegliche Form der Körperlichkeit versteckt und verpönt wird, um das Ideal der Reinheit aufrechtzuerhalten, wird in jeder Form widersprochen. Die Nacktheit der Künstlerinnen ist nur ein kleiner Teil. Sex, Orgasmen, (Selbst)Verletzung und Blut sind Teil des Bühnengeschehens, genau so wie sie Teile unserer Gesellschaft sind.
Protest von Christ*innen und ausverkaufte Spielstätten
Gerade das empfinden die sich seit der Premiere vor der Oper befindenden Protestierenden in Stuttgart als blasphemisch, weshalb sie singen, Kerzen anzünden und Besucherinnen von ihrem Opernbesuch abhalten wollen. Ironisch ist es deshalb, weil schon 1922, als die Oper in Frankfurt uraufgeführt wurde, Menschen sich zum Protest versammelt haben und konservative Stimmen die Absetzung der Inszenierung gefordert haben. Genauso wie heute. Umso wichtiger ist Florentina Holzingers Werk, das sich dem entgegenstellt und nicht müde wird, die Frage der Frau im Christentum zu stellen und damit Diskussion und Austausch provoziert.
Am 15. und 16. November kommt das Stück an die Volksbühne in Berlin und wie immer, wenn etwas so polarisiert, sind die Abende restlos ausverkauft.