Inhaltsproduzentin trifft Realisator

Irgendwo wird in jedem Großraumbüro Kuchen verzehrt und die Farbe Grau getragen. Neben Office-Romantik behandeln Olga Hohmann und Chiara Marcassa in ihrem neuen BuchStressed Desserts” die Leiden und Kuriositäten weiblicher* Arbeitskraft. Eine Rezension von Pauline Roßbach

Die Autorinnen Olga Hohmann (Mitte links) und Chiara Marcassa (Mitte rechts) bei der Buchpremiere am 15.11.2024 im Roten Salon der Berliner Volksbühne. Foto: Pauline Roßbach

Olga Hohmann, Autorin und Künstlerin aus Berlin Kreuzberg, arbeitete fünf Jahre lang als leidenschaftliche Käseverkäuferin, ehe sie ihren ersten Roman „In deinem rechten Auge wohnt der Teufel” schrieb. Ihr zweites Buch „Stressed Desserts”, welches in Zusammenarbeit mit der Künstlerin, Regisseurin und Autorin Chiara Marcassa entstand,  erschien im November 2024 beim Verlag windpark books in Frankfurt am Main. In ihrem Buch setzen sich die Autorinnen mit der Unsichtbarkeit weiblicher* Arbeit und unsichtbaren Arbeiter*innen auseinander: Sekretär*innen, Assistent*innen, Flugbegleiter*innen, Content Creator*innen. Es geht um Exzess und Akkord, Disziplin und Entgleisung, ewig andauernde Wiederholung, um die kindliche Vorstellung von Arbeit und deren ernüchternde Realität. 

Die leidenschaftslose Arbeitnehmerin

»Paradoxerweise sah das Mimen der Arbeit, das ich als Kind im Spiel geübt hatte, vielmehr wie die echte, veredelnde Arbeit aus, als die reale Arbeit selbst. Gleichzeitig kam es mir so vor, als wäre die reale Arbeit zum Verwechseln ähnlich mit einem Mimen derselben, eine Pose, ein Spiel.«

Chiara Marcassas Teil des Wendebuchs handelt von einer jungen Büroangestellten, für die ihre Arbeit den einzigen Lebensinhalt darstellt. Im Laufe der Zeit entwickelt sie krude Gewaltphantasien gegen ihren Chef. Obwohl er sie als persönliche Assistentin angestellt hat, erledigt sie alle möglichen Aufgaben und ist somit Sekretärin, Therapeutin, Zimmermädchen, Escort, Wegbegleiterin, Pressesprecherin. In ihrer Kindheit hatte sie sehnsüchtig darauf gewartet, zu arbeiten. Reale Arbeit bedeutete für sie, die Lücke zwischen Kindsein und  Erwachsensein endlich schließen zu können. Im Berufsleben stellt sie schließlich fest, dass dieser kindliche Glaube ein Mythos gewesen war. 

Was ist Arbeit, und was ist sie nicht?

Feiern, rasten, essen – Bei genauer Betrachtung wird klar, dass es gar nicht mal so viele Tätigkeiten gibt, bei denen wir nicht arbeiten. „Stressed Desserts” setzt sich auf humorvolle und künstlerische Weise damit auseinander, wo die Arbeit endet und das Leben beginnt, und ob der physische Körper je vom performenden getrennt werden kann. „In Servicejobs gehe ich als Frau auf, weil ich weiß, wie ich sie zu performen habe”, sagt Marcassa bei der Buchpremiere am 15.11.2024 in der Berliner Volksbühne. 

Partygespräche über den Job

»Er sagt: „Ich bin Realisator”. Ich sage: „Ich bin Inhaltsproduzentin”. Wir fragen nicht weiter, es ist ja alles klar: Der Realisator realisiert, die Inhaltsproduzentin produziert Inhalt.«

Studien belegen, dass Frauen* in Gehaltsverhandlungen weniger Geld angeboten wird als Männern*, selbst wenn sie genauso hart verhandeln. In einem von Olga Hohmanns Textfragmenten stellt eine Content-Creatorin bei ihrem Job in einer Kreativagentur fest, dass ihre einzige Aufgabe darin bestanden hatte, durch ihren affirmativen Charme darüber hinweg zu täuschen, dass sie eigentlich keine Aufgabe hat. Später wird sie gefeuert, nachdem sie freundlich gefragt worden war, ob ein niedrigeres Gehalt für sie in Ordnung sei –  Ihr männlicher Kollege würde gern mehr verdienen. Was Hohmann an dieser Stelle als überspitzt und komisch darstellt, kommt der Realität allerdings gefährlich nah. 

Das Absurde und das Reale verschwimmen in Hohmanns Texten ebenso wie in Marcassas Erzählung. Neben Berufsbezeichnungen in Partygesprächen geht es um Träume, in denen vergebliche Arbeit im Akkord wiederholt wird, um aussterbende Konzepte der Gegenwart, fun facts und Süßigkeiten. Zum Titel inspirierte Hohmann der Werbeslogan eines Coffee-Shops („STRESSED spelled backwards means DESSERTS – but DESSERTS spelled backward means STRESSED too”).  Dass sich in den Texten immer wieder autobiografische Schnipsel aus dem Leben der Autorin finden lassen, macht sie umso greifbarer. 

Relatable ist „Stressed Desserts” sicherlich nicht nur für all diejenigen, die in Service-Jobs arbeiten. Das Buch wirft einen kritisch-ironischen Blick auf den kapitalistischen Dienstleistungsbetrieb und trägt seine Lesenden dennoch mit verspielter Leichtigkeit durch die Texte. Es ist eine künstlerische Auseinandersetzung zwischen Büro-Ästhetik und einem prekären gesellschaftlichen Zustand  – der Arbeitsrealität sehr vieler weiblich gelesener Personen. 

Olga Hohmann; Chiara Marcassa, „Stressed Desserts”. € 20,00. windpark books, 2024. 

Autor*in

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert