Alle Augen auf Angela

Ganz Berlin scheint sich am 27.November im Kaufhaus Dussmann versammelt zu haben. Warum? Angela Merkel signiert ihr neues Buch „Freiheit“. Regina-Marie Roßbach war mittendrin – oder besser gesagt, irgendwo am Ende der Schlange.

Das waren doch mehr Menschen als erwartet. Foto: Regina-Marie Roßbach

Eine Sache, an die ich mich seit meinem Umzug von der Kleinstadt in Norddeutschland nach Berlin einfach nicht gewöhnen kann, sind die Menschenmengen. Egal um welche Veranstaltung es geht, ich bin immer wieder von der Anzahl der Besucher*innen überrascht. Als also die wahrscheinlich bekannteste Frau Deutschlands eine Signierstunde für das wahrscheinlich meist antizipierteste Buch des Jahres ankündigte, dachte ich das wäre eine Aktion von maximal einer Stunde. Kurz anstellen, kurz warten, kurz „Hallo“ sagen und dann wieder gehen. Dem war nicht so.

15:00 Uhr: 

Wir wollten eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung kommen, damit wir auch sicher unser Autogramm bekommen. Als wir den Laden betreten, ist er bereits brechend voll. Wir suchen das Ende der Schlange. Es ist unauffindbar. Wir fragen eine Verkäuferin. Sie schaut uns verzweifelt an: „Das ist gerade ein bisschen schwierig. Es scheint sich ein Kreis gebildet zu haben“, sagt sie. 

15:05 Uhr:

Sichtlich überfordert versuchen die Mitarbeiter*innen die Schlange, nach draußen zu leiten. Doch es gibt ein Problem: wenn mensch draußen steht, soll mensch das Buch bereits gekauft haben. Viele der jetzt nach draußen geleiteten, haben dies noch nicht getan. Unter anderem wir. Wir teilen uns auf, meine Freundin steht weiter an, ich kaufe die Bücher.

15:15 Uhr: 

Mit zwei Büchern unterm Arm und stolze 84 Euro ärmer, wage auch ich mich an den Ort des Geschehens. Zum Glück stehen wir gerade noch im Eingang des Kaufhauses und müssen nicht wie viele andere draußen frieren. Nun heißt es warten.

16:00 Uhr:

Aus weiter Ferne hören wir Applaus, der sich langsam zu uns ausbreitet. Merkel ist da. Die Siegnierstunde beginnt. Die Mitarbeiter*innen erzählen uns, dass sie 90 Minuten dauert. 

16:10 Uhr:

Die Schlange hat sich bisher um etwa 0,5 Meter nach vorne bewegt. Als eine Frau die Security nach dem Ende der Schlange fragt, fängt dieser an zu lachen. „Das Ende der Schlange? Wollen Sie das wirklich wissen?“, sagt er. In meinen Vorstellungen wickelt sich die Schlange einmal um die gesamte Erdkugel und wieder zu Dussmann zurück. 

16:20 Uhr:

Wir bewegen uns weiter. Vom Eingangsbereich im Untergeschoss, können wir Merkels Kopf in der 1. Etage erahnen. Mein Urteil: Sieht genauso aus wie im Fernsehen. Ein bisschen kleiner vielleicht. 

Blau eingekreist: Der Kopf von Angela Merkel. Foto: Regina-Marie Roßbach

16:25 Uhr:

Mir wird langweilig. Da hilft nur eins: Mathe. Merkel schafft 9 Signaturen pro Minute: Ich rechne: 585 Bücher könnten noch klappen. Ein Blick in die Menge:  Sind das mehr als 585 Menschen? Vermutlich, aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

16:50 Uhr:

Immer wieder kommen glückliche Menschen mit ihren frischen Unterschriften vorbei. Ich frage, ob ich die Unterschrift wenigstens schon mal sehen darf. Wie Merkel selbst: simpel, klar, geradlinig. „Die kann ich zur Not auch fälschen“, denke ich mir.

17:00 Uhr:

Wir sind im Obergeschoss. Gerüchte machen die Runde: „Wer jetzt hier steht, kommt noch dran.“ Kollektives Aufatmen.

17:20 Uhr: 

Die Zeit rennt. Die Signierstunde endet um halb, aber es sind noch circa hundert Leute vor uns. Merkel muss Gas geben, sonst wird das nichts mehr. 

17:30 Uhr: 

Die Zeit ist um, doch Merkel stoppt nicht. Sie überzieht. Wir freuen uns. Wir werden noch drankommen. 

17:35 Uhr:

Vor uns stehen noch ungefähr 30 Leute in der Schlange.

17:40 Uhr:

Merkel steht auf. Sie lächelt, winkt, dann dreht sie sich um und geht. Die Signierstundeist beendet. Doch unsere Bücher sind noch leer. Die Hoffnung war groß. Die Enttäuschung ist größer.

Eine Woche später:

Ich bin wieder im Dussmann und bringe Merkels Buch zurück. 42 Euro für ein Buch ohne Unterschrift sind mir doch ein bisschen zu teuer. 

Doch wieso macht eine einzige Unterschrift einen Gegenstand so wertvoll für uns? Ein komisches Krickelkrakel mit halb ausgetrockneten Edding, und mein Buch wäre unersetzbar gewesen. Ob mit ihrer Politik zufrieden oder nicht, niemand kann es leugnen: Angela Merkel hat unsere gesamte Gesellschaft geprägt. Sie war Kanzlerin, als ich auf die Welt kam, und lange schien es für mich undenkbar, dass eine andere Person dieses Amt tragen könnte. Ich glaube, das geht vielen Menschen in meiner Generation so. Mutti Merkel. Ich bin eigentlich wenig von diesem Spitznamen überzeugt. (Frauen immer wieder auf die Mutterrolle zu reduzieren, ist ein Mittel, um ihnen ihre Macht und Stärke abzusprechen. Scholz nennt ja auch niemand Opa Olaf.) Aber auf eine gewisse Weise passt er schon, denn wir sind mit Merkel aufgewachsen. Von der Kindheit über die Teenagerzeit bis langsam ins Erwachsenenalter. 

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