Ärger, Wut und schönes Wetter

Während ihres Studiums an der FU Berlin schrieb Monika Rinck hauptsächlich Hausarbeiten. Nun kehrt die erfolgreiche Lyrikerin als Gastprofessorin zurück – und lehrt anderen Studierenden das kreative Schreiben. Von Lena Rückerl.

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Die Lyrikerin Monika Rinck leitet in diesem Sommersemester eine Schreibwerkstatt an der Freien Universität. Bild: Gene Glover

„Ich habe eigentlich immer geschrieben, aber keine Gedichte”, sagt Monika Rinck. Lange Zeit hatte die Dichterin das Gefühl, der Lyrik, die sie las, nichts hinzufügen zu können. Schreiben war für sie nur das Befüllen von Tagebüchern oder das Erfüllen von Aufgaben für Schule oder Universität.  In ihrem Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft und Germanistik an der Freien Universität spielte zeitgenössische Poetik nur eine kleine Rolle. Erst als Rinck an der Yale-University New Haven in den USA die dortige Tradition der Gegenwartslyrik entdeckte, begann sie selbst Lyrik zu schreiben. Nun kehrt die ehemalige Studentin zurück an die FU – als Gastprofessorin am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft. Dort leitet sie in diesem Sommersemester eine Schreibwerkstatt.

Wie von der Lyrik leben?

Eine klassische Ausbildung zur*m Dichter*in gibt es nicht. Rinck sammelte ihre Schreiberfahrungen in einem Lyrikkreis. Dort wurden über Jahre hinweg Texte gemeinsam besprochen und so das Schreiben geübt. „Ich glaube ohne diesen Lyrikkreis wäre ich niemals Lyrikerin geworden“, betont Rinck. Eine richtige Berufsoption war das Schreiben trotzdem erst einmal nicht. „Lyrikerin ist ja kein Geschäftsmodell, sondern quasi ein Mischmodell. Daher muss man immer sehr viele andere Dinge tun, um es sich überhaupt leisten zu können, hauptberuflich Gedichte zu schreiben.” Bis vor wenigen Jahren arbeitete die Lyrikerin halbtags beim öffentlich-rechtlichen Radio. Durch Stipendien und Preisgelder war es ihr aber immer wieder möglich, unbezahlten Urlaub zu nehmen.

„Schon während meiner Tätigkeit beim Sender habe ich immer Notizen gemacht, um mich später darum zu kümmern”, beschreibt Rinck den Ideenprozess. Für die Ausarbeitung von Ideen nutzt sie Notizbücher – Arbeitstagebücher, die ihr als Materialsammlungen dienen. Es gibt ein Heft, in dem sie alles für eine Poetik-Vorlesung in Frankfurt gesammelt hat. Auf den Seiten anderer Notizbücher finden sich die Titel Kill your darlings, Fontane oder Wilhelm Raabe. Es sind die Notizen für Magazintexte, Lesungen oder für eine Festschrift. Ist ein Heft voll, bekommt es eine Jahreszahl und wandert ins Regal. „Ich kann dann sozusagen meine eigene Arbeit nachverfolgen”, erklärt die Schriftstellerin . Fertig stellt sie die Texte aber am PC.

Wie Inspiration finden?

„Ärger, Wut, schönes Wetter zuweilen auch und natürlich andere Lektüren”, sind dabei ihre Inspiration. Manchmal auch ihre Twitter-Timeline. „Oft braucht es ja gar keine Inspiration, weil man einen Auftrag bekommt.” Wichtig für ihre Arbeit ist Monika Rinck immer der Austausch mit anderen Autor*innen: „Also ich habe mich eigentlich immer nur als Autorin gefühlt unter anderen Leuten, die auch schreiben.” Diskussionen in Literaturzeitschriften und online während der Corona-Pandemie können für sie den persönlichen Austausch nicht ersetzen.

Unter desinfizierten Hologrammen – eine Anspielung auf die allgegenwärtigen Desinfektionsmittel und Videokonferenzen im aktuellen Alltag – ist demensprechend einer der aktuellsten Begriffe in ihrem Projekt begriffsstudio. Hierfür verschickt sie regelmäßig Mikrotexte wie diesen an Abonnent*innen, zuletzt Nummer 4854. Das Projekt läuft bereits seit 1994. Die ersten 1000 Begriffe erschienen auch als Buch: Begriffsstudio 1996 – 2001. Über 25 Jahre später hofft Rinck auf eine weitere Veröffentlichung in Buchform.

Das Projekt entstand im Zuge ihrer Auftritte bei der Lesebühne Meiers schönen Fleischsalon in der Kulturfabrik Lehrter Straße in Moabit. Dort trug sie manchmal nur Notizen vor, da sie keine Zeit für neue ausgearbeitete Texte hatte und dem Stammpublikum der Bühne trotzdem etwas Unbekanntes präsentieren wollte.

In den letzten Jahren veröffentlichte sie zahlreiche Bücher: Champagner für die Pferde, Honigprotokolle oder Wirksame Fiktionen lauten die melodischen Titel. Rinck kuratierte Lyrik-Festivals, hält Poetik-Vorlesungen, übersetzt und schreibt auch mal Liedtexte. Für eine Professur am Institut für Sprachkunst an der Universität für Angewandte Kunst Wien richtete sie sich im vergangenen Jahr, neben ihrer Wohnung in Berlin Moabit, einen Zweitwohnsitz in Wien ein. Zuletzt wurde ihr im Februar 2021 von der Stiftung Preußische Seehandlung der Berliner Literaturpreis verliehen. Damit geht neben einem Preisgeld eine Gastprofessur am Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft der FU Berlin im aktuellen Sommersemester 2021 einher.

Wie schreiben lehren?

Rinck wird an der Freien Universität eine Schreibwerkstatt für Studierende aller Berliner und Brandenburger Universitäten leiten. Selbst hat sie nur eine Schreibwerkstatt in Bochum besucht und kam dabei nicht einmal dazu, ihren eigenen Text vorzulesen – der Text ihrer Vorrednerin war zu lang. „Dieser Text hörte und hörte und hörte nicht auf.”, erzählt sie lachend. Bei ihrer eigenen Schreibwerkstatt will sie auch Lektüre und theoretische Teile mit einfließen lassen. Wie genau das Ganze ablaufen wird, wird aber von den Studierenden und deren individueller Situation abhängen.

Bei der Kritik von Texten sollte man versuchen, „den Text im Rahmen dessen zu besprechen, was der Text für sich selbst als Ideal vorgibt”, findet die Lyrikerin. Die Differenz zwischen dem tatsächlichen Ideal des Textes und dem, was der*die Autor*in anstrebt, ist dabei besonders spannend. „Welche Texte gibt es vielleicht bereits an dieser Stelle? Was könnten da produktive Lektüren sein? Vielleicht fehlt noch ein bestimmtes Gewürz? Sind die Bilder gut gesehen?” – all das sind Fragen, die Rinck an Texte stellt, um Schreibende bei ihren Werken zu unterstützen. Ihre Schreibwerkstatt wird aber erst einmal ausschließlich online stattfinden, unter desinfizierten Hologrammen.

Am 27. April 2021 um 18 Uhr wird Monika Rinck unter dem Titel „Aquaplaning. So verhalten Sie sich richtig” ihre Antrittsvorlesung als Gastprofessorin für deutschsprachige Poetik halten. Die Bewerbungsfrist für Teilnahmeplätze in ihrer Schreibwerkstatt endete bereits im Januar.

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