Viral aus Wut

Warum fühlen sich Kommentarspalten in sozialen Medien manchmal wie der negativste Ort der Welt an? Aktuelle Studien zeigen die Zusammenhänge zwischen Wut, Furcht und Online-Kommunikationsmustern. Lena Stein berichtet.

Die sozialen Medien machen uns immer wütender. Illustration: Constanze Baumann.

Beiträge auf Social Media, die Wut und Furcht in uns hervorrufen, verbreiten sich am schnellsten. Das fanden Ema Kušen und Mark Strembeck an der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) in einer Studie Anfang 2019 heraus. Während des Verlaufs der Studie wurden verschiedene Datensätze von Facebook, Twitter und YouTube gesammelt, die von den Nutzenden positiv, negativ oder als polarisierend aufgefasst wurden. Dies seien laut Strembeck beispielsweise Posts über Geburtstage von prominenten Personen, Terroranschläge oder Wahlen. In folgenden Studien wurden insgesamt 23,3 Millionen Textnachrichten auf Social Media Plattformen auf typische Kommunikationsmuster untersucht. Die Nachrichten stammen aus zehn verschiedenen Ländern und wurden in kritischen Situationen wie Anschlägen, Hassverbrechen und Amokläufen ausgetauscht.

»Aus der psychologischen Forschung ist bekannt, dass Emotionen signifikante Auswirkungen auf das Kommunikationsverhalten von Menschen haben«, erzählt Strembeck. Untersucht wurden sogenannte Emotion-Exchange Motifs, eine Art von Network Motifs, also »Netzwerkmuster, die nicht zufällig auftreten«. Bei diesen wurde festgestellt, dass die Emotionen Wut und Furcht in der Kommunikation per Direktnachrichten zwischen zwei Nutzenden am häufigsten vorkommen.  »Dieses Ergebnis deutet darauf hin, dass negative Emotionen, die mit starker Erregung in Verbindung stehen (Wut und Furcht), besonders geeignet sind, um Social-Media-Debatten auszulösen.« Besonders interessant: Emotionen, wie beispielsweise Traurigkeit, treten hauptsächlich in Kommunikationsmustern auf, in denen nach dem Weiterleiten keine Antwort erfolgt. Diese Einweg-Kommunikation, so Strembeck, könne dagegen insbesondere bei Nachrichten beobachtet werden, die positive Emotionen anregen.

Die Algorithmen lehren uns immer wütender zu werden

Eine weitere Studie der Yale University, die 2021 in der Fachzeitschrift Science Advance publiziert wurde, stellt ähnliche Ereignisse fest. Hier wurden 12,7 Millionen Tweets von 7.331 Twitter-Nutzenden während kontroverser Situationen untersucht. Auch diese Studie bestätigt, dass jene Posts, die uns aufregen, mehr Aufmerksamkeit generieren. Zusätzlich kam heraus, dass sich das Kommunikationsverhalten mit der Zeit verändert: Die sozialen Medien lehren die Nutzenden immer wütender zu werden.

Die Algorithmen tragen in großem Maße dazu bei, dass Nutzenden immer wieder Inhalte angezeigt werden, die deren Emotionen ansprechen – gerade solche, die wütend machen. Dadurch geraten Nutzer*innen in eine Art Teufelskreis: Sie werden wütender und bekommen mehr entsprechende Inhalte angezeigt. Die Algorithmen sind darauf ausgelegt, Inhalte zu priorisieren, die eine hohe Interaktion erzeugen. Beiträge, die viele Kommentare, Likes oder Shares erhalten, werden also bevorzugt behandelt.

Positive Emotionen als Gegenmittel der Wut

Hinzu kommt, dass sich Nutzer*innen hier sicherer fühlen als im realen Leben. Denn sie können anonym bleiben und müssen keine Konsequenzen fürchten, wenn sie einen gehässigen Kommentar posten. Durch Anonymität fällt es leichter Wut auszudrücken. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die zwischenmenschliche Kommunikation, sondern auch auf die mentale Gesundheit der Nutzenden.

Einen Lichtblick gibt es trotzdem: Die WU-Studie fand heraus, dass die sogenannte Undoing Hypothesis aus der psychologischen Forschung auch in den sozialen Medien auftritt. Diese besagt nach Strembeck,  »dass bei negativen Ereignissen dennoch in signifikantem Ausmaß positive Emotionen auftreten. Der Grund hierfür ist der Versuch positive Emotionen, gewissermaßen als ›Gegenmittel‹, gegen negative Emotionen einzusetzen.« So sind die ersten Reaktionen auf Posts nach negativen Ereignissen zwar von Wut geprägt, zu einem späteren Zeitpunkt basiert die Kommunikation jedoch auf positiven Gefühlen.

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