Präziser Eingriff, große Wirkung: Die erste personalisierte Gentherapie rettet ein Leben

Ein Neugeborenes in Philadelphia, Pennsylvania erhält die weltweit erste maßgeschneiderte Gentherapie und erholt sich von einer lebensbedrohlichen Erbkrankheit. Wie Base Editing den Weg zur personalisierten Medizin ebnet, berichtet Lara Ziegler.

Foto: Adam Bezer (Unsplash)

Häufig reicht die Veränderung einer einzelnen Base in der DNA – eine sogenannte Punktmutation –, um ganze Körperfunktionen zu blockieren und eine lebensbedrohliche Krankheit auszulösen. So auch bei dem kleinen KJ Muldoon, der kurz nach seiner Geburt die Diagnose einer seltenen Erbkrankheit erhielt. Nun bekam KJ als erster Mensch eine personalisierte CRISPR-Gentherapie – und hat sich sichtlich erholt. Laut des Children’s Hospital of Pennsylvania (CHOP) ein historischer medizinischer Durchbruch. 

Ein internationales Team von Forschenden um Dr. Rebecca Ahrens-Nicklas und Prof. Dr. Kiran Musunuru des CHOP und der University of Pennsylvania entwickelte innerhalb von sechs Monaten eine Gentherapie, die auf KJ maßgeschneidert ist. Das Medikament K-abe wurde an die individuelle DNA des Jungen angepasst und wirkt nur bei ihm. Es wurde auf schnellstem Weg in medizinischen Studien getestet und von der FDA zugelassen. Jeweils im siebten und achten Lebensmonat erhielt KJ die Behandlung, mittlerweile wurde bereits eine dritte Dosis verabreicht. Sein Zustand habe sich seitdem stark verbessert, man könne jedoch noch nicht ganz von einer Heilung sprechen, so Ahrens-Nicklas. Letzte Woche konnte KJ jedoch mit seiner Familie nach Hause kommen. 

Lebensbedrohlicher Enzymmangel 

KJ erbte jeweils ein mutiertes Gen von jedem Elternteil. Solch eine Erbkrankheit, die nur zum Ausdruck kommt, wenn zwei defekte Gene vorhanden sind, nennt man rezessiv. Dem Neugeborenen fehlt durch die seltene Mutation ein bedeutendes Stoffwechselenzym – die Carbamoylphosphat-Synthetase-1 (CPS-1). Ein Defizit an CPS-1 beeinträchtigt den Harnstoffzyklus der Leberzellen erheblich. Der Körper kann deshalb Stickstoffe, die bei der Verstoffwechslung von Proteinen in der Nahrung anfallen, nicht abbauen. Dies verursacht die Anhäufung von Ammoniak im Blut – einem toxischen Nebenprodukt, welches eigentlich zu Harnstoff umgewandelt und über den Urin ausgeschieden wird. Ein hoher Ammoniakspiegel führt zu starken Gehirnschäden und bei Neugeborenen sogar zu einer Mortalitätsrate von 50 Prozent. Bisher war die einzige Option zur Behandlung eine Lebertransplantation – wofür der wenige Monate alte KJ jedoch zu jung war. Die Ärzt*innen des CHOP boten den Eltern eine Alternative an, die zwar seit über zwei Jahren in Entwicklung war, bisher jedoch nicht so versucht wurde. KJ war bereits die siebte Person, bei der die Behandlung in Betracht gezogen wurde, bis der passende Zeitpunkt gekommen war.  

Präzise Rechtschreibkorrektur im Labor 

Die Behandlung von Erbkrankheiten mit CRISPR/Cas9 ist an sich nichts Neues. Die Methode zur Bearbeitung von Genen im Labor wurde aus dem natürlichen Immunsystem von Bakterien entwickelt. Bereits 2020 erhalten die Forscherinnen Prof. Emmanuelle Charpentier und Prof. Jennifer A. Doudna den Chemie-Nobelpreis zur Entwicklung der Genschere. Die Methode macht es Forschenden heute möglich, gezielte Sequenzen der DNA zu schneiden, um Gene zu aktivieren, auszuschalten oder sogar neue Sequenzen einzufügen. Damit eröffnet sich das Potential zur Korrektur von Mutationen, um Menschen von Genkrankheiten zu heilen – eine Entwicklung, die bereits in vollem Gange ist. Bisher wurden CRISPR-Therapien wie Casgevy bei Menschen mit Sichelzellanämie angewendet

Im Fall von KJ wurde Base Editing eingesetzt, eine abgewandelte Version zur klassischen Genschere. Diese ermöglicht die gezielte Veränderung einzelner Basen in einem mutierten Gen. Als würde man einen Rechtschreibfehler mit einem präzisen Mausklick korrigieren. Ein im Labor gefertigtes Leitmolekül, die gRNA (guide-RNA), erkennt die mutierte Sequenz im Gen und dockt an sie an. Sie befindet sich im Komplex mit dem Enzym nCas9, welches einen der beiden DNA-Stränge durchtrennt. Ein weiteres Enzym, die Deaminase, sorgt dann für die Korrektur der Punktmutation. Das natürliche Reparatursystem der DNA fügt den Strang wieder zusammen. Da im Vergleich zur klassischen CRISPR-Methode nur eine Stelle geschnitten wird, ist die Sicherheit und Präzision der Behandlung erhöht. 

Zukunft der personalisierten Medizin? 

Durch die Korrektur kann in den Leberzellen von KJ das Enzym CPS-1 nun wieder produziert werden. Den Ärzt*innen des CHOP zufolge müsse seine Entwicklung trotz allem weiter beobachtet werden.

Zweifellos ist KJs Behandlung jedoch ein großer Sprung in die Zukunft. Bisher waren Behandlungen mit CRISPR/Cas9 auf häufiger auftretende Krankheiten ausgerichtet, ohne den Fokus auf die Mutationen der einzelnen Patient*innen zu legen. Base Editing verspricht eine gezieltere Methode, die es erlaubt, defekte Gene in vivo – also direkt im lebenden Organismus – zu korrigieren. Zudem wurde K-abe in Rekordzeit entwickelt. 

Die Zugänglichkeit ist jedoch entsprechend begrenzt: Sowohl hohe Kosten als auch der Arbeitsaufwand machen KJs Fall aktuell zur Ausnahme. In den Staaten wird die Kostendeckung durch Krankenkassen rege diskutiert. Im Gegensatz dazu ist die Anwendung von CRISPR-basierter Gentechnik in Deutschland aktuell streng reguliert und nur in spezifischen Fällen zugelassen. Sollte die Methode zur Routine werden, besteht jedoch das Potential, diverse Genkrankheiten rapide zu behandeln. Krankheiten, die für den Großteil der Menschheitsgeschichte als unheilbar galten. 

Wenn euch die Neugier auf die Zukunft der Gen-Editierung gepackt hat:

Autor*in

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert