Über die Geschichte eines blauen Weckers, dessen Zeiger falsch standen und ein Plakat, das zum Zeitzeugen wurde. Von Christian Güse
»Die Zeit läuft«, prangt in Großbuchstaben über einem riesigen blauen Wecker mit dem Logo der Freien Universität. Das Poster wirbt für eine Diskussionsveranstaltung mit dem damaligen FU-Präsidenten Dr. Lämmert. Die Zeiger suggerieren »Fünf vor Zwölf«. Zugegeben, da stehen sie nicht ganz. Aber: »Das war zumindest die ursprüngliche Idee«, erklärt Plakatdesigner und Comiczeichner Peter Butchkow. Warum wurde die Idee dann grafisch nicht umgesetzt? Wollte das FU-Präsidium, Butchkows Auftraggeber und Initiator der Gesprächsrunde, nicht zugeben, wie ernst die Lage für die Freie Universität am 5. 5. 1977 bereits war?
Als 1969 eine Novellierung des Berliner Universitätsgesetzes in Kraft trat, brachte es für die FU einige Veränderungen mit sich. Fakultäten wurden zu Fachbereichen, Direktoren zu Präsidenten und AStA und StuPa als demokratische Studentenvertretungen wurden komplett abgeschafft. Stattdessen wurde den Studenten eine höhere Beteiligung in Gremien eingeräumt. Sieben Jahre später jedoch: Protest. Studenten demonstrierten, Hörsäle wurden besetzt, unzählige Flyer und Plakate unter das Volk gebracht. Schließlich blieben viele sogar ganz fern von den Vorlesungen. Auslöser war der Entzug der Professur vierer FU-Professoren, weil sie zur Wahl der KPD aufgerufen hatten.
Da wirkt das Plakat mit dem blauen Wecker fast wie der Versuch, etwas abzuwenden, was nicht mehr abzuwenden war. Die FU stand damals vor einem Wendepunkt, denn das neue Hochschulgesetz sollte verabschiedet werden. Die wichtigste Frage: »Holen wir den AStA zurück oder nicht?« Durch den hohen Druck der Protestierenden konnte durchgesetzt werden, dass mit dem neuen Hochschulgesetz AStA und StuPa wieder eingeführt wurden. Allerdings ohne allgemeinpolitisches Mandat und auf Kosten der Direktbeteiligung in den Gremien.
Das Plakat ist somit ein Zeitzeuge für den Erfolg studentischen Protests geworden, der an der FU ohnehin eine lange Tradition hat – auch heute noch. Zwar wird der Vorwurf, die Jugend sei unpolitisch, immer mal wieder ins Feld geführt. Doch ein Gang durch die Flure der Freien Universität bezeugt das Gegenteil. Es scheint wieder einmal »Fünf vor Zwölf« zu sein: An fast jeder Ecke begegnet man in diesen Tagen dem Bildungsstreik. Studierende haben Hörsäle besetzt, campen in der Silberlaube, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Beinahe wie früher, und die
Vernetzung funktioniert sogar besser: Dank Facebook und Twitter wurde der Bildungsstreik an 72 Hochschulen in ganz Deutschland getragen. Aber die Studierenden greifen auch auf altbewährte Flyer, Unterschriftensammlungen oder eben Plakate zurück. Das gehört einfach zur Streikkultur, genauso wie der Protest zur Uni. Denn das Recht auf Mitbestimmung ist keines, das man geschenkt bekommt. Aber eines, für das es sich zu kämpfen lohnt.