Die Afrika-Expertin Uschi Eid prangert die deutsche Wissenschaft an: Zu wenig werde zum Thema Afrika geforscht und wenn, dann oft mit ideologischen Vorurteilen. Die Ergebnisse finden indes wenige Anwendungsmöglichkeiten in der Politik. Von Leon Holly.
Uschi Eid eckt an. Was sie für richtig hält, spricht sie aus, trotz mancher Kritik. Sie bemängelt die Dominanz des Postkolonialismus in der Afrika-Forschung, sieht in ihm bevormundende und ideologische Züge. Entwicklungshilfe sei für die Probleme des Kontinents keine Lösung: Statt staatlicher Gelder aus dem Ausland brauche es bessere Rahmenbedingungen für Investitionen in die Wirtschaft der dortigen Länder. Zu diesen Standpunkten gelangte die gebürtige Pfälzerin nach jahrzehntelanger Erfahrung mit der deutschen Afrikapolitik: Während ihres Studiums setzte sie sich Ende der 1960er Jahre für die Entkolo-nisierungsbewegungen ein, saß 1985 für die Grünen erstmals im Bundestag, und wurde unter Kanzler Gerhard Schröder Afrikabeauftragte der Bundesregierung. Heute ist Uschi Eid Präsidentin der Deutschen Afrika Stiftung und unterrichtet alle zwei Semester ein Seminar zu „Afrikanischer Reformpolitik in Theorie und Praxis“ am Otto-Suhr-Institut der FU.
Ihre Solidarität, das macht nicht nur der Titel ihrer Lehrveranstaltung deutlich, gilt den Afrikaner*innen, die ihren Kontinent und ihre Länder reformieren und verwandeln wollen. Diese politischen Reformen benötigen jedoch begleitende Forschung – nicht nur in Afrika selbst, sondern auch hierzulande, um die deutsche Afrikapolitik zu verbessern, meint Eid. Aber diese Forschung wird kaum geleistet.
Lediglich sieben deutsche Universitäten bieten Studiengänge mit dem Schwerpunkt „Afrika“ an. Diese konzentrieren sich überwiegend auf Aspekte wie Sprache, Ethnologie und Kultur, oder nehmen eine postkoloniale Perspektive ein, betrachten also die Geschichte der Auswirkungen von Kolonialisierung und Imperialismus auf den afrikanischen Kontinent. „Wir wissen sehr viel über die Volksgruppe der Dogon in Mali“, bemerkt Eid. „Das finde ich gut, keine Frage. Aber was wissen wir denn über das parlamentarische System und die malische Verfassung? Da herrscht ein Ungleichgewicht in der Forschung.“
Krisen und Missstände, die es in Afrika zu lösen gilt, gibt es zuhauf: Mangelnde Rechtsstaatlichkeit, verschieden-artige Kriege und Konflikte, eine extrem junge Bevölkerung, deren Anzahl sich wohl bis 2050 verdoppeln wird, oder die drohende Klimakatastrophe. Gut also, dass die Bundesregierung in diesem Jahr ihre Afrika-Leitlinien aktualisierte und sich dabei an der Agenda 2063 der Afrikanischen Union orientiert. Doch begleitende Afrika-Forschung sei eine Mangelware in der deutschsprachigen Wissenschaft, mahnt Uschi Eid an: „Wir haben eine große Kluft zwischen notwendigen Forschungserkenntnissen und Politikberatung. Es gibt wenige Wissenschaftler, deren Ergebnisse etwa relevant für die Bundeskanzlerin sind, damit sie ihre Politik auf Fakten stützen kann.“
Auch an der FU existieren lediglich ein 60-LP Bachelor zur Kunstgeschichte Afrikas, sowie der Studiengang „Sozial- und Kulturanthropologie“, der unter anderem afrikanische Gesellschaften ethnographisch in den Blick nimmt. Dazu kommen vereinzelte Seminare, wie das von Uschi Eid. Doch nicht immer wurden afrikanische Fragen an der FU derart außen vor gelassen: Bis 2001/02 vertrat der Kameruner Prinz Kum’a Ndumbe III. den emeritierten Professor Franz Ansprenger auf dem Lehrstuhl für Afrikapolitik am OSI. Dann strich die FU den Lehrstuhl im Zuge einer Sparwelle, Kum’a Ndumbe musste gehen. Für Eid eine Tragödie. Sie fordert entschieden die Rückkehr des Afrika-Lehrstuhls an der FU: „Wir können es uns nicht länger erlauben in der Hauptstadt keine profilierte Afrika-Forschung zu betreiben!“
Bisweilen lasten auch Dogmen auf der Wissenschaft. Postkoloniale Forschung etwa, die eigentlich die wichtige Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Großmächte sucht, weist auch ihre „problematischen“ Seiten auf. Denn obwohl sie gerne den „eurozentrischen“ Blick bemängelt, verharrt sie mitunter selbst in einer europäischen, in der Schuld der kolonialen Vergangenheit getränkten Perspektive. Damit läuft sie Gefahr, das Klischee des ewig passiven afrikanischen Opfers zu bedienen, das heute noch die öffentliche Wahrnehmung bestimmt.
„Wir tun immer so, als wäre Afrika nie selbst Akteur. Aber das stimmt ja nicht!“, empört sich Uschi Eid. „Afrikanische Länder haben zum Beispiel 54 Stimmen in der Generalversammlung, ohne die geht in der UNO gar nichts. Vor Entscheidungen werden diese Länder immer konsultiert.“ Wichtig sei deshalb mehr empirische Forschung zur modernen afrikanischen Geschichte, in der Afrikaner*innen als handelnde Subjekte vorkommen. Notwendige Fragen fallen ihr ein: „Wie hat sich Afrika international etabliert? Wie haben sich die politischen Systeme entwickelt, die sich afrikanische Staaten nach ihrer Unabhängigkeit gegeben haben? Oder welche Rolle spielt der Panafrikanismus heute?“
Es sind besonders Stimmen aus Afrika, die den teils verzerrten westlichen Blick anprangern und denen Eid auch in ihrem Seminar Raum gibt. Stimmen, wie die von Axelle Kabou aus Kamerun, die in ihrer lesenswerten Streitschrift „Weder arm noch ohnmächtig“ den gängigen Klischees über den Kontinent widerspricht. Stattdessen formuliert sie eine scharfe Polemik gegen die „schwarzen Eliten und ihre weißen Helfer“. Afrika mangele es keineswegs an Ressourcen und finanziellen Mitteln – sie befänden sich lediglich im gierigen Griff korrupter Oligarchen. Was es also brauche, seien politische Reformen von innen, sowie heimische Produktionsstätten, damit die Wirtschaft nicht überwiegend vom Rohstoffexport abhänge.
Ähnliche Töne stimmt auch die Ökonomin Dambisa Moyo in ihrem Buch „Dead Aid“ an, wo sie für eine Streichung westlicher Hilfsgelder an afrikanische Staaten plädiert. Dass Entwicklungshilfe systemische Armut mindern könne, sei ein Mythos, schreibt sie. Im Gegenteil, der Geldfluss „war und ist für die meisten Entwicklungsländer auch heute noch ein totales politisches, ökonomisches und humanitäres Desaster“. Eid sekundiert: „Entwicklungszusammenarbeit kann höchstens begrenzte Insellösungen für Probleme schaffen. Es wäre hilfreich, wenn dortige politische Eliten ihre Machtpositionen nicht mehr als eigene Existenzabsicherung begreifen würden.“ Statt „Brot für die Welt“ also lieber Arbeitsplätze in der Landwirtschaft für Afrika. Wie das zu erreichen ist? Nun, dazu könnte eine lösungsorientierte Forschung in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen beitrag – auch an der FU.