Die Frage danach, was Tod und Trauer mit einem Menschen macht, ist wahrscheinlich so alt, wie die Menschheit selbst. Sally Rooney beschreibt in ihrem neuen Roman Intermezzo, wie der Tod des Vaters die Beziehung von zwei Brüdern auf die Probe stellt und langsam in alle Bereiche ihres Lebens einsickert. Eine Rezension von Eva Maria Gäbel.
Mit Intermezzo erschien im Verlagshaus Faber & Faber diesen Herbst der vierte Roman von Sally Rooney. Bereits das Zitat des Philosophen Ludwig Wittgenstein auf der ersten Seite Aber fühlst du nicht jetzt den Kummer? (“Aber spielst du nicht jetzt Schach”) lässt erahnen, dass es um mehr geht, als “nur” um Kummer. Wie die Emotionalität des Kummers mit der Rationalität Schachspiel zusammenhängt, hat Wittgenstein ganz theoretisch beleuchtet. Diesem Zusammenhang haucht Rooney in ihrem Buch auf prosaistische Weise neues Leben ein.
“Of course, he and his brother both wanted their lives to consist of winning all the time and never losing: this is presumably true of everyone.”
Nach dem Tod des Vaters stehen Ivan und Peter vor der großen Hürde mit ihren Leben einfach weiterzumachen, als wäre nicht viel passiert, doch wenig überraschend funktioniert dies nicht so leicht. Die Trauer wird zu einer ungefragten und allgegenwärtigen Begleitung. Vor diesem Hintergrund steht gerade die Beziehung zwischen den beiden sehr verschiedenen Brüdern auf der Probe. Die beiden könnten auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein: auf der einen Seite der erfolgreiche Anwalt Peter, Mitte 30, dem die Frauen zu Füßen liegen und auf der anderen Seite der Anfang 20-jährige, introvertierte Ivan, der nur Schach im Kopf hat. Rooney erstellt damit zunächst zwei sehr starre Stereotypen, welche allerdings nach und nach anfangen aufzuweichen. Im Laufe der Erzählung wird es immer deutlicher, dass die Beziehung der Brüder von Missverständnissen, verfehlten Idealisierungen und vor allem fehlender Kommunikation geprägt ist.
Durch die beiden unterschiedlichen Brüder schafft es Sally Rooney, die verschiedenen Umgangsarten mit Trauer darzustellen. Denn wie das Leben leider so spielt, steht die Zeit auch nach einem Trauerfall nicht einfach still und das (Schach-)Spiel des Lebens geht immer weiter. Doch anders als im Schach kann man im echten Leben nicht mit auswendig gelernten Zügen gewinnen. Nach und nach zeigt sich, dass Peter und Ivan ganz unterschiedliche Wege suchen, um dem Schmerz zu entgehen. Während sich der eine in einer Abwärtsspirale aus Depression, Alkohol und Sex befindet, flüchtet sich der andere schnell in eine neue Beziehung, welche für ihn eine neue Kraftquelle wird.
“Do you love me, she says. And he answers: Yeah. I love you, of course, I do.”
Zunächst scheint Intermezzo ein Buch über den Tod zu sein. Am Ende ist es aber doch mehr: Es ist auch ein Buch über die Liebe. Allerdings beleuchtet Sally Rooney hier nicht nur die romantische Liebe, wie in ihren vorherigen Büchern. Durch Peter und Ivan lernen wir noch viele weitere Formen kennen: die Liebe zu ihrem verstorbenen Vater, die Liebe gegenüber ihren aktuellen und vergangenen Partnerinnen, vor allem spielt die Liebe zwischen den Brüdern eine zentrale Rolle. Ausgerechnet diese vermag anfangs im Chaos der Gefühle aus Trauer, Wut und Verzweiflung unterzugehen. Und so gerne die beiden die Vergangenheit einfach ruhen lassen und mit dem Tod des Vaters abschließen wollen, um so mehr bahnt sich ein Kollaps der Emotionen an.
Sally Rooneys neues Buch ist damit eine klare Empfehlung, aber keine leichte Lektüre. Gerade der Verlust eines Elternteils ist für viele eine der größten Ängste, auch wenn er unumgänglich ist. Rooney schafft es mit ihrem Buch zu zeigen, dass dieser Verlust, so schmerzhaft er auch sein mag, nicht das Ende ist.