Wissenschaft im Widerstand – ein Rückblick

Vergangenen Mai veröffentlichten Lehrende verschiedener Berliner Universitäten ein gemeinsames Statement: gegen die Räumung des Protestcamps an der Freien Universität (FU) durch die Polizei und die strafrechtliche Verfolgung beteiligter Studierender – sowie für das Recht auf friedlichen Protest. Wie steht es ein Jahr später um die Wissenschaftspraxis an Berliner Hochschulen? Ein Beitrag von Mara Stöhr.

Das Foto zeigt den Eingang des sogenannten Henry-Ford Baus der FU. Davor sind Büsche und eine Wiese zu sehen.
Die Berliner Hochschulen, darunter auch die FU, stehen seit letztem Jahr immer wieder im Fokus von Debatten rund um die Wissenschaftsfreiheit. Nicht nur unter Studierenden formiert sich dazu zunehmend sichtbare Vernetzung und Austausch. Foto: privat

Am 10. Mai 2024 titelte die BILD-Zeitung: „UniversiTÄTER – Uni-Lehrkräfte unterstützen Krawall-Studenten”. Darin bezieht sich Hans-Jörg Vehlewald auf einen offenen Brief von knapp 300 Lehrkräften verschiedener Berliner Universitäten. Diese werden im Artikel anschließend mit Klarnamen und Universitätszugehörigkeit aufgelistet. Die öffentliche Bloßstellung der Lehrenden reiht sich in eine zunehmend auf moralischen Argumenten beruhende Debatte ein. Eine, die immer wieder versucht, Grenzen der Wissenschaftsfreiheit untere anderem anhand eines Antisemitismusvorwurfes zu definieren. Währenddessen rückt eine andere Frage in den Hintergrund: Welche Handlungsspielräume bleiben, wenn politische Interventionen, Budgetkürzungen und öffentlicher Druck eine kritische Wissenschaftspraxis de facto weiter einschränken?

Inmitten von Polizeieinsätzen und medialer Empörung

In dem offenen Brief hieß es damals, es sei die Pflicht der Universitätsleitung, zu versuchen, Konflikte gewaltfrei und dialogisch zu lösen. Die Initiator*innen kritisierten, dass das Präsidium der FU Berlin diese Pflicht verletzt habe, als es das Protestcamp im vergangenen Mai ohne vorheriges Gespräch durch Polizeieinsatz räumen ließ. Der Allgemeine Studierenden Auschluss (AStA) räumte zwar nachträglich ein, dass im Rahmen der Besetzung antisemitische Aussagen fielen, doch auch hier konzentrierte sich das Statement auf das verfassungsmäßig geschützte Recht, sich friedlich zu versammeln – unabhängig von der geäußerten Meinung. 

In der Berichterstattung der BILD hingegen wurden Protestierende als „Israel Hassender Mob”, „Krawall Studis” und Lehrkräfte schließlich als „anti-kolonial“ und „pro-palästinensisch” pauschalisiert. Ein ganzer Absatz widmete sich außerdem der ehemaligen Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger, die das Statement als „Täter-Opfer-Umkehr” und „Gewaltverharmlosung” verurteilte. Eine Rüge des Presserates, die die Initiator*innen des Statements daraufhin einforderten, blieb aus – stattdessen folgte eine Diskussion über mögliche Kürzungen von Fördergeldern, die spätestens mit dem Beschluss des Berliner Senats, der eine Einsparung von 250 Millionen Euro im Wissenschaftsetat vorsieht, in die Tat umgesetzt wurde – wenn auch nicht als direkte Reaktion auf das Statement.

Auf Abwegen: Wissenschaftsstandort Deutschland

„Das, was gerade an den deutschen Hochschulen passiert, bietet ein Einfallstor für eine weitere Ausdehnung von Disziplinierungsmaßnahmen und den autoritären Umbau von dem, was wir Hochschule nennen”, ordnet Margarita Tsomou (Dramaturgin und Professorin für Zeitgenössische Theaterpraxis an der Hochschule Osnabrück und Teil des Sprecher*innenkreises von KriSol) indes ein. Dementgegen versuchen sich viele Akteur*innen zu organisieren – so auch die Allianz für Kritische und Solidarische Wissenschaftspraxis, kurz: KriSol. Die Allianz gründete sich bereits im letzten Herbst: „aus dem Bedürfnis und der Notwendigkeit heraus, aus der eher informellen Vernetzung herauszutreten und um dieses Thema Wissenschaftsfreiheit nicht dem parteipolitischen und dem rechten Diskurs zu überlassen”, erklärt Robin Celikates (Professor für Sozialphilosophie an der FU und Teil des Sprecher*innen Kreises von KriSol). Zwischen (Rechts-)Beratung, Vernetzung, Öffentlichkeitsarbeit, Veranstaltungsreihen und Dokumentation von Repressionen gegen Wissenschaftler*innen, positioniert sich KriSol als Plattform für Austausch – und besonders im deutschen Kontext sichtbar gegen „politische Einflussnahme, autoritäre Sicherheitslogiken und den Ausschluss vulnerabler Gruppen”.

Das sei nötig, denn in Deutschland stehe es schlechter um die Wissenschaftsfreiheit und Hochschulautonomie, als viele annehmen, so Celikates weiter. Auch wenn der Blick auf Trumps USA grundsätzlich richtig sei, dürfe er nicht von bedenklichen Parallelen in Deutschland ablenken. „Die vergangenen Polizeieinsätze an Universitäten, die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an Berliner Hochschulen oder auch die kürzliche Absage einer wissenschaftlichen Veranstaltung mit Francesca Albanese und Eyal Weizman an der FU durch die Unileitung aufgrund der „aktuellen Polarisierung und der nicht kalkulierbaren Sicherheitslage”, sind aktuelle Beispiele dafür, wie auch hier in Deutschland die Prinzipien der Freiheit und Autonomie Deutscher Hochschulen zunehmend untergraben werden. Auch die Überlegung eine*n externe*n Antisemitismusbeauftragte*n seitens des Senats einzuführen, falle laut Celikates in diese Kategorie. Offizielle Festlegungen in einem wissenschaftlich und politisch umstrittenen Feld – was zählt als Antisemitismus? – führten unausweichlich in eine repressive Dynamik.

Immer in Bewegung bleiben

Daraufhin passiere das, was in Zeiten von Repression immer passiere: „Manche ducken sich, andere werden laut und anschließend dafür bestraft”, ergänzt Margarita Tsomou. „Wenn aber alle schweigen, dann gibt es nicht den Moment, wo man sich verbünden kann”. Da könne man mit der eigenen Arbeit auf unterschiedlichen Ebenen anknüpfen. Hier sind sich die beiden Sprecher*innen von KriSol einig. Widerstand brauche es gerade auf jeder Stufe. Dafür bieten die Hochschulen viele Räume und Ressourcen, man müsse sie nur nutzen. Gerade dort sollte es das Normalste der Welt sein, kritische Diskurse zu ermöglichen. Der kleinste gemeinsame Nenner dabei: Die Universität als primär diskursiven und politischen Ort verstehen und verteidigen. Nur so könne eine breite und strategische Mobilisierung erreicht werden.

Ein Jahr nach dem Protestcamp an der FU haben rund 1400 Personen den offenen Brief unterschrieben. Darunter auch internationale Hochschulangehörige und Studierende, was zeigt: eine kritische Wissenschaftspraxis gegen den autoritären Umbau und zunehmend disziplinierende Maßnahmen zu verteidigen, entscheidet sich nicht zuletzt an denen, die bereit sind, sich dafür zu organisieren. Und das über die Wissenschaftslandschaft hinaus. Stets mit der Frage, wie Hochschulen als Orte des Dialogs und der Autonomie erhalten bleiben können.

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