Wo früher Worte waren, spukt nun Stille

Ghosting aus Sicht derer, die gingen und derer, die warten. Von Eliza Beuster und Leona Reinberger.

»Den Kontakt zu einer Person ohne Ankündigung (und erkennbaren Grund) einseitig abbrechen« – Das bedeutet Ghosten laut Duden. Ein stiller Kontaktabbruch, der in unserer digitalen Zeit immer beliebter wird. Wir sind verrückt nach unseren Handys und doch bekommenso viele Nachrichten keine Antwort. Wie fühlt es sich an, wenn plötzlich Funkstille ist? Undwarum wird man zum Geist?

Wenn Freundschaft in Stille endet

Eine gute Freundin traf ich mit Studienbeginn plötzlich immer seltener. Nur über Text mit ihr Kontakt zu halten, war noch nie einfach, und genau das wurde jetzt zum Problem. Trotzdem zweifelte ich nicht an unserer Freundschaft; wir haben so viel zusammen über standen. Dass es nun doch zum Freundschaftsabbruch kommt, hätte ich nie gedacht. Es fängt an wie immer, auf meine Geburtstagsgratulation antwortet sie: »Sorry, ich antworte später, hab gerade keine Energie, aber Danke!« – lieb und ehrlich. Dass nach Wochen noch immer nichts kommt, daran war ich gewöhnt. Ich frage trotzdem, ob denn alles okay sei. Auch das bleibt unbeantwortet. Schließlich probier ich es auf die altmodische Weise und schreibe einen Brief, der klarmachen soll, dass sie mir auch trotz wenig Kontakt wichtig ist. Ob der Brief ankommt, werde ich nie erfahren. Wieder werde ich ignoriert. Aus Wochen werden Monate, und während ich auf BeReal und Twitter sehe, wie meine Freundin Spaß mit anderen hat, verfliegt mein Verständnis. Ich hatte mir erst Sorgen gemacht – ich wusste ja seit Monaten nicht, wie es ihr geht – jetzt wird mir klar, dass sie mich ghosted und ich werde wütend.

Meine Gefühle, meine Freundschaft scheinen ihr nicht wichtig genug zu sein, um über ihren Schatten zu springen und nur ein Wort zu schreiben. Ich gebe ihr meinen Geburtstag, ein halbes Jahr nach ihrem, als gedankliches Limit. Wie wenig Kontakt wir auch hatten, zum Geburtstag haben wir uns immer gratuliert. Doch auch an diesem Tag: Stille.

Ich frage mich, ob es einen Punkt gab, an dem sie entschieden hat, mich aus ihrem Leben zu verbannen oder ob sie sich einfach von ihrer üblichen Stille leiten ließ und mich leise immer mehr beiseite schob. Wie lange braucht meine Freundin, um ihre Energie wiederherzustellen? Denn inzwischen ist über ein Jahr vergangen – ohne Antwort. Ich hoffe innerlich, dass sie doch noch mit dem Herumgeistern aufhört und mir schreibt.

Ohne letzte Worte kam ein stilles Ende

Als ich ins erste Semester an der FU kam, dachte ich mir, das sei nun auch der richtige Zeitpunkt, mich in meinen Weed Ticker zu vergucken. Und siehe da: Wir fingen tatsächlich etwas miteinander an. Zu Beginn unserer kleinen Romanze stellte er klar, dass er es sich immer gut überlege, bevor er jemandem so nah komme. Er habe nur ernste Intentionen – schmeichelhaft zu hören in einer Stadt wie Berlin.

Doch nach ein paar Wochen bekam ich immer später und seltener Antworten auf meine Nachrichten, wir sahen uns deutlich weniger. Es fühlte sich an, als müsse ich jedes Treffen erkämpfen. Als ich das ansprach, sagte er nur, er wisse nicht, ob er das mit uns gerade überhaupt kann. Dann antwortete er gar nicht mehr.

Zuerst war ich einfach nur sauer. Unser letztes Treffen hatte sich nicht wie ein wirklicher Abschluss angefühlt. Ich wollte mit geklärten Verhältnissen auseinandergehen, doch er ignorierte mich.

Und dann fing ich an, ihn plötzlich mehr zu wollen als je zuvor. Ich wünschte mir sehnlichst, dass ich ihm genug bedeuten würde, um sich zu melden. Ich schrieb ihm wöchentlich und nichts kam zurück. Bis ich ihn nach ‘nem Zehner fragte. Wir sahen uns kurz zur Übergabe – und nichts. Wir waren keinen Moment zu zweit und er musste sofort wieder los, bevor ich eine einzige Frage stellen konnte.

Ich schrieb ihm danach noch ein letztes Mal. Seitdem herrscht Stille. Den Chat und seine Nummer habe ich bald darauf gelöscht. Heute fühlt sich die Sache mit ihm wie ein kleiner Fiebertraum an. Ich hege keinen Groll. Manchmal frage ich mich, ob ich ihm nicht dankbar sein sollte, dass er mich durch den Kontaktabbruch so radikal dazu gezwungen hat, mit ihm und uns abzuschließen – aber so weit kommt’s wohl doch nicht.

Wir kennen es aus dem Uni-Alltag: Manchmal ist man so fertig, dass man das Antworten auf den nächsten Tag verschiebt und es dann wieder vergisst. Vergesslichkeit, Alltagsstress, Energielosigkeit, aber auch, um unangenehmen Gesprächen aus dem Weg zu gehen. Es gibt viele Gründe zu ghosten, aber sind diese Gründe auch berechtigt? Klar ist: Wer geghosted wird, bleibt oft verletzt und ratlos zurück. Auf der Seite der Ghoster*innen herrschen hingegen oft Gefühle der Unsicherheit oder Überforderung.

Ghosting als (Selbst)Schutz

Ich wollte nicht ghosten, aber es war der beste Weg, vielleicht sogar die einzige Alternative. Ich hatte jemanden gedatet, doch nach einem klärenden Gespräch war klar, dass wir unterschiedliche Erwartungen hatten. Wir beschlossen, keinen Kontakt zu haben. Trotzdem schrieb sie mir – anders als besprochen – weiterhin viele Nachrichten. Sie verdrehte Aussagen, beleidigte mich und entschuldigte sich im selben Absatz. Ich versuchte zu antworten, aber es wurde nie konstruktiv. Nachdem ich sie mehrmals darum gebeten hatte, den Kontakt einzustellen, blockierte ich sie. Doch sie fand immer neue Wege, mich zu erreichen: über andere soziale Plattformen, mit neuen Accounts oder über E-Mail. Sie konnte mich immer irgendwie erreichen, kannte auch meine Adresse und wies sogar darauf hin. Ich entblockierte sie wieder, mit der Bedingung, dass ich ihre Nachrichten nicht beantworten werde. Zu wissen, dass sie mich kontaktieren kann, hat ihr gereicht.

So war Ghosting für mich die humanste Alternative: denn wenn sie das Gefühl hat, mir Nachrichten schreiben zu können, geht es ihr damit besser und mir ehrlicherweise auch. Für sie war es wie ein Ventil, für mich ein Weg zum sicheren Rückzug.

Ghosting aus Versehen

Ghosting passiert aber auch unbeabsichtigt. Eine Freundin schrieb mir zum Geburtstag, aber ich vergaß vor lauter Geburtstagsnachrichten zu antworten. Nach der Nachricht kam nichts mehr, weshalb der Chat unterging. Für einige Monate hatte ich die Glückwünsche total vergessen. Als ich mich dann meldete, war sie tief verletzt. Für sie fühlte es sich nach Desinteresse an, für mich war es einfach untergegangen. Schließlich führte dieses Vergessen dazu, dass sie mir die Freundschaft kündigte. Wir hatten schon über längere Zeit weniger Kontakt als zuvor gehabt und nun wollte sie wirklich nur mit Menschen befreundet sein, die ihr die gleiche Energie zurückgeben. Ich respektiere ihre Entscheidung. Dass ich sie verletzt habe und sie diesen Entschluss gefasst hat, tut mir sehr leid. Auch aus Versehen geghosted zu werden, tut weh und kann schwere Folgen haben, selbst wenn keine böse Absicht dahintersteckt.

Warum wir damals geghosted wurden, ist uns bis heute nicht klar. Wir werden wohl nie erfahren, ob sie überfordert war, ob er Angst hatte, ob wir nur vergessen wurden oder der Rückzug ganz bewusst geschah. Sie sind für uns zu Geistern geworden. Doch die Erinnerungen bleiben. Wir können nicht in ihre Köpfe schauen. Wenn plötzlich Stille herrscht, dann finden unsere Fragen keine Antworten mehr – das ist es, was Ghosting so bitter macht. Nicht, dass es vorbei ist, sondern dass es keine Worte dafür gibt. Trotzdem müssen wir lernen, mit dieser Stille umzugehen und zu akzeptieren, dass manche Geschichten nie zu Ende erzählt werden. Eine späte Antwort kann mehr bewirken, als du vielleicht nach langer Funkstille denkst. Falls dich diese Zeilen an jemanden erinnert haben: Jetzt zu antworten, mag Überwindung kosten, ist aber für euch beide heilsamer als zu Schweigen.

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