Rap wurde lange Zeit geringgeschätzt in Deutschland. Hip-Hop und Universität? Für viele ein Widerspruch. Aber nicht an der FU! Ein Seminarbesuch im John-F.-Kennedy-Institut. Von Florian Schmidt und Matthias Bolsinger
Darüber gibt’s Bücher: Hip Hop ist Kulturgut Foto: Florian Schmidt
Dahlem ist kein Ort für echte Gangster. Der morgendliche Novembernebel verhüllt Einfamilienhäuser und Vorstadtidylle, keine Graffiti. Das John-F.-Kennedy-Institut taugt auch nicht gerade als Untergrund-Jugendzentrum für die Hip-Hop-Szene – erst recht nicht um 8.30 Uhr. Da ist noch tiefste Nacht für harte, kredibile Rapper. Dementsprechend schafft es Seminargast Volkan T. auch nicht wirklich pünktlich. Aber die Teilnehmenden warten gerne – schließlich geht’s um Rap.
Anne Lenz und Laura Paetau leiten ein Hip-Hop-Seminar. „Nothin’ but a G thang?“, heißt es in Anlehnung an die legendäre Hitsingle von Snoop Dogg und Dr. Dre. Die Frage ist natürlich rein rhetorisch gemeint. Rap ist natürlich nicht „bloß ‘n Gangster-Ding“, sondern wert, auch mal unter akademischen Gesichtspunkten betrachtet zu werden: „Repräsentationspraktiken, Rezeptionsmöglichkeiten und Geschlechtskonstruktionen im Rap“, so der Untertitel des Seminars. Straßenkultur hält Einzug in die akademische Sphäre. Jay-Z statt Kant, Beats statt Formeln.
Die Dozentinnen Laura Paetau und Anne Lenz haben bereits zu feministischer Praxis geforscht. Das in der universitären Landschaft eher ungewöhnliche Thema Rap ist für die beiden also auch die Auseinandersetzung mit einem ganz persönlichen Spannungsverhältnis, einem „spannenden Widerspruch“: Wie lässt sich eine kritisch-aufgeklärte Haltung mit der Faszination für ein Musikgenre versöhnen, in dem die kommerziell erfolgreichen – und meist männlichen – Künstler oftmals Frauen und Homosexuelle diskriminieren sowie Gewalt verherrlichen? Wohl nie zur Gänze. Doch das rechtfertigt keine arrogante Vorverurteilung: „Als Alltags- oder Subkultur spiegelt Rap viele gesellschaftliche Machtverhältnisse wider. Man kann Gesellschaft verstehen lernen“, findet Laura Paetau. Doch dafür müsse zuerst Rap verstanden werden.
So sieht das auch Volkan T., Produzent, Rapper und jahrelanger Deutschrap-Insider. In seinen Augen wissen die, die Rap für seine Inhalte verurteilen, zu wenig über die Hip-Hop-Kultur – er sieht deutsche Rapmusik gründlich missverstanden. Deshalb klärt er die Teilnehmer am Anfang des Seminars auf, beginnt von ganz vorne, erzählt die Geschichte des deutschen Hip-Hop: Von den frühen Epizentren der Jugendbewegung in Stuttgart und Heidelberg, wo Advanced Chemistry Ende der 80er erstmals auf Deutsch rappten, über die „Party-Hip-Hopper“ um Fettes Brot und die Absoluten Beginner im Hamburg der 90er bis zum Gangster-Rap, der vor knapp zehn Jahren Berlin auf die Landkarte der Szene setzte. Kurz: Rap auf Deutsch gibt es weit länger, als Bushido und Sido es die Radiohörer glauben machen könnten – nur blenden das viele Menschen aus. Daher gilt Rap oft nur als obszön und niveaulos.
Volkan T. ägert das. Doch noch mehr ärgert er sich über die kommerziell erfolgreichen Gangster-Rapper von heute: „Das sind alles Studiogangster. Nichts davon ist echt.“ Doch die Medien schürten den Erfolg derartiger Sprechsänger, meint er. Nicht zuletzt sorgten sie dafür, dass Gangster-Rap als solcher komplett fehlinterpretiert werde. „Zum Gangsta-Rap gehören sozialkritische Inhalte“ – und nicht bloßes Gerede über den Knast. Die Musik solle den Jugendlichen auf ihrer Suche nach dem richtigen Lebensweg begleiten, statt schlechte Menschenbilder zu prägen.
Auch diese Botschaft soll von Lehrveranstaltungen wie der von Lenz und Paetau ausgehen. Seminare wie „Nothin‘ but a G Thang“ ermöglichen den differenzierten Blick auf eine Kultur, die mittlerweile vieldiskutierte Preisträger hervorbringt. Einen Blick, der vielleicht auch dazu verhilft, künftig mit fundierteren Argumenten in Diskussionen über Integrationspreisverleihungen für „Gangster-Rapper“ zu gehen. Wer über Rap redet, muss auch Rap hören lernen. Hip-Hop bleibt gesellschaftsrelevant. Und ganz gewiss nicht nur ’n Gangster-Ding.