Science Wrapped 2024 

2024 war ein großes Jahr für die Biowissenschaften: Zwischen dem Siegeszug von KI-Modellen und der Erforschung grundlegender Prozesse, die unser Leben steuern, wurden einige Durchbrüche erzielt. Lara Ziegler berichtet über eine kleine Auswahl von Entdeckungen, die dieses Jahr die Forschung bedeutend nach vorne brachten. 

Illustration: Megan Rexazin Conde (Pixabay) 

Neue Erkenntnisse über deinen (und meinen) Urvorfahren 

Sein Name lautet LUCA, kurz für last universal common ancestor, und er ist nichts geringeres als der letzte gemeinsame Vorfahre aller heute lebenden Organismen. Die Forschung ist sich seit einiger Zeit einig, dass es dieser Organismus war, aus dem alle Arten evolviert sind, die wir heute beschreiben. Sowohl kleinste Bakterien als auch Menschen teilen mit LUCA identische DNA, wenn auch zu verschiedenen Teilen. Es wird vermutet, dass LUCA nicht das erste Leben auf Erden war, jedoch der Ursprung des Lebens, wie wir es heute kennen. Alle anderen Organismen, die zu seiner Zeit lebten, seien ausgestorben, statt sich weiterzuentwickeln. Fachleute sind sich jedoch nicht einig über sein Alter und seine genauen Lebensumstände und Körperfunktionen. In einer diesjährigen Studie konnten Forscher*innen der University of Bristol neue Erkenntnisse erlangen.  

Durch algorithmische Berechnungen wurde die wahrscheinlichste Variante von LUCAs Genom erstellt. Es wurde also geschätzt, welche Gene er aufgrund des evolutionären Stammbaums am ehesten getragen hat. Auf der Basis dieses Stammbaums und molekularen Uhren schätzte man außerdem sein Alter. Die Forschenden analysierten die Mutationsraten im Laufe der Evolution und schlossen: LUCA müsse um die 4,2 Milliarden Jahre alt sein. Er war vermutlich den modernen Bakterien sehr ähnlich und somit weit komplexer als bisher angenommen. Neben einem ähnlichen Stoffwechsel, sowie Mechanismen zur Produktion von Proteinen, besaß er sogar das bakterielle Immunsystem CRISPR/Cas. LUCA existierte wahrscheinlich nicht isoliert, sondern war Teil eines mikrobiellen Ökosystems. Dieses könnte Oberflächen- und Tiefenozeanhabitate umfasst haben, wobei hydrothermale Quellen und atmosphärischer Wasserstoff potenzielle Energiequellen waren.

Die Lösung des Protein-Puzzles

Proteine sind die Moleküle des Lebens: Sie erfüllen im Körper zahllose überlebenswichtige biologische Funktionen. Ihr Aufbau ist uns lange bekannt: Es handelt sich um lange Ketten von einzelnen Aminosäuren, die auf eine spezifische Weise gefaltet sind, um präzise dreidimensionale Strukturen zu bilden. Die Sequenz der Aminosäuren jedes körpereigenen Proteins ist in der DNA festgelegt. Ihre Struktur ist ausschlaggebend für die korrekte Funktion – ein fehlerhaft gefaltetes Protein kann der Auslöser für eine schwere Erkrankung sein, bei der zentrale Körperfunktionen ausfallen. Es ist also naheliegend, dass unser Verständnis dieser Proteinstrukturen zentral ist für die Forschung und den medizinischen Fortschritt. Was der Wissenschaft jedoch ein Rätsel ist: Wie schafft es der Körper, aus scheinbar unendlich vielen Kombinationen zuverlässig die korrekte Proteinfaltung sicherzustellen? Die Lösung dieses Protein Folding Problems ist nun greifbarer als je zuvor

Während es bisher teilweise Jahre dauerte, um die komplette Struktur eines einzigen Proteins zu analysieren, dauert es heute nur noch einige Minuten. Demis Hassabis und John Jumper von Google DeepMind trainierten eine KI dazu, aus einer Sequenz von Aminosäuren die Struktur des gefalteten Proteins vorherzusagen. Und das mit Erfolg: Das Programm AlphaFold2 rekonstruierte innerhalb kürzester Zeit den Aufbau fast aller 200 Millionen Proteine, die uns heutzutage bekannt sind. David Baker ging sogar noch einen Schritt weiter, ihm gelang die Modellierung von komplett neuen Proteinen, die so nicht in der Natur vorkommen. Diese besitzen zuvor unbekannte Strukturen und somit ganz neue Funktionen. Hier verläuft der Prozess sozusagen rückwärts: Von dem designten Protein wird auf das zugrundeliegende Gen geschlossen, um es schließlich im Labor künstlich zu produzieren. Für diese bahnbrechende Entwicklung, die verspricht, den wissenschaftlichen Fortschritt erheblich zu beschleunigen, erhielten die Forscher 2024 gemeinsam den Nobelpreis für Chemie. 

Neue Hoffnung gegen HIV 

Seit der verheerenden AIDS-Krise in den 80er Jahren, unter der vor allem junge Homosexuelle, People of Color und andere marginalisierte Gruppen litten, wurden signifikante Fortschritte zur Bekämpfung des auslösenden HIV-Viruses gemacht. Trotzdem werden jährlich über 1 Million Menschen mit dem Virus infiziert. Bisher stand zur Vorsorge das Medikament PrEP zur Verfügung, welches durch die tägliche Einnahme vor einer Infektion schützt. Jedoch stellte sich diese tägliche Dosis als Herausforderung dar, da unterschiedliche soziale Faktoren diese für viele Menschen erschwerten. Ein neues Medikament zeigte 2024 Potential, der Eindämmung von HIV einen großen Schritt näher zu kommen. Bei Lenacapavir PrEP handelt es sich um ein Pharmazeutikum, welches nach einer Injektion zuverlässigen Schutz für ein halbes Jahr verspricht. 

RNA-Viren wie HIV infizieren einen Wirt mithilfe ihres Erbguts. Dieses tragen sie innerhalb einer kegelförmigen Kapsel, dem Kapsidprotein. Gelangt dieses in den Zellkern, so wird die Virus-RNA in DNA umgeschrieben und in unser menschliches Genom eingefügt. An diesem Prozess setzt Lenacapavir an: Der Wirkstoff interagiert mit dem Kapsid des Virus, um dessen Vermehrung im Körper zu verhindern. Es blockiert unter anderem das Eindringen in den Zellkern, die Interaktion mit menschlichen Proteinen und die Bildung neuer Kapside. Nach einer ersten medizinischen Studie an jungen Frauen in Afrika zeigte Lenacapavir eine erstaunliche Erfolgsquote von 100%. Dies schien anfänglich zu schön, um wahr zu sein, jedoch wurden restliche Zweifel mit der Durchführung einer zweiten Studie ausgelöscht. Auch bei dieser diverseren Stichprobe, die über vier Kontinente reichte, stellte man eine Wirksamkeit von 99,9% fest. Das Medikament zeigt nicht nur außergewöhnlichen Erfolg, es bietet außerdem eine komplett neue Wirkungsweise, die möglicherweise ähnlich auf andere Viren anwendbar ist, die Kapsidproteine tragen. Die Herausforderung wird es nun sein, breite Zugänglichkeit zu schaffen, um vor allem Menschen in unterversorgten, stark betroffenen Gebieten vor Infektionen zu schützen. 

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1 Response

  1. Ziegler Julia sagt:

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