Auf dem Campus Düppel der Freien Universität werden Studis nicht zu herkömmlichen Wissenschaftler*innen ausgebildet. Pferdewissenschaften – ein Studiengang, den in ganz Deutschland nur die Freie Universität Berlin als Bachelorstudiengang anbietet. Wer noch nie von diesem Studiengang gehört hat, hat jetzt die Chance, ihn mit uns, Leona Reinberger und Eliza Lilija Beuster, zu entdecken, bevor er vielleicht für immer verschwindet.

Am Rande der Hauptstadt weht die gute, frische Landluft. Zwischen roten Backsteingebäuden wiehert und schnaubt es. Es ist kurz vor 13 Uhr am Campus Düppel. Vor dem Eingang der Pferdeklinik treffen wir die Erstis Mariam und Charlie. Mariam kam eher zufällig zu diesem Studium: „Ich wollte immer Psychologie studieren. Der Studiengang stand in der alphabetischen Liste direkt daneben. Ich habe mich mehr aus Joke beworben.“ Heute ist sie glücklich mit ihrer Wahl. Genauso wie Charlie, obwohl dey ursprünglich Veterinärmedizin studieren wollte.
Pferdewissenschaften – ein Studiengang nur für Pferdegirls?
Etwa ein Drittel hat ein eigenes Pferd, doch nicht alle Studis erfüllen das Klischee. „Wir sind durchmischter, als man sich das vorgestellt oder befürchtet hat“, erklärt Mariam. Laut Charlie sind „Trotzdem alle Pferdefans. Muss ja auch irgendwo sein!“. Dabei verstehen sich die Studis gut und sind nicht wettbewerbsorientiert, wie man es aus dem Reitsport kennt. Die kleine Kohorte von 40 Studierenden sei eher wie ein Klassenverband: „Wir haben eigentlich alle Kurse miteinander, daher hat man eine relativ enge Connection und kennt alle mit Namen“, erzählt Mariam.
Aber Pferdeliebe allein reicht nicht. Der Stundenplan ist vielschichtig, er behandelt Fächer wie Chemie, Biologie und Landwirtschaft. Neben Praxiseinheiten gibt es Vorlesungen zur Agrartechnik und pflanzlicher Produktion. Doch die Besonderheit des Studiengangs liegt in der Arbeit mit Pferden. Charlie erklärt, wie eine Praxisstunde für Erstis abläuft – für dey besonders wertvoll, da dey vorher keinen Pferdebezug hatte. Sie beginnen mit den Grundlagen: Umgang mit dem Pferd, Hufe auskratzen, Halftern. Zudem gibt es viele, praxisnahe Exkursionen im Studiengang. Charlie erzählt: „Wir waren letzte Woche in Karlshorst bei der Trabrennbahn, beim Sport- und Therapiezentrum. Thema war der landwirtschaftliche Anlagebau und wir sollten den Betrieb auf die Tierschutzfreundlichkeit bewerten.“
Während viele Studis noch unentschlossen sind bezüglich ihres Wegs nach dem Bachelor, hat Mariam schon einen Plan: „Ich meine, das ist ja so eine riesige Wirtschaft hinter dem ganzen Pferde-Business“
Neben Gestütsleitung, Zuchtberatung und Vertriebsmanagement, gibt es viele weitere Berufe, die man mit diesem Studiengang ausüben kann. Mariam möchte nach dem Bachelor einen Agrar-Master machen und danach weiter im Forschungsbereich arbeiten.
Wie der Studiengang zum Stillstand kam
Dann von beiden die überraschende Nachricht: Der Studiengang wird nicht fortgesetzt. Mariam und Charlie gehören zum letzten Ersti-Jahrgang. Warum?- Das wollen wir von Studiengangskoordinator Jörg Kotenbeutel erfahren. Während die Studis in die Vorlesung eilen, machen wir uns auf den Weg zum Dekanatsgebäude – der Turm einer ehemaligen Brennerei.
Oben angelangt nehmen wir Platz. Herr Kotenbeutel erzählt uns, wie aus einer Idee des damaligen Dekans und des Kanzlers der FU ein Bachelorstudiengang wurde. „Die beiden wollten in Bad Saarow etwas für Menschen und Pferde machen“, berichtet er. Der Standort wurde dem Fachbereich Veterinärmedizin zur Verfügung gestellt – ein neuer Studiengang war geboren. Herr Kotenbeutel war von Anfang an dabei. „Ich habe den Pferdevirus schon frühzeitig eingeatmet.“ Nach seiner Ausbildung zum Zootechniker studierte er an der Humboldt-Uni, arbeitete als Assistent und sammelte 20 Jahre Erfahrung in einem Pferdezuchtverband. Als die FU jemanden suchte, der theoretisches Wissen und praktische Erfahrung mitbringt, war schnell klar, dass er der perfekte Kandidat für das Experiment Pferdewissenschaften war.
Der Studiengang soll Praxis und Wissenschaft verbinden. Besonders wichtig: die Mensch-Pferd-Kommunikation. Herr Kotenbeutel nennt es schmunzelnd „Pferdeflüstern“ – das wollen wir auch lernen! „Das Pferd hat eine ganz ausgeprägte Gestik und Mimik, die es auch bei anderen erkennen kann“, erklärt er uns. „Und so kann das Pferd eigentlich auch sehr gut auf die Körpersprache des Menschen reagieren.“ Das Ganze lernen die Studis zudem aus der wissenschaftlichen Perspektive der Ethologie, also der biologischen Verhaltensforschung. Sind Pferde dann nicht vielleicht die besseren Professoren? „Nee“, sagt Herr Kotenbeutel. Aber weiter: Man bekäme vom Pferd sofort ein Feedback. „Das Pferd lügt eben nicht. Also entweder man macht es richtig und das merkt man sofort oder man macht es falsch und dann merkt man das auch sofort. Vom Professor kriegt man das vielleicht nicht so deutlich.“
Doch nun soll der Studiengang eingestellt werden. „Der Fachbereich hat sicherlich die richtige Entscheidung getroffen“, bestätigt uns Herr Kotenbeutel. Der entscheidende Schauplatz? Tatort Bad Saarow. „Das Pferdezentrum hätte funktionieren können, ist aber vermanaged worden.“ Es wurde am Praxisstandort schlichtweg zu schlecht gewirtschaftet, sodass die FU das Pferdezentrum wieder in private Hand geben musste – wer die Verantwortung dafür trägt, bleibt unklar. Doch fest steht: Die Arbeit mit den Pferden dort muss jetzt teuer bezahlt werden.
Der zweite Grund ist das Ende des Lehraustauschs mit der HU. „Wir haben das, was Gesundheit, Fütterung und Pferdehaltung betrifft, hineingetragen und im Gegenzug landwirtschaftliche Lehre bekommen. Also, es hat die Humboldt-Uni und uns nichts gekostet.“ Doch jetzt hat die HU die (Lehre und Ausbildung in der)Tierzucht abgeschafft, braucht also keinen Input mehr von der FU und verlangt für Ihren Teil des Austauschs nun Geld. „Das heißt, wir müssten jetzt fast 50 Prozent der Lehre einkaufen – das ist natürlich Unsinn.“
Dabei ist der Abschluss gefragt. „Wir haben vielleicht 220, 230 Pferdewissenschaftlern den Stempel aufgedrückt. Und die werden in der Praxis auch echt gesucht.“ Was aus ihnen geworden ist? „Einige haben wirklich tolle Karrieren, sind Zuchtleiter oder bieten Pferdesafaris in Afrika an.“
Ganz aufgegeben hat Herr Kotenbeutel die Hoffnung nicht. „Wenn eine Tierzuchtprofessur eingerichtet wird und ein Professor berufen wird, der Pferde-Freak ist, könnte der Studiengang wieder aufgenommen werden.“ Im Moment sehe es jedoch nicht danach aus. „Wir sind wirklich Einzelkämpfer. Wenn ich krank werde, ist niemand da, der meine Lehrveranstaltung übernehmen könnte.“ Zum Glück, fügt er schmunzelnd hinzu, sei das in zehn Jahren nicht passiert. Und so können auch Charlie und Mariam als letzte Pferdewissenschaftler*innen noch auf eine gute Ausbildung und Betreuung im Studium hoffen.

Nach dem Gespräch verlassen wir die alte Brennerei und müssen erstmal tief durchatmen. Draußen steigt uns wieder der vertraute Geruch nach Pferden in die Nase. Wir beschließen, den wahren Stars des Studiengangs noch einen letzten Besuch abzustatten. Gegenüber vom Reitplatz laufen wir an den Stallungen der Klinik entlang. Ein paar Pferde strecken neugierig ihre Köpfe aus den Boxenfenstern, ihre Ohren zucken aufmerksam in unsere Richtung. Wie süß! Ein bisschen sehnsüchtig bleiben wir stehen, beobachten, wie sie gemächlich Heu kauen. Kann man vielleicht doch noch den Studiengang wechseln?