Egal ob als Portal zum Bösen oder als Jumpscare-Enthüllher: Spiegel sind aus Horrorfilmen nicht wegzudenken. Aber warum sind sie eigentlich so gruselig?

Hand aufs Herz: Habt ihr euch schonmal getraut, in einen Spiegel zu schauen und dann dreimal Bloody Mary zu sagen? Vielleicht als Mutprobe in der Mittelstufe beim Horrorfilmabend mit Freund*innen? Oder war es dann doch irgendwie zu gruselig, obwohl man ganz rational weiß, dass kein kleines Mädchen im weißen Nachthemd hinter einem auftauchen wird und einen umbringen will? So hundertprozentig ausschließen kann man es dann doch nicht. Denn genau das ist der Stoff unzähliger Horrorfilme: Im Spiegel versteckt sich etwas Unheimliches, und durch das Hineinschauen wird es heraufbeschworen. Dabei ist es egal, ob es ein kleines Mädchen wie Bloody Mary oder doch der Candyman ist. Aber woher kommt diese Assoziation des Bösen und Unheimlichen, die erst durch die Spiegelung offenbart wird? Und warum funktioniert sie so gut im Horrorfilm?
Wenn wir in den Spiegel schauen, sehen wir uns selbst, aber eben doch keine genaue Kopie, sondern eine andere, verkehrte Version von uns. Und wenn man davon ausgeht, dass sich die meisten Menschen für ziemlich gut bis okay halten, bedeutet das im Umkehrschluss, dass die Person im Spiegel alle schlechten und bösen Aspekte vereinen muss. Der wohl bekannteste Film, der diesen Gedanken aufgreift, ist Black Swan (2012). Die Balletttänzerin Nina findet im Spiegel das Gegenstück zu ihrem weißen Schwan, ihre dunkle Seite, die im Laufe des Films immer mehr die Oberhand gewinnt. Die Grenze zwischen den beiden Seiten verschwimmt mit Ninas psychischen Zerfall immer weiter, bis schließlich der Spiegel zerbricht und sie (Spoiler Alert) den schwarzen Schwan mit einer Scherbe ersticht. Oder ist es doch umgekehrt?
In der eigenen Reflektion manifestiert sich das bekannte Horrorfilm-Motiv des bösen Doppelgängers. Meisterhaft auf die Spitze treibt dieses Konzept Jordan Peele in Us (2019). Basierend auf der Verschwörungstheorie, dass die kompletten USA untertunnelt sind, erzählt Peele von einer Familie, die in ihrem Sommerurlaub auf eine dunklere, verdrehte Version von sich selbst trifft. Während die normale Gesellschaft glücklich im Sonnenschein lebt, sind die Tethered gezwungen, ein fremdbestimmtes Schattenleben im Tunnelsystem zu fristen. Der Übergang zwischen den beiden Welten befindet sich an keinem anderen Ort als einem Freizeitpark-Spiegelkabinett. Dieser Ort ist dafür gemacht, die Besucher*innen so lange optisch zu täuschen, bis sie nicht mehr zwischen Spiegelung und Realität unterscheiden können. Was das Spiel mit dem Spiegel dabei so unheimlich macht, ist, dass das Andere auf einmal nicht mehr offensichtlich gruselig ist, stattdessen liegt der Grusel in der Ähnlichkeit zu uns selbst. Wie in vielen anderen Filmen wird auch in Us die Autonomie der Spiegelwelt enthüllt, indem das Spiegelbild aufhört, den Bewegungen des Originals zu folgen. Manchmal ist es ein Handheben. Manchmal ein verstörendes Lächeln, das sich auf dem Spiegelgesicht ausbreitet.
Für viele Horrorfilm-Fans sind Momente wie diese leider schon zum abgedroschenen Klischee geworden. Sobald im Film irgendwo ein Spiegel oder auch nur eine Reflexion im Fenster zu sehen ist, wartet man als Zuschauer*in nur noch darauf, dass etwas passiert. Kein*e Regisseur*in kann noch ohne Ironie eine unerwartete Präsenz durch das Schließen des Spiegelschranks über dem Waschbecken enthüllen. Was nun Spannung erzeugt, ist genau die Abwesenheit der mordlüsternen Person in der Reflexion– der Bruch mit der Erwartung der Zuschauenden. Es ist also an den Filmschaffenden, sich immer neue Wege einfallen zu lassen, um die Unheimlichkeit und Mystik der Spiegel nicht in langweiligen Reproduktionen der immergleichen Momente verkommen zu lassen. Ganz wird das Gruselpotenzial der Spiegelungen aber wohl nie verschwinden. So richtig wohl fühlt man sich beim Blick in den Spiegel oder aus dem dunklen Fenster nach einem Horrorfilm nie. Was, wenn es Bloody Mary doch irgendwie aus dem Laptop schafft? Den klappt man also lieber schnell wieder zu, bevor einen die eigene Reflexion im Bildschirm während des Abspanns zu Tode erschreckt.