Von Staatsinteresse

Menschenrechtsaktivismus in Deutschland ist oft eng an Staatsinteressen gebunden – ob finanziell, ideell oder diplomatisch. Das bringt Konsequenzen mit sich – besonders für Kritiker*innen. Im Gespräch mit Jonathan Peaceman (IG: @jonpeaceman) darüber, welche Räume für Kritik und Konfrontation eigentlich wichtig bleiben. 

Jonathan Peaceman im Gespräch mit FURIOS. Foto: Anonym.

FURIOS: In den Sozialen Medien kritisierst du, dass hinter dem Begriff „Menschenrechtsaktivismus” oft neoliberale, reaktionäre Perspektiven stecken. Wie kamst du zu dieser Erkenntnis?

Jonathan: Das wurde mir erst so richtig bewusst, als ich angefangen habe, meine Meinungen zu Menschenrechtsthemen mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen. Bis Anfang 2024 war ich auf Social Media eher privat unterwegs. Auch zu Israel/Palästina habe ich Meinungen nur mit meinen Freund*innen geteilt. Irgendwann verfasste ich dann einen Text in meiner Notizenapp. 

FURIOS: Du schreibst darin: „An erster Stelle sind es Palästinenser, die durch ihre bloße Existenz, Geschichte und Gegenwart diese ‘perfekte Opfer’-Fantasie in Frage stellen und drohen, das Happy End im deutschen Nationalnarrativ zu zerstören, wobei die Existenz von Israel-als-perfekter-Opfer-Staat auf welche Weise auch immer historische deutsche Verbrechen gegen Juden ausradieren sollte”. 

Jonathan: In dem Post ging es neben Kritik an der deutschen „Staatsräson“ auch darum, wie es sich in dem Moment für mich anfühlte, als jüdische Person in Deutschland zu leben. 

FURIOS: Wie ging es danach weiter?

Jonathan: Der Post bekam viel Aufmerksamkeit – und ich teilte mehr. Darunter auch eine Aufforderung an Düzen Tekkal, einen Stopp der Waffenlieferungen nach Israel zu fordern. Ich war überrascht, dass sie dazu als bekannte Menschenrechtsaktivistin noch nichts gesagt hatte. Daraus entstand eine umfassende Dokumentation und Kritik zu ihrer Arbeit – sowie zu derer anderer bekannter Menschenrechtsaktivist*innen wie Kristina Lunz vom Center for Feminist Foreign Policy (CFFP)*. 

FURIOS: Düzen Tekkal ist besonders für ihren Einsatz für Jesid*innen bekannt geworden. Du wirfst ihr jedoch auch vor, rassistische Ressentiments zu bedienen und Menschenrechte selektiv zu verstehen. Dabei steht die starke Selbstvermarktung ihrer Person im Zentrum deiner Kritik. Warum beschäftigst du dich gerade mit ihr? 

Jonathan: Ich werde oft gefragt, warum ich mir nicht die AfD vorknöpfe oder Politiker*innen wie Friedrich Merz, weil die ja “noch schlimmer wären”. Aber viele meiner Follower*innen und auch Menschen in meinem Umfeld würden diese ohnehin nicht wählen. Wenn aber Menschenrechtsaktivist*innen ähnliche Aussagen tätigen oder Meinungen vertreten, dann ist das etwas, wozu es deutlich mehr Aufklärung und Kritik geben sollte.

FURIOS: Bleibt da nicht das Risiko, sich nur an der anderen Person abzuarbeiten? 

Jonathan: Mir geht es nicht um Privatpersonen – sondern um Entscheidungsträger*innen. Düzen Tekkal zum Beispiel hat über 200.000 Follower*innen auf Instagram. Dazu kommen Kooperationen mit führenden deutschen Politiker*innen: von Julia Klöckner über Jens Spahn bis hin zu Cem Özdemir. Kritik an ihr ist deshalb immer auch eine Gesellschaftskritik: Wieso gab es im Mainstream kaum öffentliche Empörung über ein Video, das Falschaussagen über in Deutschland lebende Muslime zeigt?

Wieso werden Betroffene von der Dominanzgesellschaft allein gelassen mit ihrer berechtigten Wut und Empörung? Diese Fragen gehen weit über eine Person hinaus.

Jonathan Peaceman

FURIOS: Warum diskutierst du sie gerade online? 

Jonathan: Normalerweise übernehmen Medien die kritische Begleitung von Selbstinszenierung. Online fällt das aber weg. Im digitalen Raum gibt es kaum moderierte Debatten, und die Diskussionskultur auf Instagram ähnelt vielleicht eher einer Polit-Talkshow, bei der sich jede Person ihr eigenes Bild machen kann. Vielleicht kann meine Dokumentation, die meistens auf Aussagen beruht, die Menschen selbst getroffen haben, diese Funktion ein Stück weit übernehmen – und aufzeigen, was im Hintergrund alles passiert.

FURIOS: Was genau meinst du mit Hintergrund?

Jonathan: Ich erkläre es mir so: Der Erfolg einzelner Menschen[-rechtsaktivist*innen] hängt davon ab, dass sie vom Staat gebraucht werden. Denn Deutschland versucht, sein interessengeleitetes Handeln über Menschenrechte zu legitimieren und zu erklären – zum Beispiel durch staatsnahe Think-Tanks wie das CFFP. Dort wirbt man* parallel zu deutscher Unterstützung für schwere Menschenrechtsverletzungen in Palästina mit der deutschen Außenministerin. Letztlich liegt der Fokus der Arbeit dabei eher auf Menschenrechtsverletzungen, die nicht gerade von Partner*innen oder von Deutschland selbst begangen werden. In meiner Kritik geht es also um eine Art „Menschenrechtspatriotismus”.

FURIOS: Welche Reaktionen kamen, nachdem du diese Zusammenhänge öffentlich kritisiert hattest?

Jonathan: Zum einen setzte man* auf den Missbrauch von Identitätspolitik, wie er bei Rechten gang und gäbe ist: legitime Kritik an Israel sei antisemitisch, Kritik an den rassistischen Aussagen einzelner Frauen misogyn und so weiter. Anfangs wurde ich auch Opfer von Doxing1: Mein voller bürgerlicher Name und Wohnort wurden über Fake-Profile veröffentlicht. Dabei wurden sogar Arbeitgeber*innen markiert. Später wurde versucht, mich auf juristischem Weg einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen.2 Andererseits erhalte ich nach wie vor auch sehr viel Zuspruch. Viele Leute waren überrascht, dass die Personen, die ich kritisiere, juristisch gegen mich vorgehen. Denn ich bin schließlich nicht die einzige Person, die im Internet irgendetwas schreibt. Offenbar habe ich einen wunden Punkt getroffen.  

FURIOS: Wie sollte mit dieser verwundbaren Seite des Menschenrechtsaktivismus umgegangen werden?

Jonathan: Ich denke, es bleibt wichtig, sich zu fragen: Wo befinde ich mich selbst? In welchem Staat bin ich Bürger*in und demnach auch in Kompliz*innenschaft, wenn es um Menschenrechtsverletzungen geht? Inwieweit bieten meine potenziellen Kooperationspartner*innen darauf eine Antwort – oder eben nicht? 

FURIOS: Welche Perspektive bleibt demnach für Menschen, die sich für Menschenrechte engagieren möchten?

Jonathan: Die Auschwitz-Überlebende und Antifaschistin Esther Bejarano sagte einmal: „Wer gegen Nazis kämpft, kann sich auf den Staat nicht verlassen.“ Mit dem Kampf für Menschenrechte verhält es sich nicht anders. Das zeigt besonders Gaza auf schreckliche Art und Weise. Es sind meist Staaten, die über ihr Gewaltmonopol Menschenrechte verletzen und dabei von anderen Staaten unterstützt werden. Deswegen sollte man als Menschenrechtsaktivist*in mit einer kritischen Distanz zu jeglichem Staat arbeiten – und oft auch gegen den Staat. Ich sage nicht, dass wir alle Anarchist*innen werden müssen. Aber es hilft, eine gewisse Unabhängigkeit zu bewahren. Hier wird natürlich ein größeres strukturelles Problem deutlich: Menschenrechtsprojekte werden oft von staatlichen Stellen gefördert. Und die Mehrheit macht bestimmt gute Arbeit. Durch meine Dokumentation verstehen Leute aber vielleicht, dass es auch andere Wege gibt, um sich für Menschenrechte einzusetzen und etwas zu verändern.

FURIOS: An welche denkst du da?  

Jonathan: Ich bin wahrscheinlich besser darin, das Bestehende zu kritisieren, als neue Strukturen aufzubauen. Aber ich denke hier insbesondere an Graswurzelbewegungen, Formen des zivilen Ungehorsams, konfrontativer Aktivismus. Ich glaube, wir müssen ungemütlich bleiben, Lärm machen. In Deutschland sind wir viel zu harmoniebedürftig. Den Preis für diese „Ruhe und Gemütlichkeit“ zahlen aber die Menschen mit den wenigsten Privilegien. 

Furios: Was bedeutet das für dich persönlich, aber auch für die Persona @jonpeaceman?

Jonathan: Die möchte ich heute erstmal für mich zurück – sodass der Account eben nicht das Archiv des „Anti-Menschenrechtsaktivismus” bleibt. Was ich über die Zeit gesammelt habe, werde ich bald auch „Open-Source” zur Verfügung stellen.

Das Thema Einschüchterung von Journalist*innen und Aktivist*innen begegnet mir seit all dem immer wieder – und bleibt aktuell, denn es zeigt etwas Universelles: Wer mehr Geld hat, hat eben auch mehr Möglichkeiten, Macht auszuüben. Genau deshalb bin ich auch nach wie vor froh, dass im digitalen Raum jede*r anonym Meinungen teilen kann. Im Zweifel kann das vor Repressalien schützen – und damit auch die Rechte von Kritiker*innen und Aktivist*innen. 

*Vor dem Erscheinen des Artikels erhielt die FURIOS Redaktion die Nachricht, dass Jonathan den laufenden Rechtsstreit wegen Diffamierung gegen Kristina Lunz Tage zuvor gewonnen hatte. Der Grund: Eine Frist wurde nicht eingehalten.

  1. Doxing beschreibt das Sammeln und Veröffentlichen von persönlichen Daten, um den Personen dahinter strategisch Schaden zuzufügen. ↩︎
  2. Diese Form der Einschüchterung wird auch als SLAPP bezeichnet. Das steht für „strategic lawsuit against public participation” (dt. Strategische Klage gegen öffentliche Beteiligung) ↩︎


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2 Responses

  1. “*Vor dem Erscheinen des Artikels erhielt die FURIOS Redaktion die Nachricht, dass Jonathan den laufenden Rechtsstreit wegen Diffamierung gegen Kristina Lunz Tage zuvor gewonnen hatte. Der Grund: Eine Frist wurde nicht eingehalten.”

    Auch hier könnte man sagen: Ehrlich, please! Denn nach der Darstellung von Kristina Lunz, ist das hier passiert:

    “Im März 2025 behauptete er gerichtlich gegen mich gewonnen zu haben. Tatsächlich entschied das Oberlandesgericht Hamburg lediglich, unseren Antrag auf ein Eilverfahren aus formalen Gründen nicht zuzulassen – angeblich wegen Fristversäumnis. Eine inhaltliche Bewertung seiner Aussagen fand nicht statt.

    Diese Entscheidung spiegelt die bittere Realität vieler Frauen wider, die sich gegen (sexualisierte) digitale Gewalt juristisch zur Wehr setzen: Gerechtigkeit gibt es kaum. Obwohl klare Fristen fehlten, wurde unser Antrag als verspätet gewertet – weil wir auf Wunsch der Gegenseite (Sic!) über Wochen an einer Einigung arbeiteten, die „Jonpeaceman“ am Tag der geplanten Unterzeichnung platzen ließ. Diese Einigung hätte mir keine Gerechtigkeit gebracht, aber möglicherweise die Gewalt beendet. Es wirkt eindeutig so, als habe er es bewusst darauf angelegt, unsere Chance auf rechtlichen Schutz zu verringern.

    Hinzu kommt: „Jonpeaceman“ scheint gezielt rechtliche Konsequenzen zu umgehen. Er ist aus Deutschland abgemeldet und gibt an, sich im Ausland aufzuhalten. Gleichzeitig konnten wir nachweisen, dass sein Name weiterhin am Klingelschild eines klar zuzuordnenden Wohnsitzes in Deutschland steht – was eigentlich eine zustellungsfähige Adresse darstellen sollte, die für ein juristisches Verfahren nötig ist. Dennoch bestreiten er und seine Anwälte dies und verweigern darüberhinaus die Erteilung einer Vollmacht, die eine offizielle Zustellung ermöglichen würde. Alles deutet darauf hin, dass hier systematisch versucht wird, sich straf- und zivilrechtlicher Verantwortung zu entziehen. Weitere Verfahren laufen.”

    Da stellt sich die Frage, wie ernst es jonpeaceman mit der von ihm gewünschten Konfrontation ist. Ich hätte mir da im Interview auch deutlich kritischere Töne gewünscht.

  2. Ehrlich, please! sagt:

    “ Mir geht es nicht um Privatpersonen – sondern um Entscheidungsträger*innen.”

    Bei allem Respekt: Entweder flunkert er da oder erinnert sich nicht so ganz an all seine Online-Aktivitäten, da er durchaus auch mal bei anderer Meinung Leuten in die DMs geslidet ist und auch gerne mal nicht so große Accounts (meist Frauen btw) in seiner Story für die followerschaft als Feind markiert hat.

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