Furios daheim: Vorstadtgeflüster

Mit jedem Jahr, das sie in Berlin lebt, fühlt sich Hanna Sellheim ihrer Heimatstadt Düsseldorf ein wenig fremder. Trotzdem weiß sie immer noch genau, wie man dort am meisten Spaß haben kann – und dass es keinen Ort wie Zuhause gibt.

An der Rheinpromenade trinkt sich das Altbier am besten. Foto: Hanna Sellheim

An der Rheinpromenade trinkt sich das Altbier am besten. Foto: Hanna Sellheim

Jedes Mal, wenn der Zug ratternd die letzten Kilometer in meine Heimatstadt hinein überwindet, sehne ich mich im ersten Moment zurück nach Berlin. Denn der Düsseldorfer Hauptbahnhof ist ein gänzlich attributloser, brutal hässlicher Betonbau, der mitnichten darauf schließen lässt, dass man soeben die Pforten der Landeshauptstadt NRWs betritt – die nicht zuletzt für ein horrendes BIP bekannt ist.

Die Stadt gruppiert sich um die Königsallee, unter Einheimischen liebevoll „Kö“ genannt, auf der man eine Sammlung teurer Geschäfte und neureicher Lokalberühmtheiten antrifft. An diesen Moloch einer Flaniermeile grenzt die Altstadt – das Ausgehviertel der Stadt, das sich bis zu den Ufern des Rheins erstreckt. Die meisten Clubs hier verweigern Frauen ohne High Heels den Eintritt und in den Bars zahlt man nicht selten ein kleines Vermögen für einen schlichten Longdrink. Sicherer ist es dann, beim Altbier zu bleiben.

Auf ein Altbier in die „Kneipe“

Wer zum ersten Mal in Düsseldorf landet, wird sich vermutlich über dieses eigentümliche Getränk wundern. Es ist ein dunkles, bitteres Bier, das man eigentlich nur ertragen kann, wenn man seit seinem 16. Lebensjahr sukzessive daran gewöhnt wurde. Am besten trinkt man es im Keller einer kleinen Kneipe mit dem originellen Namen „Kneipe“, die ein bisschen abseits des Altstadttrubels liegt.

Wer im Anschluss an den Genuss dieser alkoholischen Delikatesse noch tanzen gehen möchte, sollte einen großen Bogen um alle Clubs auf der Bolkerstraße mit ihrem schrecklichen Charts-Tanz-Mix machen. Stattdessen sollte man sich in eine der Seitengassen schlagen, in der sich das „Cube“ befindet: Eine Bar mit einem winzigen, verrauchten Kellerclub, in dem man bis in die frühen Morgenstunden wunderbar zu Techno, Elektro und Reggae tanzen kann.

Welcome to suburbia

Das alles meine ich jedoch nicht, wenn ich von „Zuhause“ spreche. Für mein Zuhause müssen wir uns noch etwa 20 Minuten vom Stadtkern entfernen und Gerresheim betreten, einen liebenswerten kleinen Vorort von Düsseldorf. Er besteht hauptsächlich aus mehreren idyllischen Reihenhaussiedlungen verschiedener Bauepochen, die ergänzt werden durch ein paar Kirchen, ein Krankenhaus, zwei Gymnasien, die eine zärtliche Feindschaft zueinander pflegen, und eine Reihe von Läden, in denen man glitzrige Teelichthalter und lustige Aufstellfigürchen erwerben kann.

Alle paar Wochen gibt es ein großes Straßenfest mit schrecklicher Musik, das eigentlich nur als Ausrede für frühmorgendlichen Alkoholkonsum dient. Besonders beliebt ist das jährliche Weinfest im September, bei dem sich die gesamte Stadtgemeinschaft auf dem Kirchvorplatz versammelt, sich kollektiv einen anschickert und dazu Käsewürfel aus Tupperdosen schnabuliert. Den Rest des Jahres vertreibt man sich hier gerne seine Zeit mit Pferdewetten auf der Rennbahn, dem Besuch von Messen und Barbecues im Vorgarten des eigenen Einfamilienhauses.

Doch so sehr mein Zuhause nach meinem Umzug nach Berlin vielleicht manchmal spießig und kleingeistig erscheint – Gerresheim ist trotzdem der Ort, an dem ich den Großteil meines Lebens verbracht habe. Meine gesamte Familie und meine ältesten Freunde leben hier und jede Straße ist voller Erinnerungen. Hierhin kann ich immer zurückkommen – und werde mit guten Nachrichten genauso aufgenommen wie mit schlechter Laune.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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