Die Freie Universität steht wie keine andere Universität für Aufbruch und Neuanfang in der Nachkriegszeit. Gegründet wurde sie als Reaktion auf die SED, die versuchte, politischen Einfluss auf die Friedrich-Wilhelms-Universität, die heutige Humboldt-Universität, zu nehmen. Bis heute bestimmt der Gründungsmythos vom radikalen Neustart das Selbstverständnis der Universität. Trotzdem ist die koloniale und nationalsozialistische Vergangenheit auf dem Campus allgegenwärtig. Drei Orte an der FU mit dunkler Vergangenheit und kontroversen Geschichtsbezügen.
Ihnestraße 22

Zwischen 1927 und 1945 war das Gebäude des Otto-Suhr-Instituts in der Ihnestraße 22 Sitz des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik. Hier beschäftigten sich Wissenschaftler*innen mit Vererbungslehre und der Frage, wie der Genpool der Bevölkerung »verbessert« werden könnte. Dazu wurden Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft untersucht. Als weitere Grundlage der »Rassen«-Forschung dienten menschliche Überreste. Im Dachgeschoss lagerte eine Knochensammlung aus den ehemaligen Kolonien. Die sogenannte S-Sammlung war eine der größten Sammlungen der deutschen Kolonialzeit. Ebenso wurden Organ- und Augenpräparate, Blutproben und andere Leichenteile aufbewahrt. Der Institutsdirektor, Otmar von Verschuer, ließ sich diese von seinem einstigen Doktoranden, Josef Mengele, eigens von Auschwitz nach Dahlem senden. Das Institut lieferte den Nationalsozialist*innen eine vermeintlich wissenschaftliche Legitimation für Zwangssterilisierungen, die »Euthanasie« sowie den Holocaust und war das Sammelbecken für »Rassenhygieniker*innen«.
Obwohl die FU erst 1948 gegründet wurde, trägt sie als Gebäudeeigentümerin Verantwortung für eine angemessene Erinnerungskultur – besonders in ihrer Funktion als Universität. Trotzdem erfolgte die Aufarbeitung nur schleppend; die Initiative ging meist von Dozierenden und Studierenden aus. Der fragwürdige Umgang der Universität mit der Vergangenheit wurde besonders deutlich, als Bauarbeiter*innen 2014 auf dem Gelände auf Knochen stießen: Die Funde wurden aufgrund mangelnder Kommunikation einfach eingeäschert, obwohl es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um Knochen aus der kolonialen Sammlung oder Auschwitz handelte. Immerhin gibt es seit fünf Jahren eine Erinnerungsstätte im Gebäude. An der Fassade ist allerdings nach wie vor nur eine unscheinbare Tafel angebracht, die beim Vorbeilaufen kaum ins Auge fällt.
Henry-Ford-Bau

Ein paar Schritte weiter befindet sich der Henry-Ford-Bau. Seit vielen Jahren ist der Gebäudename Gegenstand hitziger Diskussionen. Denn: Henry Ford war nicht nur Autohersteller, sondern auch glühender Antisemit. Als Herausgeber der Zeitung The Dearborn Independent musste er sich aufgrund antisemitischer Artikel immer wieder vor Gericht verantworten. Himmler, Hitler und Co. bewunderten Ford; sie alle lasen sein Buch The International Jew und Reichsjugendführer Baldur von Schirach sagte später sogar aus, dass ihn erst diese Lektüre zum Antisemiten gemacht hätte. Darüber hinaus beteiligte sich Ford auch aktiv an NS-Kriegsverbrechen: Die deutschen Ford-Werke produzierten einen großen Teil der Wehrmachtsfahrzeuge, zum Teil durch Zwangsarbeiter*innen aus Konzentrationslagern.
Die FU beteuert zwar bis heute hartnäckig, dass der Namensgeber ihres Hauptgebäudes nicht Henry Ford sei, sondern dessen Enkel, Henry Ford II., der durch seine Stiftung den Bau finanzierte – eindeutig lässt sich das aber aus der Quellenlage nicht mehr rekonstruieren. Der Name Henry Ford wird in erster Linie mit dem Autohersteller assoziiert und nicht mit seinem wenig bekannten Enkel. Daher wäre es denkbar, die II. in den Gebäudenamen zu integrieren, um für Klarheit zu sorgen.
Straßennamen

So wie über den Namen des Henry-Ford-Baus wird auch über drei Straßennamen auf dem Campus gestritten. Die Namen der Lans-, Iltis- und Taku-Straße würdigen alle drei die deutsche Kolonialherrschaft. Um genauer zu sein: die blutige Niederschlagung des chinesischen Boxeraufstands.[1] Mit dem Kanonenboot Iltis bombardierte Kapitän Wilhelm Lans die sogenannten Taku-Forts[2], eine wichtige Verteidigungsanlage chinesischer Widerstandskämpfer*innen, die die koloniale Einflussnahme nicht länger akzeptieren wollten. Die Niederschlagung des antiimperialistischen Aufstands wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts durch Straßennamen in ganz Deutschland gewürdigt. Lans selbst wurde am Ende seiner Karriere mit Orden überschüttet und von Wilhelm II. in den Adelsstand erhoben.
An der Lansstraße liegt heute das John-F.-Kennedy-Institut, an der Takustraße das Institut für Chemie und Biochemie und an der Iltisstraße befindet sich das Immatrikulationsbüro, das für internationale Studierende oft der erste Berührungspunkt mit der Uni ist. Zwar gibt es eine Gedenktafel, die über den Hintergrund der Straßennamen informiert und eine Initiative, die 2022 eine Umbenennung forderte – seitdem hat sich jedoch nichts mehr getan und die Debatte scheint weitestgehend eingeschlafen zu sein.
[1] Die Deutschen bezeichneten die chinesischen Kämpfer*innen aufgrund ihrer Kampfkunsttechniken als Boxer*innen , obwohl es sich bei ihnen nicht um tatsächliche Boxer*innen handelte. Deshalb ging die Revolte fälschlicherweise als »Boxeraufstand« in die Geschichte ein.
[2] Der Name geht auf die Pinyin-Schreibweise »Dàgū Pàotái« zurück. Die Deutschen haben daraus Taku-Forts gemacht. Das ist allerdings keine wörtliche Übersetzung.