Sprachgenie in Kairo: Fließend Arabisch in nur sechs Monaten

Emil nimmt Élise Rehbein mit auf eine Metrofahrt in Kairo. Er spricht mit ihr über die arabische(n) Sprache(n), Ägypter*innen und wie er es geschafft hat, in nur kürzester Zeit selbst den ägyptischen Dialekt zu lernen.

Sonnenuntergang über Kairo, mit der Skyline der Stadt im Vordergrund
Ein Sonnenuntergang in Kairo. Foto: Constandina Mitka

„Agaanib!“ (Ausländer), schreit ein Junge im Vorbeirennen und zeigt auf Emil. Der grinst und eine ganze Reihe von Lachfalten bildet sich um seine blauen Augen. Am Counter bestellt er akzentfrei auf Arabisch zwei Tickets. Der Mann hinter der Theke schaut ihn überrascht an. Mit seinen blonden Haaren und den 1,90 Metern passt Emil ganz und gar nicht in diese überfüllte Metro-Station, in der nur Ägypter*innen unterwegs sind. Aber sein Ägyptisch klingt wie das eines Einheimischen.

Letztes Jahr war das noch ganz anders. Ich lernte ihn zufällig in einem Restaurant in Kairo kennen. Er kam mit einer Airbnb-Buchung für zwei Wochen und dem Wunsch, in sechs Monaten fließend Arabisch zu lernen – mehr nicht. Arabischunterricht wolle er nicht nehmen, das würde er alles schon allein hinkriegen. „Wenn er nur wüsste“, dachte ich mir und musste an die vielen Stunden, Monate, Jahre denken, die ich schon damit verbracht hatte, Arabisch zu lernen. Sechs Monate später aber flog Emil mit Sprachkenntnissen auf einem B2-Niveau und exzellenter Aussprache zurück nach Dänemark.

Emil und die Autorin essen in einem kleinen Café über den Dächern Kairos zu Abend. Foto: Élise Rehbein

Das war letztes Jahr. Heute sind wir zufällig beide wieder in Kairo und ich will endlich verstehen: Wie hat er es geschafft, den ägyptischen Dialekt so schnell und effizient zu lernen?

Emil verblüfft Einheimische auf Arabisch in der Metro

Emil will mir heute all seine Geheimtipps geben, aber zunächst warten wir auf die Metro. Wir wollen in ein Café in Zamalek. Ein paar Mädchen neben uns schauen Emil an und tuscheln. Zwei Mal schon wurde er von Frauen in der Metro angesprochen, erzählt er mir grinsend. Hier in Kairo als Ausländer bezeichnet zu werden, sei nicht wie in Europa und schon gar keine Beleidigung. Einer seiner ägyptischen Freunde hat ihm erzählt, dass viele ägyptische Kinder davon träumen, einen ausländischen Freund zu haben. Emil konnte daher schnell Kontakte knüpfen. Mit den Ägyptern seines ersten Airbnbs ist er mittlerweile gut befreundet und durch sie hat er schnell noch mehr Leute kennengelernt.

Wir steigen ein in die Metro. Es ist proppenvoll. Und schon wird Emil angesprochen – auf Englisch. Als er auf Arabisch antwortet, drehen sich die Köpfe um. Der junge Mann, der ihn angesprochen hat, ist begeistert. Wie schön! Aber wie kann das denn sein, wieso spricht er überhaupt Arabisch? Einige Augenpaare legen sich auf Emil. Manche schauen interessiert, andere verwirrt oder überrascht, mit einem anschließenden Lächeln auf dem Gesicht. Emil ist vorbereitet. Diese Fragen hat er schon tausendmal beantwortet. Er genießt es auch dieses Mal, wieder seine Geschichte in ein paar Sätzen vor seinem Publikum zu präsentieren.

Ägypter*innen nehmen es oft als ein Kompliment auf, wenn Ausländer*innen ernsthaft versuchen, ihre Sprache zu sprechen. Oder sie fragen scherzhaft, ob man ein Spion sei, und schauen einen dann prüfend an. So oder so, man kommt hier schnell ins Gespräch.

Genau das sind die Momente, die laut Emil für das Sprachenlernen essenziell sind. Man muss aktiv lernen, durch das Anwenden der Sprache. Diese kleinen Interaktionen müssen so oft passieren, bis die Antworten automatisch kommen. Wissenschaftliche Studien wie jene von Cathomas (2005)1 belegen die Effektivität des immersiven Ansatzes beim Sprachenlernen – also das Lernen durch Eintauchen in echte Sprachsituationen. Der Gedanke dahinter: Sprache ist keine reine Wissensdisziplin, sondern eine Fähigkeit. Die lernt man nicht durch Theorie, sondern durch Praxis. Wir können uns doch alle an den Französischunterricht in der Schule erinnern. Es ging um genau zwei Dinge: Grammatik pauken und Vokabeln lernen. Emils Herangehensweise ist das genaue Gegenteil davon. Alles ist darauf ausgerichtet, mit Menschen zu kommunizieren.

In der Metro drängen sich die Leute nun an die Tür. Gleich müssen viele umsteigen – wir auch. Ein Tönen erklingt. Emil verabschiedet sich schnell von seinem Gesprächspartner. Wir werden von der Masse rausgedrängt. Im Bahnhof laufen viele Menschen in alle möglichen Richtungen. Es ist sehr hektisch, aber Emil weiß zum Glück, wo es lang geht. Er läuft schnellen Schrittes in eine ganz bestimmte Richtung und scheint voller Energie geladen. Diese kurzen zufälligen Begegnungen und Gespräche mit Ägypter*innen machen ihn glücklich. Er kann zeigen, was er kann, und gleichzeitig lernt er ständig weiter.

Emil wird von Einheimischen respektiert und von Arabischlernenden neidisch bewundert, weil er das Unmögliche möglich gemacht hat – in gerade mal sechs Monaten. Arabisch zählt zu den schwersten Sprachen der Welt und oft lernen Sprachinteressierte zuerst Hocharabisch – die Schriftsprache der arabischen Welt. Bis sie dann merken, dass es viel zu viel Arbeit ist und absolut niemand Hocharabisch im Alltag benutzt. So ging es mir bei meiner ersten Taxifahrt in Kairo, in der ich versuchte, mit dem Fahrer ins Gespräch zu kommen – pure Verwirrung auf beiden Seiten. Emil geht also auch hier nicht den klassischen Weg. Er fängt lieber mit dem ägyptischen Dialekt an. Es möchte schließlich in allererster Linie mit Menschen sprechen können. Und der ägyptische Dialekt wird wegen ägyptischer Musik und der Filmindustrie von den meisten Araberinnen verstanden. So kann eine Marokkanerin einen Ägypter verstehen – andersherum ist das allerdings unmöglich.

Emils Geheimtipps zum Ägyptischlernen

Emil dachte am Anfang auch, dass es nur eine arabische Sprache gibt. Er hörte zum ersten Mal Arabisch als Kind, als er mit seinen arabischen Freunden in der Schule Fußball spielte. Er war von der Sprache fasziniert. Später hat sich Emil entschieden, Psychologie zu studieren. Kommunikation und die Arbeit mit Menschen nah an ihrem Alltag – das ist es, was ihn reizt. Sein langfristiges Ziel: Arabisch in seine psychologische Arbeit zu integrieren, etwa mit arabischen Geflüchteten zusammenzuarbeiten.

Es war am Anfang hier in Kairo nicht einfach für Emil mit seinem immersiven Lernansatz. So ganz ohne Feedback einer Lehrperson. Im Nachhinein sagt er, man sollte es nicht überdenken und einfach dem Prozess vertrauen. Ihm haben besonders die Website Community of Babel und der Youtube-Kanal Easy Arabic geholfen.

Einer seiner Tipps: Sich die Wörter nicht mit den komplizierten arabischen Buchstaben, sondern zunächst auf Franco notieren. Das ist Arabisch mit lateinischen Buchstaben, gemischt mit Zahlen, die für bestimmte Laute stehen. So wird aus „ح“ (stark gehauchtes h) eine „7“ oder aus „ع“ (stimmhaftes, aus der Kehle gepresstes a) eine „3“. Franco zu benutzen, spart die mühselige Arbeit, das Alphabet zu verinnerlichen. Um Bücher zu lesen, kann man immer noch später das Alphabet lernen. Aber besonders am Anfang spart Franco Zeit. Man kann die Wörter schneller notieren und aussprechen lernen. Außerdem benutzen die meisten jungen Ägypter*innen sowieso eher Franco, um auf Messenger-Diensten wie WhatsApp zu chatten. Und genau darauf kommt es an. Emil möchte nicht die Theorie einer Sprache lernen, sondern Arabisch so sprechen und schreiben, wie es die Menschen hier in Ägypten wirklich tun.

Wieso Kairo die perfekte Stadt zum Arabischlernen ist

Wir sind immer noch dabei, umzusteigen, laufen Treppen hoch und runter. Biegen ab, nach rechts und links. Emil läuft zielstrebig weiter und ich frage mich, wieso es hier nur so wenige Schilder gibt, die die Richtung angeben. Schließlich eilen wir auf eine Rolltreppe zu und ich frage ihn außer Atem, woher er denn jetzt weiß, dass wir nicht wieder zurück in Richtung Helwan fahren. Sobald ich das Wort Helwan sage, dreht sich schon ein älterer Mann vor uns im Gehen um und sagt auf Arabisch: „Für Helwan müsst ihr in die andere Richtung laufen!“. Emil grinst mich an. „Hab ich doch gesagt“, steht auf seinem Gesicht geschrieben.

Hier in Kairo herrscht eine Anteilnahme, die Emil aus Dänemark nicht kennt. Er wünscht sich diese Offenheit und den gastfreundschaftlichen Umgang mit Ausländer*innen auch für sein Land. Viele Ägypter*innen haben den Wunsch, Ausländer*innen das Gefühl zu geben, zu Hause zu sein. Sie sind sehr freundlich und extrem hilfsbereit. Manchmal ist das Verlangen zu helfen so groß, dass sie lieber falsche Informationen geben als gar keine. Das kann dann ziemlich nervig sein. Aber alles in allem fühlt sich Emil in Kairo sehr wohl – und sicher. Dabei ist Kairo mit seinen rund zehn Millionen Einwohner*innen eine der größten Städte Afrikas.

Die meisten Kairoer*innen haben – wenn sie nicht unter extremer Armut leiden – eine sehr hohe Moral. Als Emil letztes Jahr hier gelebt hat, hat er sein Portemonnaie mit allen seinen Karten und 600 ägyptischen Pfund verloren. Zurück in Dänemark bekam er plötzlich einen Anruf auf Facebook. Ein Mann hatte das Portemonnaie gefunden und seinen Namen gegoogelt. Vor ein paar Tagen dann, Monate nachdem er es verloren hatte, konnte er es abholen – und alles war noch drinnen.

Immersives Lernen – besser als Unterricht?

Wir steigen in die nächste Metro. Es ist Winter, aber durch das Laufen und die stickige Luft wird einem schnell warm. Ich habe viel zu warme Klamotten an. Dankbar setze ich mich auf einen freigewordenen Platz. Die junge Frau neben mir rückt ein wenig beiseite. „Shukran“ (Danke), murmele ich. Sie schaut mich begeistert an: „Du sprichst Arabisch?“ Und schon versuche ich mich in Emils Methode und erzähle ihr mit meinem gebrochenen Ägyptisch und wedelnden Händen von meinem Arabistik-Studium. Und es klappt. Irgendwie schaffen wir es, uns zu verständigen.

Ich merke, dass immersives Lernen anstrengender ist, als zu Hause Vokabeln zu lernen. Man muss sich trauen, Fehler zu machen, und kommt sich dumm vor. Aber ich lerne in ein paar Minuten mehr als in einer ganzen Unterrichtstunde! Und habe dazu eine tolle Begegnung. Mir wird klar: Emil hatte nicht nur die richtige Herangehensweise mit dem immersiven Lernansatz, sondern hier in Kairo auch die perfekte Umgebung dafür. Ich schaue mich begeistert nach ihm um, aber er ist schon wieder in eine Unterhaltung verwickelt. Er scherzt mit einem jungen Mann, der sich über ihn kaputtlacht. Emil in seinem Element, denke ich mir. Kairo ist für ihn nicht nur ein Mittel zum Zweck. Die Stadt ist zu seinem zweiten Zuhause geworden. Er fühlt sich hier pudelwohl – und ich bin inspiriert. Wann kann ich mir wohl das nächste Mal sechs Monate freinehmen?

  1. Cathomas, Rico (2005). Schule und Zweisprachigkeit – immersiver Unterricht: internationaler Forschungsstand und eine empirische Studie am Beispiel des rätoromanisch-deutschen Schulmodells in der Schweiz. Waxmann. ↩︎

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