Die Möbel-Macht-Manifestation

Was ist braun und stinkt?

Ein Stuhlkreis.

Was ist braun und kann strukturalistische, hierarchische und rigide Machtstrukturen zugunsten einer allgemeinen Egalisierung und Ermächtigung der Studis auflösen?

Ebenfalls ein Stuhlkreis.

Ein Kommentar von Felix Rode.

Großraumbüro der 1920er Foto: ©Knorr + Hirth/Süddeutsche Zeitung

Woran denkst du bei dem Begriff „Macht“?

Wahrscheinlich an Staat, Gott, Patriarchat. An Merkel, Putin, Trump. An Gericht, Gefängnis, Überwachung.

Und das alles hat natürlich etwas mit Macht zu tun.

Aber spätestens seit den Sechzigerjahren wird uns immer klarer, dass es nicht nur jene großen Institutionen, Regeln und Komplexe sind, die Macht über uns haben. Sondern auch die kleinsten Instanzen und Details sind es, die die Machtverhältnisse spiegeln und stützen. Macht manifestiert sich auch im Kleinen. Der französische Philosoph und (Mit-)Begründer des Poststrukturalismus, Michele Foucault, schreibt darüber in seinem Werk „Überwachen und Strafen“ und nennt dieses Phänomen die „Mikrophysik der Macht.“ So ist beispielsweise die Anordnung von Möbeln in einem Raum Ausdruck der Machtverhältnisse, die in ihm herrschen. Wir stellen uns ein Büro vor: Wie hoch hängen die Bilder an der Wand? Hängen sie auf Augenhöhe der durchschnittlichen weiblichen Person oder auf Augenhöhe der durchschnittlichen männlichen Person? Wer hat den Fensterblick? Wer hat den größten Schreibtisch?

All diese scheinbar irrelevanten Details sind Manifestationen von Macht. Die mächtigste Person darf aus dem Fenster blicken. Die Chefin hat traditionell den größten Schreibtisch, am besten noch aus Mahagoniholz, und die Praktikantin kriegt den kleinsten Schreibtisch, der in der dunklen Ecke direkt neben der Kaffeemaschine platziert ist, damit sie immer gleich mitbekommt, wenn der Kaffee zur Neige geht.

James Bond, The Wolf of Wallstreet und Michele Foucault

Im traditionellen Großraumbüro des letzten Jahrhunderts sitzen sogar alle Angestellten in einem Raum und können sich gegenseitig beobachten, während die Chefin ein eigenes, abgeschirmtes Büro besitzt, in dem niemand es merkt, wenn sie nicht arbeitet. Währenddessen fällt im Großraumbüro sofort auf, wenn die Angestellte einmal aus dem Fenster träumt, und sie wird sicherlich von ihrer Kollegin verpfiffen, weil sie um dieselbe Beförderung konkurrieren. Das kann man sich im Grunde genommen vorstellen, wie der Büroaufbau bei Leonardo DiCaprios Firma „Stratton Oakmont” in „The Wolf of Wallstreet.“ Nur mit mehr Kleidung. Und weniger Koks. Aber davon abgesehen ist es dieselbe Idee. Draußen prügeln sich die Angestellten um die Kunden und Beförderungen, und im kleinen, abgetrennten Büro diskutiert die Chefriege um Leo, wie man am besten die Party am Ende der Woche angehen sollte.

Dasselbe findet sich in James Bond Filmen. Die Widersacher von 007 sitzen immer in riesigen, einsamen, kahlen und imposanten Hallen an monströsen Schreibtischen. Ihre Angestellten müssen einen Halbmarathon unter den Augen der Schurken absolvieren, um von der Tür bis zum Tisch zu gelangen. Dabei macht es auch keinen Unterschied, ob sie nun sowjetische Generäle oder „private“ Schurken sind. Ihre Macht und Boshaftigkeit spiegeln sich in ihren Büros. Währenddessen beteuert James Bonds Vorgesetzter „M“, Oberhaupt des MI5, seine Unschuld und Zugehörigkeit zur „guten“ und bescheidenen Seite der Macht und des kalten Krieges, indem er in einem kleinen, eleganten Raum an einem normalgroßen Schreibtisch sitzt und die Agenten nur wenige Schritte zu ihm machen müssen, um sich über ihn lustig zu machen und ihre Aufträge zu erhalten.

Der Sowjetische General Gogol in “James Bond 007 – The Spy who loved me” (1977) Foto: ©Danjaq LLC & United Artists Corp.

Die Macht der Möbel auf dem Campus

Die kleinen Manifestationen der Macht bilden die Basis, das Fundament der großen Machtstruktur. Ohne ihre übersehene Unterstützung könnte der große Machtapparat nicht funktionieren. So werden die Implikationen und Konsequenzen einer Veränderung im Kleinen unterschätzt. General Gogol könnte seine Macht sicherlich nicht so einschüchternd verkörpern und einfach sichern, wenn er an einem bescheidenen Ikea-Schreibtisch sitzen würde und der Wolf of Wallstreet müsste auch mal mit seinen Angestellten arbeiten, wenn sein Schreibtisch noch im Großraumbüro stehen würde.

Auch wir finden uns jeden Tag auf dem Campus zwischen hunderten Macht-Möbel-Manifestationen. In jedem Vorlesungssaal und in jedem Seminarraum blicken alle Stühle nach vorne. Warum ist das so? Um die Schwelle und Hierarchie zwischen Studis und Dozierenden weiter aufzubrechen, müssen wir diese Strukturen ändern oder anders gesagt: Wir müssen die Möbel umstellen. Ein Gegenentwurf ist, dass wir alle im Kreis sitzen.  Es können auch zwei Kreise sein, ein innerer und ein äußerer, wenn es voll wird. Besonders eine Uni, die sich mit ihrem betont poststrukturalistischen Ansatz schmückt und flache Hierarchien verspricht, sollte sich mit diesen Gedanken beschäftigen. 

Das hier ist kein Appell, den Dozis die Macht zu „entreißen“, die ihnen die Möbel suggestiv zuweisen. Es geht nicht um eine Gegenüberstellung oder einen Konflikt zwischen Dozis und Studis. Es ist eine Einladung an alle, ins Gespräch zu kommen und gemeinsam praktikable Lösungen zu finden. Ich bin sicher, die meisten Dozis würden zustimmen, wenn wir sie am Anfang des nächsten Semesters fragen, ob sie sich nicht mit uns in einen Stuhlkreis setzen möchten. Das Begegnen auf Augenhöhe soll erleichtert werden, um den Unialltag für alle stufenloser zu gestalten.




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