WG-FALLE! WIE AUS DER WOHNUNGSNOT STUDENTISCHE VERBINDUNGEN PROFITIEREN

Passende Lage, Gemeinschaftsgefühl, günstige Miete. Auf dem nervenaufreibenden Berliner-Wohnungsmarkt versuchen sich studentische Verbindungen als geeignete Wohnalternative darzustellen. Marlon Wright hat sich angeschaut, wie diese Gruppierungen gezielt von der Wohnungsnot profitieren, und was der Einzug wirklich kostet.

Das Haus der Berliner Burschenschaft “Gothia” in Zehlendorf. Foto: Marlon Wright.

Für viele Studierende wiederholt sich in den Semesterferien immer wieder das gleiche Drama: Der Zeitvertrag für die aktuelle Untermiete läuft aus. Also beginnt die anstrengende Suche auf Online-Portalen nach dem nächsten bezahlbaren Zimmer erneut – hoffentlich für mehr als nur ein paar Monate, wie der FURIOS-Artikel STUDIERENDE FINDEN KEINEN BEZAHLBAREN WOHNRAUM, WEIL ES SCHLICHT KEINEN GIBT zeigt. Doch dann, fast zu schön, um wahr zu sein: ein perfektes Inserat.

17 m², möbliert, in der Nähe der FU. Eine alte Stadtvilla mit voll ausgestatteter Küche, großem Esszimmer und Gemeinschaftsräumen. Sogar eine “Haushälterin”, die einmal wöchentlich putzt. Der Haken? Es handelt sich um eine reine Männer-WG – altmodisch, eigenartig, vielleicht irritierend, aber bei einem Mietpreis von nur 200 bis 300 Euro überwiegt das Positive. Endlich eine günstige und langfristige Bleibe!

Doch was auf den ersten Blick wie ein Wohntraum klingt, ist in Wahrheit ein Albtraum in Form einer Studentenverbindung. In Wohnungsanzeigen tarnen sie sich häufig als gewöhnliche WGs, ohne klar darauf hinzuweisen, was eine Mitgliedschaft wirklich bedeutet. Wer hier einzieht, tritt nicht einfach nur in eine WG ein – sondern in eine Welt voller Verpflichtungen, Hierarchien und oft fragwürdiger Traditionen.

„Ist es zu gut, um wahr zu sein,
 muss es eine studentische Verbindung sein!“

Corps und der Anspruch einer Aufklärung

Studentische Verbindungen lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen: politisch und unpolitisch. Ein Beispiel für Letztere sind „Corps“, die sich in ihren Satzungen auf die Ideale der Aufklärung und Immanuel Kant berufen. Ihr Leitbild? Die Förderung individueller Vernunft – ganz im Sinne von Kants berühmter Definition der Aufklärung als „Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit“.

Doch wie viel Aufklärung steckt wirklich dahinter? Kants Vernunftbegriff setzt voraus, dass alle Menschen gleichermaßen Zugang zur Bildung und damit zur “Mündigkeit” haben – eine Annahme, die mit der Realität kaum vereinbar ist. In Deutschland hängt der Bildungsweg stark von sozialen und finanziellen Faktoren ab. Doch genau hier setzt das Corps-Modell an: In einem Umfeld elitärer Universitäten wie an den Berliner Hochschulen finden die Corps gezielt ihr Klientel. Universelle Aufklärung? Das Resultat sind eher akademische Seilschaften in exklusiven Kreisen.

Unklar bleibt zudem, inwieweit soziale Machtstrukturen innerhalb der Verbindungen die sogenannte individuelle Vernunft tatsächlich beeinflussen. Dass es klare Hierarchien gibt, daraus machen die Mitglieder keinen Hehl. Neuankömmlinge – sogenannte „Füchse“ – bekommen einen älteren Corps-Mentor zur Seite gestellt, der sie fördern, vor allem aber fordern soll. Der Mentor nimmt direkten Einfluss auf das Studium seines Schützlings: Der Fuchs legt ihm seinen Studienplan vor, und sein Fortschritt wird detailliert in einem Studienbuch festgehalten. Wer die gesetzten Studienziele nicht erfüllt, muss mit Konsequenzen rechnen, die bis hin zum Rausschmiss aus der vermeintlich günstigen Stadtvilla führen. In einem derart klaren Machtgefüge bleibt die Frage offen, inwiefern der Mentor auch das Weltbild des Fuchses prägt. Objektiv lässt sich das schwer beurteilen – doch die Gefahr einer ideologischen Einflussnahme ist nicht von der Hand zu weisen.

Die „braune Wolfsschanze von Zehlendorf”

Neben vermeintlich unpolitischen Corps gibt es auch studentische Verbindungen mit klarer politischer Ausrichtung. Ein prominentes Beispiel: die Berliner Burschenschaft “Gothia”. Selbst innerhalb der Verbindungsszene sorgt sie für Kontroversen – so distanzieren sich viele andere Gruppen vom Dachverband „Deutsche Burschenschaft“, dem die “Gothia” seit 2016 vorsteht.

Nach außen gibt sich die “Gothia” modern und unverfänglich. Ihre Webseite  erinnert eher an ein Start-up, aber ihr Wahlspruch „Furchtlos und beharrlich!“ offenbart so einiges. Wer ein bisschen tiefer gräbt, findet schnell ein treffenderes Bild – insbesondere auf ihrem Instagram: 2018 postete die “Gothia” ein Bild eines Stahlhelms mit ihrem eigenen Logo, platziert neben einer Gedenktafel für gefallene deutsche Soldaten des Zweiten Weltkriegs. Paramilitärische Inszenierungen werden offen gefeiert: 2018 postete die “Gothia” ein Bild von einem (Paintball-)Schlachtfeld. Dazu die Parole: „Die Migrantschaft ist raus. Wir kämpfen weiter, denn unser Auftrag ist edler.“ Am Volkstrauertag gedenken die Burschis explizit den deutschen Soldaten beider Weltkriege. Ebenfalls wird die Bombardierung Dresdens jährlich besonders hervorgehoben – eine Erzählweise, die in rechten Kreisen stark verbreitet ist. 2021 folgte ein weiteres fragwürdiges Bild: Ein Mitglied posiert stramm in die Kamera, der rechte Arm erhoben. Kein Hitlergruß – zumindest nicht offiziell, schließlich hält er dabei seinen Säbel in der Hand.

In den letzten Monaten hat sich der Instagram-Account der “Gothia” zunehmend politischen Themen gewidmet. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wird, fast schon klischeehaft, ins Lächerliche gezogen und sogar ehemalige Verfassungsschutzmitarbeitende diffamiert. Nicht sehr überraschend, wenn Mitglieder der “Gothia” wie Martin Kohler, Chef der rechtsradikalen Jungen Alternative waren.

Selbst die beschauliche Stadtvilla der Burschenschaft “Gothia” verkommt immer mehr zur „braunen Wolfsschanze von Zehlendorf“, eine Bezeichnung, die aus Szene-Kreisen stammt und von der Berliner Zeitung aufgegriffen wurde.1 So geben sich Neu-Rechte Historiker wie David Engels und verurteilte Holocaustleugner wie Horst Mahler in der “Zehlendorfer Wolfsschanze” die Klinke in die Hand. Genau dort, wo konservative Männer noch ungestört ihre „individuelle Vernunft“ ausleben können. Diese Insel der Incels2 folgt strengen Hierarchien und bewegt sich irgendwo zwischen einem (elitär) liberalem und rechtsextremem Spektrum. Das Gemeinschaftsgefühl wird durch Rituale und Traditionen gefestigt: regelmäßige Stammtische, gemeinsame Ausflüge und die „Mensur“. Dieser Fechtkampf zwischen zwei Mitgliedern ist in sogenannten „schlagenden“ Verbindungen verpflichtend und gilt als männliche Bewährungsprobe. Eine teils äußerst blutige, martialische Angelegenheit, die dennoch große Beliebtheit genießt. So kamen im März 2024 über 300 schlagende Verbindungsmitglieder im Ortsteils Lankwitz feierlich zusammen, um dem spätpubertären Akt beizuwohnen.

Ein Vertrag fürs Leben

Studentische Verbindungen folgen dem Prinzip des Lebensbundes – einmal drin ist es gar nicht so leicht, wieder herauszukommen. Mit dem Studienabschluss wird aus dem Studenten ein „Alter Herr“, der fortan eine neue Rolle übernimmt: die finanzielle Unterstützung der Verbindung. Was nach einem günstigen Wohnraum während des Studiums aussieht, entpuppt sich so langfristig als Verpflichtung

Jeder Studierende hat natürlich die freie Entscheidung, sich einer Verbindung anzuschließen. Aber man sollte zumindest wissen, worauf man sich einlässt – und wem man sich da eigentlich anschließt. Denn Verbindungen sind längst nicht nur eine günstige Wohnalternative. Durch regelmäßige Partys in ihren Häusern schaffen sie immer wieder Gelegenheiten, mit Studierenden in Kontakt zu kommen. Es kann also nicht schaden, im Freundes- und Bekanntenkreis aufmerksam zu sein – zum Beispiel, wenn dich jemand auf eine Gartenparty in eine Charlottenburger Stadtvilla einlädt. Besondere Vorsicht gilt für Erasmus-Studierende, die mit dem Konzept der Verbindungen oft gar nicht vertraut sind. Während studentische Verbindungen in Deutschland eine lange Tradition haben, existieren sie in dieser Form in vielen europäischen Ländern nicht.

  1. Vergleiche hierzu: Berliner Zeitung, Burschenschaft Gothia: Staatssekretär Büge schweigt (eingesehen am 03.06.2025). ↩︎
  2. „Incel“ bezeichnet eine (meist) männlich geprägte Online-Subkultur, in der häufig frauenfeindliche (misogyne) und teils neurechte Weltanschauungen vertreten werden. Persönliche Zurückweisungen werden oft als Ausdruck eines gesellschaftlichen Verfalls oder einer vermeintlichen Benachteiligung von Männern gedeutet.
    ↩︎

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