Die Belastung nimmt zu. Diesen Eindruck gewinnen immer mehr Studierende in Deutschland, wenn sie an ihren Studienalltag denken. Für viele wird der Druck zu groß – sie brauchen psychologische Hilfe. Von Florian Schmidt
Stephanie schwitzt. Langsam rollen die Schweißperlen ihre Wangen hinab. Ihr Gesicht ist blass. Wäre es ein heißer Sommertag, sie würde als einer unter vielen dehydrierten Menschen kaum auffallen. Doch es ist nicht Sommer und es ist auch nicht heiß. Auf ihrem Weg zur Uni stößt sie beim Atmen eine Dampfwolke aus – das Thermometer zeigt an diesem dunklen Morgen im November lediglich zwei Grad über Null. Heiß ist Stephanie tatsächlich nicht, ihre Schweißausbrüche sind keine Körperreaktion auf zu große Hitze. Sie sind ein Anzeichen für ein Gefühl, das sie in letzter Zeit immer wieder beschleicht, wenn sie daran denkt, gleich in der Uni zu sitzen: Angst.
Stephanie studiert im dritten Semester Anglistik und Geschichte an der Freien Universität. Das beklemmende Gefühl ist für sie nicht neu, sie kennt auch die Ursache: Druck, Stress und zu hohe Belastung. Schon im zweiten Semester hatte sie immer wieder Phasen, in denen ihr die Lernanforderungen über den Kopf wuchsen und sie den Tränen nahe war. Oft hat sie sich damals gefragt, wie sie sich ihre Zeit geschickter einteilen und sich besser auf den Stoff konzentrieren könnte – nur um diese Fragen schließlich doch wieder zu verdrängen. Sie weiß inzwischen, dass das falsch war. Was sie noch vor wenigen Monaten nicht wahrhaben wollte, schlägt sich nun in schweren psychischen Problemen nieder: Jeder Gedanke an die Uni, die Hörsäle, Referate und Prüfungen ruft jene Angst hervor, die ihr auch heute wieder ins Gesicht geschrieben steht. Die Angst davor, durch die Prüfungen zu fallen, die Angst, unter dem Druck des Studiums zusammenzubrechen – die Angst vor dem Versagen.
So wie Stephanie geht es immer mehr Studenten in Deutschland. Seit der Einführung des Bachelor- und Mastersystems hat die Zahl der Hochschulbesucher mit psychischen Problemen stark zugenommen. Das bestätigt Hans-Werner Rückert, der Leiter der Studienberatung der Freien Universität, in deren Aufgabenfeld auch die psychologische Beratung von Studenten fällt. „Seit der Umstellung auf das neue System ist die Nachfrage nach unseren Beratungsangeboten um 20 Prozent gestiegen“, sagt er. Wer die Studienverlaufspläne vor und nach der Umstellung vergleiche, kenne die Gründe: „Die Verkürzung der Studienzeit verlangt von den Studierenden einerseits ein viel höheres Lernpensum. Andererseits ist der Bachelor oft so straff durchorganisiert, dass viele junge Leute die Freiräume vermissen, die sie speziell zu Beginn der neuen Lebensphase sehr brauchen.“ Denn zu den Anforderungen des Studiums kommen für einen Großteil der Erstsemester die Herausforderungen eines komplett neuen Lebens hinzu: Selbstständiges Wohnen, Arbeiten und das Zurechtfinden in einer fremden Stadt sind nur einige Ursachen, die für weiteren Druck sorgen.
Für nicht wenige wird das schnell zu viel. Zwar baute das Eingewöhnen in einen neuen Lebensabschnitt auch schon vor Bachelor und Master bei den jungen Leuten Stress auf, doch gab es dafür damals ein Patentrezept, das heute nicht mehr gilt, weiß Rückert: „Früher war die Standard-Message für jeden, dem die Arbeit über den Kopf wuchs: Entspann dich, vergiss das erste Semester.“ So gehe heute kaum ein Studienanfänger mehr an sein Studium heran, meint er. Der Grund: „Die Studierenden bekommen von Anfang an vermittelt, wie leistungsorientiert der dreijährige Bachelor ausgelegt ist. Das treibt viele in die Verzweiflung.“
Deshalb besuchen Studenten wie Stephanie umso öfter Beratungseinrichtungen. Die meisten kommen wegen zu hoher Lernbelastung zur Beratung, dahinter landet die Gruppe derer, die mit Motivations- und Orientierungsproblemen kämpfen. „Also die, die über einen Studienfachwechsel nachdenken“, erklärt Rückert. Andere kommen wegen Depressionen und wieder andere interessieren sich erst unmittelbar vor den Klausuren für ein Beratungsgespräch – die klassische Prüfungsangst.
Eins haben aber alle Anlässe gemein: Es handelt sich um psychische Probleme, die als solche erkannt und behandelt werden müssen. Klar sei, laut Rückert: „Psychische Probleme können mit einer solchen Wucht auf die Studierfähigkeit durchschlagen, dass die Betroffenen feststellen: Nichts geht mehr. Damit das nicht passiert, versuchen wir zu helfen.“
Auf dieses Angebot will jetzt auch Stephanie zurückkommen. Längst hat sie ihre Ängste erkannt und gemerkt, dass sie alleine nicht mit ihnen fertig wird. Deshalb hat sie sich über die Beratungsangebote informiert und einen Termin mit einem Psychologen vereinbart. Sie hofft sehr, bald wieder einen geregelten Alltag ohne Angst führen zu können. Ob das gelingt, bleibt offen. In einem Punkt aber ist sich Stephanie inzwischen sicher: Die Probleme in ihrem Kopf sind ganz normale Probleme. Und die lassen sich lösen.