Forschungsprozesse offenlegen und reflektieren – das gehört für Lisa Niendorf, besser bekannt als @FrauForschung auf Instagram, zur guten wissenschaftlichen Praxis dazu. Warum gerade Social Media der richtige Ort dafür ist und warum sie sich mehr Raum für Emotionen in ihrer Forschung und Lehre wünscht, hat Lisa uns im Gespräch erklärt. Text: Pauline Roßbach & Paddy Lehleiter

»Wir haben heute zwei Gäste hier, die mich für den Tag begleiten. Wenn sich von euch jemand damit nicht wohlfühlt, dann können Sie mir auch gern sagen ‘›Nee, Frau Niendorf, da gerät mein Safer Space ins Wanken‹«. So beginnt Lisa Niendorf, Dozentin und Bildungsforscherin an der Humboldt Universität Berlin (HU), ihre Seminarsitzung. Die Lehramtsstudierenden scheuen sich nicht, auf Nachfrage konstruktive Kritik am Unterricht zu üben. Die Stimmung ist entspannt. Lisa setzt in ihrer Arbeit auf Nahbarkeit, Transparenz und Reflektion: nicht nur im Seminarraum, sondern auch online. Während der Pandemie begann sie auf Twitch, später auch auf Instagram und TikTok, sich auf ihrem Kanal @Frauforschung kritisch mit dem Wissenschaftsbetrieb auseinanderzusetzen. Sie postet zu mentaler Gesundheit, teilt ihre persönlichen Erfahrungen als queere Dozentin und gibt Tipps zum wissenschaftlichen Arbeiten. Sie ist damit eine der wenigen, die Wissenschaftskommunikation auf Social Media betreiben.
Wissenschaftskommunikation umfasst alle Formen des Kommunizierens von Forschungsergebnissen und ihren Entstehungsprozess an Zielgruppen außerhalb der Universität. Während in den Naturwissenschaften bereits viel Wissenschaftskommunikation stattfindet, ist sie in den Geistes- und Sozialwissenschaften laut Lisa fast nicht existent. »Gerade mit Blick auf die heutigen Entwicklungen, wo die Inhalte der Sozialwissenschaften mit Meinung gleichgesetzt werden, ist es umso wichtiger darzustellen, wie Wissenschaft generiert wird. Professor*innen setzen sich ja nicht hin und schreiben willkürlich auf, wie sie denken, dass soziale Normen und Systeme funktionieren. Da stehen systematische Analysen von Literatur, Interviews, Fragebögen, Statistik und vieles Weitere dahinter.« Doch das bleibt häufig unbeachtet.
»In kaum einem anderen Feld definiert Leistung so stark deinen Wert wie an der Universität.«
Lisa Niendorf
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) stellt in einem Grundsatzpapier zur Wissenschaftskommunikation fest: Obwohl Institutionen wie Wissenschaft im Dialog (WiD), das Science Media Center Germany (SMC) und das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) wichtige Arbeit leisten, erschweren sogenannte ›Reputationslogiken‹ den Prozess. Objektivität, Leistung und Exzellenz werden an der Universität noch immer groß geschrieben. Transparenz, Reflexion über die eigene Subjektivität und die Anerkennung eines Kulturwandels weg von Büchern und Journals hin zu Social Media und Podcasts haben sich als Werte hingegen noch nicht durchgesetzt. Die Anerkennung von Wissenschaftler*innen basiert nach wie vor fast ausschließlich auf Publikationen. »In kaum einem anderen Feld definiert Leistung so stark deinen Wert wie an der Universität«, sagt Lisa. »Wenn du Professor*in bist, dann bist du deine Leistung. Und in dieser Position kann es vorkommen, dass du bestimmte Verhaltensweisen an den Tag legst. Und die beinhalten akademischen Leistungsdruck. Dazu kommen die patriarchalen Nebenwirkungen: Wir haben nach wie vor eine von Männern dominierte Führungsetage, und Männer werden in patriarchalen Systemen so erzogen, dass sie keine Schwäche zeigen dürfen. Das heißt, der Raum, um mit einer Führungsperson über Emotionen zu sprechen, ist wahrscheinlich nicht vorhanden – aufgrund der Strukturen, die auch im Wissenschaftssystem wirken.«

Wissenschaftliches Arbeiten gilt als seriös, wenn es objektiv und rational ist. Lisa fügt dem hinzu, dass objektiv zu arbeiten auch Transparenz beinhaltet. Für sie geht es darum, den wissenschaftlichen Prozess sichtbar zu machen. »Über den Alltag als Wissenschaftler*in zu kommunizieren bedeutet für mich, nicht nur zu sagen: Ich bin in dieser Publikation zu folgender Erkenntnis gekommen. Ich möchte aufzeigen: Wie viele Entwürfe gab es eigentlich? Wie viele Leute haben darüber geschaut? Und wie lange habe ich an dem Ding gesessen?« Gerade für Einsteiger*innen im Wissenschaftsbetrieb mache diese Offenheit einen großen Unterschied.
Social Media bietet ihr den Raum, sich menschlich zu zeigen – auf eine Art, die im traditionellen Wissenschaftsbetrieb oft abgewertet wird. »Ich zeige mich oft emotional auf Instagram, vielleicht auch mehr, als andere Wissenschaftskommunikator*innen das tun. Aber ich finde eben, dass alles, was wir tun, emotional ist. Immer. Es gibt keine Trennung zwischen Ratio und Emotio. Wir sollten objektiv arbeiten, aber transparent sein hinsichtlich unserer Positionalität und biases.« Die Positionalität von Wissenschaftler*innen zu betonen, bedeutet auch, über mentale Gesundheit zu sprechen. Lisa geht offen mit ihrer Angststörung um und ihr ist es wichtig, ein realistisches Vorbild für Studierende zu sein: »Ich möchte auftreten als jemand, der morgens aufsteht und sich manchmal fragt: ›Oh Gott, schaffe ich das heute?‹ Ich kenne viele Professor*innen, die solche struggles haben.«
»Ich komme quasi einfach zu den Studis ins Wohnzimmer, da wo sie alltäglich sind und scrollen.«
Lisa Niendorf
Erst seit sie eine unbefristete Stelle an der HU hat, tritt Lisa auf Social Media mit ganzem Namen auf. Denn Instagram und Co. werden im universitären Umfeld nicht nur als positiv wahrgenommen. Das ist kein Wunder im Hinblick auf Fake News und Studien, die Einsamkeit und Depressionen auf unsere Lieblings-Eskapismus-Apps zurückführen. Was Lisa an Instagram gefällt, ist die besondere Niederschwelligkeit: »Ich komme quasi einfach zu den Studis ins Wohnzimmer, da wo sie alltäglich sind und scrollen.« Keine Paywall, keine Formulierungen, für die man einen PhD braucht, um sie zu verstehen, und meistens sogar noch unterhaltsam aufbereitet. Ein besonders wichtiger Aspekt ist der Dialog: Auf Social Media werden Inhalte nicht wie bei der Publikation in akademischen Journals in den Äther geschickt, sondern werden geliked, kommentiert, geteilt. Lisa verwendet oft die Story-Funktion auf Instagram für Umfragen zu den Haltungen und Gefühlen ihrer Follower*innen und nutzt ihre Reichweite, um Projekte von Studis zu teilen. So weit, so harmonisch. Doch Lisa sieht auch die Gefahren der Misinformation auf Social Media. Oft reiche ein wissenschaftlich klingender Username schon aus, um als seriös und kompetent angesehen zu werden, obwohl nicht klar ist, welche Quellen dahinterstecken. »Wir als wissenschaftliche Community können keinen umfangreichen Schutz vor Fake News leisten. Viel wichtiger ist, dass junge Personen darin geschult werden, seriöse Inhalte von Falschinformationen zu unterscheiden.« Auch das BMBF listet Kinder und Jugendliche in seinem Grundsatzpapier als eine der Hauptzielgruppen für Wissenschaftskommunikation; denn früh übt sich, wenn es darum geht, Quellen zu überprüfen und einen eigenen Blick für die Seriosität, Relevanz und Unparteilichkeit von Inhalten zu entwickeln. Institute wie das NaWik haben längst den Nutzen des Internets erkannt und bieten Workshops für die Nutzung sozialer Medien an.
Trotz dieser Angebote fehlt es doch noch sichtlich an institutionellen, universitären Strukturen für Wissenschaftskommunikation. Das betont auch Lisa. Für sie ist die Arbeit als Influencerin und Dozentin manchmal anstrengend: »Der Berg an Aufgaben fühlt sich am Anfang oft überwältigend an. Man denkt: Das schaffe ich nie. Dann schreibe ich erstmal alles auf, verschaffe mir einen Überblick und es wird leichter.« Wenn gar nichts mehr geht, hilft ihr manchmal auch nur eins: Doomscrolling und Storys gucken. Sich in den Sog hineinziehen zu lassen und zu denken: »Geiler shit, wie cool ist es, dass ich jetzt über nichts nachdenken muss.«
