Die Diktatur der Finanzmärkte

Wie viel Demokratie erlauben die Finanzmärkte? Mit dieser Frage beschäftigten sich die stellvertretende Vorsitzende der LINKEN Sahra Wagenknecht und Elmar Altvater, Professor für Politikwissenschaft am Otto-Suhr-Institut im Ruhestand, am Donnerstag vor der Mensa. Rani Nguyen zeichnet die Diskussion nach.


Foto: Cora-Mae Gregorschewski

Eines ist sicher: Das Unwort des Jahres heißt „Euro-Krise“. Wie das Schlamassel gelöst werden soll, darüber sind sich die Lager uneinig. Viele Bürger wollen mitreden und fordern mehr Demokratie. Das zeigen die weltweiten Occupy-Bewegungen, die sich seit dem 15. Oktober, ausgehend von der New Yorker Wall Street, auf den ganzen Globus ausgeweitet haben. Die Occupy-Bewegung der FU lud am Donnerstag Sahra Wagenknecht und Elmar Altvater zum dritten Teach-In ein, um über die Eurokrise und die Auswege aus dieser zu reden.

Vor der Mensa kritisierte Altvater den Zustand der Demokratie. „Die Finanzmärkte sind überhaupt nicht demokratisch“, sagte der Alt-68er, der auch wissenschaftlicher Beirat des globalisierungskritischen Netzwerks attac ist. Stattdessen herrsche eine „Dollarstimmzetteldemokratie“, bei der nicht jeder Mann und jede Frau für eine Stimme stehe, sondern mit Geld mehr Stimmen gekauft werden könnten. Finanzinnovationen wie Ratingagenturen seien es, die den Ton angeben und die Demokratie untergraben haben. Moody’s & Co. müssten reguliert werden, so Altvater.

Ratingagenturen beurteilen die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten und entscheiden damit maßgeblich, zu welchen Zinssätzen sich die Staaten frisches Geld bei Banken besorgen können. Je niedriger das Rating, desto mehr Zinsen müssen Staaten für ihre Anleihen bieten, um sie für Käufer attraktiv zu machen. Erst kürzlich skizzierte eine Ratingpanne in Frankreich den Einfluss der Ratingagenturen. Dort stufte Standard & Poor’s aus Versehen die Bonitätsnote Frankreichs herab. Infolge dessen stieg die Rendite für zehnjährige französische Staatsanleihen kurzzeitig um 0,3 Prozent.

„Europa wird von den Banken regiert“, prangerte Wagenknecht an. Das sei der Grund für die Schuldenkrise, der bereits sechs Regierungen zum Opfer gefallen sind. Wagenknecht warf mit Zahlen nur so um sich und erklärte, wie Deutschlands Schuldenberg von 65 Prozent des BIPs im Jahre 2008 auf 85 Prozent im Jahre 2010 gestiegen sei. Die Verantwortlichen kennt sie auch: „Die Banken, die sich 2008 verzockt hatten und gerettet werden mussten.“ 250 Milliarden Euro hat Deutschland für die Bankenrettung damals hingeblättert. Mit nur zehn Prozent dieses Betrages, so Wagenknecht euphorisch, wären überfüllte Hörsäle in den Unis passé.

Doch immer noch diktieren die Banken als Verursacher der Krise den Staaten ihr Handeln. „Das ist perfide und undemokratisch“, sagte sie. Das am Boden sitzende Publikum applaudierte und grölte zustimmend. Bisher seien Staaten auf die Kredite von privaten Banken angewiesen, die die Zinsen gewinnorientiert festlegen und sich ihr Geld von der Europäischen Zentralbank (EZB) zu günstigen 1,25 Prozent Zinsen holen können.

Aber was ist die Lösung? Staaten müssten die Möglichkeit haben, sich Kredite direkt bei der EZB zu holen und damit den Einfluss von Rating-Agenturen und Investment-Bankern zu umgehen, so Wagenknecht. Außerdem sei eine Umverteilung mit Hilfe eines europaweiten Schuldenschnitts nötig. Die Reichen würden so verpflichtet, einen größeren Teil der Schulden zu tragen. Zudem müsste es vermehrt öffentliche und weniger private Banken geben. Erreichen könne man all dies jedoch nicht durch schöne Reden. Nur der Druck der Menschen, die bis jetzt die Zeche zahlten, könne etwas bewegen, rief Wagenknecht.

Es scheint schlecht bestellt um das herrschende Wirtschaftssystem, wenn man dem Podium glaubt. „Wie schaut denn die Zukunft des Kapitalismus aus?“, fragte ein Student. Darüber wollte Wagenknecht jedoch gar nicht erst reden, es ginge ihr vielmehr um eine Zukunft jenseits des Kapitalismus. Für diese Diskussion blieb allerdings keine Zeit mehr. Nach einem kurzen Blick auf ihr iPhone verabschiedete sich die Kapitalismuskritikerin zur nächsten Veranstaltung.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

2 Responses

  1. Maeggi sagt:

    wie recht du hast. korrigiert.

  2. egal sagt:

    boah, “in 2010” – wenn ich das schon lese! vor jahreszahlen kommt kein “in” im deutschen. das sollte der endredaktion normalerweise auffallen 😉

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