Jedes Jahr synchronisieren sich die Inhalte auf Social Media zur immer gleichen Ästhetik. Stories reihen sich in diesen Tagen wie Lichterketten aneinander. Dahinter steckt ‘Spotify Wrapped’ – popkulturelles Phänomen und Marketingstrategie in einem und als Format eng mit den Zwängen des Kapitalismus verwoben. Ein Kommentar von Mara Stöhr.
2016 veröffentlichte Spotify das Format ‘Wrapped’. Daraufhin entwickelte sich der Jahresrückblick über Lieblingskünstler*innen sowie meistgehörten Songs und Alben bei vielen Hörer*innen schnell zu einem beliebten Feature. Währenddessen stießen die kapitalistischen Interessen von Spotify auf die Herausforderungen der Aufmerksamkeitsökonomie: Nutzer*innen langfristig binden und gleichzeitig neue gewinnen – Wie könnte das nachhaltig funktionieren? Um dem ein Stück näherzukommen, führte Spotify 2019 die In-App Nutzung des Features ein und startete die Zusammenarbeit mit Meta. Das Unternehmen verhalf Spotify als kostenlose Werbefläche letztlich dazu, sich stärker als Marke zu positionieren. Für Nutzer*innen wurde der Rückblick durch die Zusammenarbeit noch attraktiver. Sie konnten ihre personalisierten Jahresrückblicke nun direkt und einfach über verschiedene Plattformen wie Facebook und Instagram teilen.
Eine funkelnde Verpackung
Heute freuen sich viele Menschen Ende des Jahres darauf, ihren Jahresrückblick auf Social Media zu teilen. Daneben reihen sich einzelne kritische Stimmen ein. 2020 meldete sich beispielsweise Jewel Ham auf X zu Wort. Sie selbst ist multidisziplinäre Künstlerin und ehemalige Praktikantin bei Spotify. Dem Unternehmen warf sie vor, einige ihrer Ideen für die Weiterentwicklung des Formats 2019 ohne jegliche Anerkennung übernommen zu haben. Spotify hingegen bestreitet die Aneignung des intellektuellen Eigentums von Jewel Ham bis heute.
Darauf folgt auch Kritik von Künstler*innen selbst, die auf die prekären Vergütungsmodelle bei Spotify aufmerksam machen. Im letzten Jahr strich Spotify außerdem rund 1500 Stellen der Gesamtbelegschaft. Die Kündigungen folgten einer Ankündigung im Dezember 2023, in der CEO Daniel Ek das Unternehmen als „produktiv aber nicht effizient” bezeichnete. Vorwürfe und Spekulationen über die verstärkte Verlagerung von Arbeitskraft auf Künstliche Intelligenz im Kontext von ‘Spotify Wrapped’ folgten. Nutzer*innen selbst beklagten unter anderem, dass ihr Jahresrückblick nicht mit ihrem Hörverhalten übereinstimmte.
Aufmerksamkeit erhält das Format jedes Jahr letztlich aus mehreren Richtungen. Diskussionen rund um kapitalistische Forderungen nach Innovation, Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit, die die Strategien von Spotify bestimmen, stehen auf Social Media neben privaten Einblicken in das Musikjahr.
Umhüllt von Kapitalismus
Mittlerweile nutzen auch Organisationen und Institutionen das Design des Formates für eigene Zwecke. Die Inhalte sind vielfältig, nicht selten politisch. Statt den meistgehörten Songs wird im Rückblick von Seawatch e.V. beispielsweise thematisiert, wie viele Menschen die Europäische Union im Mittelmeer ertrinken ließ. Darüber hinaus zeigen sie Handlungsmöglichkeiten auf. Indem Seawatch e.V. das Format für eigene Botschaften anpasst, versuchen sie die Aufmerksamkeit von Nutzer*innen auf humanitäre Fragen zu lenken. Wieder andere versuchen mit der gleichen Strategie, gewaltvolle Handlungen im ‘Spotify Wrapped’ Format zu legitimieren. 2024 adaptierten demzufolge auch die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (kurz: IDF) das Design. Und das, um militärische Inhalte in Form einer Playlist zu teilen. Wo vorher persönliche Vorlieben miteinander konkurrierten, verschmelzen heute staatliche Kommunikation und digitale Trendformate fast nahtlos.
Unwrapped: Begrenzte Handlungsspielräume
2025 bleibt Spotify weiterhin marktführend im Bereich des Musikstreamings und ‘Spotify Wrapped’ ein fester Bestandteil ihres Marketings. Zwischen Kapitalismus, Kreativität und Kritik hat sich das Unternehmen einen Platz im Nutzungsverhalten vieler Menschen geschaffen. Und das weltweit. Strategien, die das private Konsumverhalten und persönliche Daten zu ökonomisieren versuchen, gehen auf. Dafür wird Spotify auch in Zukunft neue Wege finden müssen, um die Bedürfnisse und Interessen von Nutzer*innen zu erkennen und sich gegen Konkurrenz durchzusetzen.
Für Nutzer*innen hingegen ist der Jahresrückblick auch 2025 ein Angebot. Es bleibt ihnen selbst überlassen, über das eigene Nutzungsverhalten und die damit verbundenen Wirkmechanismen hinter Spotify nachzudenken. Denn in der digitalen Zeit ist die Visualisierung von persönlichen Daten durch Unternehmen, die diese wiederum für ökonomische Zwecke nutzen, Spotify Wrapped mehr ein Anlass zur Skepsis. Schließlich gilt es, die Zusammenhänge zwischen emotionalisierenden Inhalten und kapitalistischen Zwängen, fast so wie den eigenen Musikgeschmack, immer wieder aufs Neue auszupacken. Genau dort, wo Unternehmen selbst am wenigsten Interesse zeigen.