Reden ist silber, Schweigen ist schwarz

Im Zuge eines Seminars entwarfen drei FU-Studenten eine Virtual Reality Brille, die durch Geräusche digitale Bilder erzeugt. Elias Fischer testete die Erfindung – und hielt endlose Monologe.

Elias Fischer in einer anderen Welt. Bild: Aux Synthesia, Montage: Anselm Denfeld

Ich stagniere irgendwo inmitten eines endlosen Raumes. Ein mit Gummi um meinen Kopf gespannter Kasten sperrt mich in tiefster Dunkelheit ein. Ein kurzer Moment der Schwerelosigkeit, hervorgerufen durch meine Orientierungslosigkeit und die Totenstille. In weiter Ferne vernehme ich plötzlich eine getaktete Zahlenfolge. „Drei, zw…“. Hektisch rast der Alarm der Ungewissheit durch meine Nervenzellen: „Oh, mein Gott. Es beginnt sofort. Was passiert jetzt? Wo muss ich mich festhalten?“ “..ei, eins, null!”

Wieder einmal Stille. Allerdings stört jetzt ein neonblaues Raster die Dunkelheit. Ich schnaufe konstatierend. Abrupt breitet sich nach dem Geräusch ein Wald vor mir aus und verschwindet wieder. Verwundert schnaufe ich ein zweites Mal. Wieder entsteht ein Wald und verschwindet. Ich verstehe und rede los – erst laut mit mir selbst und schließlich mit Jan. Erstmals ein stabiles Bild – ein Wald aus Pixelwolken in schwarzweiß. Brabbelnd drehe ich meinen Kopf – überall Bäume. Keine Farben, kein Geruch, keine Störgeräusche – ein surreales Behagen. Es provoziert mich, im Gehölz zu sein, ohne die additiven Sinneswahrnehmungen. Gleichzeitig fasziniert es mich. Je lauter ich rede, desto klarer erscheint die virtuelle Realität.

Sehen durch Sprechen

Doch spulen wir einmal zurück: Jan Batelka erklärt sich bereit, mir das Projekt Aux synesthesia in Theorie und Praxis zu zeigen. Er ist einer von drei Studenten, die an dem Projekt einer eigenen Virtual Reality Brille (VR-Brille) werkelten. Die Arbeit wurzelt in einem Softwareentwicklungsseminar unter Leitung von Prof. Dr. Claudia Müller-Birn. “Im Mittelpunkt des Seminars standen AR- und VR-Technologien. Der menschliche Sinnesapparat diente dann als Anregung für die Software“, schildert Jan. Zur Bewältigung dieser Herausforderung formierte sich die Gruppe bestehend aus Jan, Thushan Satkunanathan – beide Informatikstudenten an der FU – und Peter Sörries – Student des Produktdesigns an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee.

Homo Fledermaus

Im Gegensatz zu herkömmlichen VR-Brillen erzeugt die Brille der drei Studenten auf den Screens ein Bild durch das Aussenden und Empfangen von Schallwellen.  Das Exemplar des Trios nutzt zwar ebenfalls Infrarotkameras zur Positionierung im Raum, doch verbleiben die Träger im Dunkeln, solange sie keine Geräusche erzeugen. Denn an der Brille befindet sich ein Mikrofon, das Schallwellen empfängt und an eine Kamera weiterleitet, die den Ton in digitale Bilder transformiert. “Die Inspiration liegt im Tierreich”, erklärt Jan, denn auch die Fledermaus nutze Schallwellen, um ein Abbild der Umgebung zu skizzieren – die sogenannte Echolokation. Der Mensch hingegen konstruiert seine Realität hauptsächlich mit den Augen. Er ergänzt sie lediglich mit den anderen vier Sinnen und Erfahrungen. Da sei es doch interessant wie der Mensch agierte, bezöge sein Hirn die Bilddaten von den Ohren, wirft Jan schmunzelnd in den Raum.

Endboss: Kreisel. Bild: Aux Synthesia

Zum Schluss der Session hebt er die Erfahrung in der Welt noch einmal auf einen neuen Level, spielt im Quellcode herum und schaltet künstliche Schallwellen ein. Der feste, schachbrettartige Boden unter meinen Füßen zerfließt nun in sich stetig wandelnde Ringformationen. Ich fühle mich wie nach einer Extrarunde Drehkreisel auf dem Spielplatz. Glücklicherweise verzichteten die Entwickler auf Farbakzente. Andernfalls läge hier Tripgefahr vor. Es bleibt mir nur ein Weg aus der psychedelisch anmutenden Wirklichkeit – Reden einstellen! Trifft sich gut, denn ich ertrage nach minutenlangem Monolog meine eigene Stimme eh nicht mehr. Schweigen ist schwarz. Ende.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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