Shame on Pride?

Die FU begeht einen historischen Pride Month in kleiner Runde. Rika Baack zum Auftrieb queerfeindlicher Straftaten, Rhetorik, Politik – und sachten Gegenwind.

Pia Linscheid des Beschäftigten-Netzwerks Queer@FU erklärt den Gedanken hinter dem Akt: Je mehr Menschen die Flagge gemeinsam hissten, desto nachhaltiger sei das Zeichen. An der Spitze: Günter Ziegler. Foto: Rika Baack

Ein historischer Pride Month in Deutschland: Er ist der Erste mit dem Selbstbestimmungsgesetz in Kraft, das es trans-, intergeschlechtlichen und nichtbinären Personen erleichtern soll, ihren Geschlechtseintrag und ihre Vornamen zu ändern. Es ist der erste Pride Month, in dem Stolzmonat nicht mehr nur der Name einer rechtsextremen Kampagne ist, die den Pride Month auf Nationalstolz umzumünzen will, sondern der einer queeren Merchandise- und Spendenaktion. Es gibt viel zu feiern.

Und doch heißt es aktuell, „gerade in diesen Zeiten“ sei es notwendig, Farbe zu bekennen. „Gerade jetzt“ müsse man auf die Straßen gehen. Auch die feierlichen Reden zur Flaggenhissung der Pride Flagge an der FU teilen diesen Aufruf. Am 26. Juni – zum Start des Berliner Pride Month – findet der Akt vor dem Henry-Ford-Bau statt. Im Vergleich zum letzten Jahr fällt die Veranstaltung kurz und wenig besucht aus: Kaum dreißig Menschen versammeln sich um die noch leeren Fahnenstangen. Unter ihnen sind vor allem Angehörige der Stabsstelle Diversity und Antidiskriminierung, des Queer@FU-Netzwerks für queere Beschäftigte an der FU, aber auch Mitglieder des Präsidiums. Mit einigen Minuten Verspätung erscheint auch FU-Präsident Günter Ziegler. Das Event wurde Stunden vor dem Sommerfest und am anderen Ende des Campus angesetzt – also weit entfernt von den Hunderten Besucher*innen, die dort nachmittags erwartet werden.

Vor einem Jahr begleitete die Flaggenhissung eine internationale Konferenz zu queerer Geschichte. Diesmal ordnen drei Reden den Akt als Symbol an die Politik und FU-Angehörige ein. Foto: Rika Baack

Rückzug, Stillstand oder allen voran?

Vizepräsidentin Verena Blechinger-Talcott ist das zuständige Präsidiumsmitglied für Diversity. In ihrer Rede erzählt sie von einer Unterhaltung mit internationalen Dekanen, die sie auf die starken Partnerschaften der FU mit den USA ansprachen. Würde auch die FU bald ihre Diversity-Programme abschaffen? Natürlich nicht, sagt Blechinger-Talcott entschieden. Ziegler ruft aus dem Publikum: „Haben wir darüber gesprochen?“ Die Menge lacht. Blechinger-Talcott führt aus: „Die queere Community hat nicht auf Veränderungen gewartet, sie hat sie mit Kreativität und Resilienz selbst geschaffen.“ Das müsse die FU nicht nur anerkennen, sondern auch unterstützen.

Für eine weitere Rednerin ist es der erste Amtsakt. Am 18. Juni bestätigte der akademische Senat Dr. Carolin Loysa als Beauftragte für Diversität und Antidiskriminierung an der FU. Ihre und alle weiteren Redebeiträge sind leidenschaftlich, die Redner*innen sind gut gelaunt und sich dennoch bewusst, unter welchem Beschuss sich die queere Community befindet. Im Gespräch mit FURIOS berichtet Loysa, dass es in ihrer Kommission momentan allerdings noch keine konkreten Vorhaben gebe. Die erste Sitzung in der neuen Amtsperiode finde erst im Juli statt – ganz oben auf der Agenda stehe selbstverständlich der Rechtsruck.

Pia Linscheid des Beschäftigten-Netzwerks Queer@FU sagt, die Pride Flagge der FU solle ein Symbol dafür sein, ein willkommender Ort für queere Menschen zu werden. Sie sei kein politisches Zeichen – wie es andernorts in Berlin behauptet werde. Als sich die Teilnehmenden für ein Gruppenfoto versammeln, fragt Ziegler in die Runde, ob alle mit der Veröffentlichung der Fotos auf Social Media einverstanden seien. Er scherzt: „Frau Klöckner soll uns sehen.“ Ob gesehen werden reicht, bleibt offen. Mit den Kürzungen, die für die Berliner Universitäten vorgesehen sind, bemüht sich die Stadt offensichtlich, die Arbeit und die Reichweite der FU zu beschneiden. Im Gegensatz zur Protestaktion an der FU gegen die Kürzungen am 4. Juni, zu der sich auch Ziegler angekündigt hatte, aber nie auftauchte, erschien er beim queeren Festakt zumindest.

Von Performance zu Aktion

Am 26. Juli wird man queere Menschen wieder auf den Straßen sehen. Der Berliner CSD wird der Stadt in gewohnter Manier einheizen, mit bunter und leichter Bekleidung, guter Laune, lauter Musik – und Partywägen von Banken und Tech-Riesen. Es mag scheinen, als ob Pride Marches sich zu Partys und Raves verwandeln konnten, da queere und non-cis Menschen heute akzeptiert werden. Den Weg frei für die Kommerzialisierung des CSD mache ja erst, dass es nun gut für eine Marke ist, sich als queerfreundlich zu positionieren.

Doch wem gegenüber ist die Welt akzeptierender geworden? Menschen, die ihre Queerness doch einfach wie einen Paillettenmantel ablegen sollen, wenn sie sie in Schwierigkeiten bringen könnte? Weißen, nicht-migrantischen, able-bodied und neurotypischen queeren Menschen? Oder noch nicht einmal ihnen? Diskriminierung startet und endet nicht mit Homo- und Transphobie. Vorstöße gegen Migration oder gegen wohlfahrtsstaatliche Politik schließen nicht nur queere Schicksale mit ein, sondern begünstigen auch direkte Vorstöße gegen queere Rechte. Das sieht man jetzt schon an den Zahlen der queerfeindlichen Attacken. „Jeder Angriff auf marginalisierte Gruppen ist ein Angriff auf die Demokratie“, sagt auch Pia Linscheid.

Anti ist das neue Neutral

Die Polizei erfasste im Jahr 2023 1.785 queerfeindliche Straftaten. Das sind fünfzig Prozent mehr als im Jahr zuvor. Neben einzelnen Anfeindungen, die es bei CSDs schon immer gegeben hat, gewinnt die queerfeindliche Szene an organisierter Aggression. Im vergangenen Jahr gab es rechtsextreme Anti-CSD-Proteste in 27 deutschen Städten. Auch 2025 hält sich der Trend: Ein CSD-Teilnehmer in Emden kam nach einem Angriff ins Krankenhaus. Bei einem Vielfalts-Fest in Bad Freienwalde attackiert ein junger Mann zuletzt zwei Menschen, der Tatverdächtige soll zur rechtsextremen Szene zählen. In Schwerin brechen sogar viele regionale Partnerschaften weg, die den CSD seit Jahren unterstützt hatten.

Sollte man auf den Beistand der neuen Bundesregierung setzen? Eher im Gegenteil: Die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) will keine Regenbogenflagge auf dem Bundestag hissen und verbietet dem Regenbogennetzwerk der Bundestagsverwaltung, als Gruppe am Berliner CSD teilzunehmen. Selbst die Kommentarspalten eines entsprechenden Beitrags der taz überschwemmen User*innen, die Klöckners Entscheidung verteidigen. Queere Rechte seien Partikularinteressen. Die LGBTQ*-Bewegung zu unterstützen, sei genauso eine vertretbare Meinung, wie sie zu verabscheuen. Julia Klöckner reiht sich ein in eine Reihe von mächtigen Personen ein, die ihre Abneigung gegenüber queeren Menschen, wenn überhaupt, nur dürftig verschleiern: sei es Friedrich Merz, Papst Leo XIV. oder Donald Trump. 

Wie soll Pride 2025 aussehen? Soll sie wieder stärker ein Protest werden? Soll sie mehr der Ziele der Internationalist Queer Pride Berlin teilen, die fordert: „None of us are free until all of us are free“? Und was kann die FU für queere Menschen tun – für Sichtbarkeit, Schutz und Solidarität? Um die Pride Flagge an der FU versammeln sich Menschen, die ihres Amts wegen dieser Aufgabe gewachsen sein sollten. Es ist Zeit, sie in Angriff zu nehmen. Gerade jetzt ist Zeit, nicht nur gesehen, sondern auch gehört zu werden. Die Flagge wird wohl in einem Monat wieder abgehangen – aber die queeren Studierenden und Beschäftigten an der FU bleiben.

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