Einen über den Durst: Der Flaneur besuchte die Cafés auf dem Campus, goutierte viel und verbrannte sich die Zunge. Von Sophie Jankowski
Fotos: Tina Conrad
Das osmanische Reich existiert längst nicht mehr, doch der gute Kaffee, der einst von dort nach Dahlem schwappte, ist uns erhalten geblieben. Ob Kauderwelsch, PI- oder Sportler-Café: Das ursprünglich aus Äthiopien stammende Heißgetränk wurde im 15. Jahrhundert von den Türken salonfähig gemacht und erreichte über Umwege auch die höheren Bildungsanstalten. Zunächst etablierte ein Sultan namens Süleyman das Kaffeekränzchen in den besseren Gesellschaftschichten von Paris: et voilà, le Café! Die ihm eigene Atmosphäre, die Einladung zum Verweilen und zur Observation menschlicher Unzulänglichkeiten machte das Café zum Ort der Entfaltung kreativen Esprits. Hier wurden Revolutionen geplant, die ersten Zeitungen entworfen, Pamphlete geschrieben und Schach gespielt. Van Gogh malte als eines seiner ersten Nachtbilder ein Café und vergaß, es zu signieren. Doch noch mehr als das besondere Flair der Cafés verhalf kleinen Männern die anregende Wirkung des Getränks zu Größe: Kant verstand die Bedeutung seiner eigenen Sätze nur mit Hilfe von Kaffee. Hartnäckig hält sich auch das Gerücht, Napoleon sei bei Waterloo nur darum besiegt worden, weil er an jenem Morgen keinen Kaffee getrunken hatte.
Botanische Affigkeiten
Die liebevolle Pflanzensammlung auf der Treppe des PI-Cafés stammt aus dem momentan unbenutzten Büro eines Botanikprofessors. 1999 brach er zu einer Expedition zum Amazonas auf und wurde seitdem nicht mehr gesehen. Allerdings schreibt er jedes Jahr zu Weihnachten eine Postkarte an sein Institut, dieser Affe. Die offene Professorenstelle wurde noch nicht neu besetzt, schließlich wartet man noch auf seine Rückkehr. Das Café selbst verbirgt sich hinter einer zuplakatierten Tür, durch die man in eine anachronistische Welt eintritt: durchgesessene Sofas, ausrangierte Stühle der Uni und Kaffeebecher mit lustigen Sprüchen, die niemand mehr haben will. Die Luft ist staubig und riecht nach vergangenen Tagen. Die Zeitung auf dem Tisch ist von gestern und das zum Café gehörige Psychologie-Institut ebenfalls. Das Ganze hat den Charme eines alten Schwarz-Weiß-Fotos mit Kaffeeflecken. Allein die Bionade im Kühlschrank erinnert daran, dass wir uns in den Zweitausendern befinden. Allerdings: Zigaretten sind hier einzeln erhältlich und lobend hervorgehoben sei auch der Balkon, auf dem man sie qualmen kann.
Kuss mit Mundgeruch
Langsam, aber sicher breitete sich das Baci’s in den letzten Jahren auf dem Dahlemer Gehweg aus. Anfangs war es nur ein einfacher Wagen, der zwei Sorten Kaffee verkaufte. Vor dem Wagen wurden Stühle aufgestellt, aus dem Wagen wurde ein Zelt, das Zelt wurde zu einem größeren Gartenhaus. Die Expansion des Cafés schreitet immer weiter voran, im letzten Sommer eroberten Stühle und Tische bereits den Platz vor dem Copy-Shop und auch das Territorium der benachbarten Buchhandlung Schleichers wurde vom Baci’s-Mobiliar anvisiert. In Italien sind Baci die Schokoladenversion des chinesischen Glückskekses mit sinnentleerten Ratschlägen für die Liebe: »In amore troppo è ancora poco.« 1922 wurde die Süßigkeit vom »Buitoni«-Gründer erfunden und wird seitdem vom Pastaimperium mit unveränderter Rezeptur hergestellt. So alt ist der Dahlemer Kuss noch nicht und statt auf süße Orakel ist er auf amerikanische Kaffeekunst spezialisiert, das heißt auf Mundgeruch. Trotzdem ist das Baci’s auf dem besten Wege, ganz Dahlem zu erobern. Denn eine Werbeaktion à la »CoffeeCompany« ist schon in Planung, um die Bekanntheit bei den Studenten zu erhöhen: Wer einen Baci-Werbe-Slide in die Powerpointpräsentation seines Referates einbaut und dies per Foto oder besser per Video dokumentiert, bekommt einen Kaffee for free.
Koffeingetränkte Vergänglichkeit
In der Studentenwerk-Café-Bar wird hinter der Theke mit hastig zugerufenen Anweisungen zu dritt im Akkord gearbeitet. Schließlich sammelt sich davor eine lange Reihe von Mitarbeitern, Studenten und Universitätsgästen. Tatsächlich existiert eine Überlieferung zur längsten Warteschlange, die sich hier einmal gebildet haben soll: Im Jahre 1979 reichte sie bis in den Gang K, Straße 27 – dort, wo heute die ZEDAT zu finden ist. Dieser To-Go-Andrang zeigt auch schon, dass es sich eher um einen reinen Kaffeeausschank als um ein echtes Café handelt. Unbequeme Holzklötze und hektische Mensa-Atmosphäre laden nicht gerade zum Philosophieren und Verweilen ein. Hier zählt allein das Koffein, das die gleiche Strukturformel wie Teein hat und nur auf Grund einer Phosphorylierung am dritten C-Atom eine polyklonale Kardiobrachykardie auslösen kann. Diese von FU-Biologen entwickelte Struktur sorgt dafür, dass der Konsument dreimal länger wach bleibt. Wenn schon nicht philosophieren, so kann man immerhin eines hier: den Puls des Studiums fühlen, das emsige Hin-und HerHetzen zwischen Seminaren, Vorlesungen und Klausuren erleben. Zwischen dem ameisenstockartigen Herumlaufen der Studenten wird man sich auch der eigenen kaffeegetränkten Vergänglichkeit bewusst. Am Ende des Tages liegt nur noch ein müder Donut in der Auslage und die Pappbecher stapeln sich in den umliegenden Mülleimern.
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