Jeden Dienstag fährt Viviana in eine besetzte Schule in der Ohlauer Strasse. Dort bringt die FU-Studentin Geflüchteten ehrenamtlich die deutsche Sprache bei. Mirja Gabathuler traf sie zum Gespräch.
Als ich Viviana* treffe, unterhält sich die Studentin der Sozial- und Kulturanthropologie gerade für ein Uni-Projekt mit Bewohnern eines besetzten Geländes am Schlesischen Tor. Unter ihnen sind auch einige Geflüchtete, mit deren Situation Viviana vertraut ist. Denn jeden Dienstagabend versucht sie, Asylsuchenden beizubringen, in der hiesigen Landessprache zu sprechen und zu schreiben. Denn damit, dass diese mitten in der Großstadt oft in der Isolation leben, kann sich die Zwanzigjährige nicht so richtig abfinden: „Diese Grenzziehung ist total unnötig. Dass die Geflüchteten in einer anderen Welt leben, ist letztendlich nur ein Kopfkonstrukt.“
Etwa fünfzehn Geflüchtete besuchen im Durchschnitt den kostenlosen Deutschunterricht, den Valentina und ein Dutzend weitere Freiwillige mehrmals wöchentlich in der ehemaligen Gerhard-Hauptmann-Schule anbieten. Die meisten der hier Unterrichtenden sind Studierende ohne spezifische Vorkenntnisse. Die Lektionen gestalten sie unabhängig von didaktischen Schulungen oder Lehrbüchern. „Gerade die Unstrukturiertheit des Unterrichts mag ich“, sagt Viviana, „weil es zeigt, dass die Leute, die unterrichten, freiwillig kommen und nicht dazu verpflichtet werden.“ Durch die freie Form des Unterrichts könnten sie zudem individueller auf die Anliegen der Geflüchteten eingehen. Einige haben bereits in anderen Unterkünften eine paar Ausdrücke gelernt, andere sprechen noch kein Wort Deutsch.
Barrieren abbauen
Ursprünglich ins Leben gerufen wurden die Deutschlektionen von zwei Studentinnen, die persönliche Kontakte zu den Geflüchteten an der Ohlauer Strasse hatten. Viviana wurde durch eine Zufallsbekanntschaft darauf aufmerksam. Die erste Unterrichtsstunde war eine ziemliche Herausforderung für die FU-Studentin. „Eigentlich wollte ich mir das Projekt nur mal ansehen“, erinnert sie sich lachend, „aber ich wurde gleich ins kalte Wasser geworfen. Es kamen sofort Schüler auf mich zu und erklärten mir, woran sie heute mit mir arbeiten wollen.“ Das ist nun sechs Wochen her.
Als ich sie nach ihrer Motivation frage, zögert Viviana: Ursprünglich habe sie sich vor allem für die Herkunftsländer der Geflüchteten interessiert, von denen viele aus Nord- und Westafrika stammen. Dieser Kontinent fasziniere sie seit ihrer Kindheit. Heute geht es Viviana hauptsächlich darum, Barrieren zwischen den Asylsuchenden und ihren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu überwinden: „Seit ich vor Ort bin, finde ich es schade, wie wenig Kontakt die Geflüchteten zu Menschen haben, die ihren Hintergrund nicht teilen.“
Interesse geht über Unterricht hinaus
Manchmal gebe es während des Unterrichts auch schwierige Momente. Neulich habe etwa ein Schüler erzählt, dass er Angst vor einer Abschiebung habe und rechtlichen Beistand benötige, schildert Viviana. „Ich überlege mir dann natürlich auch, wie er sich jemals einen Anwalt leisten soll. Das sind Momente, mit denen ich auf Anhieb nicht umzugehen weiß.“ Doch die positiven Erlebnisse und Begegnungen während der Deutschlektionen seien viel zahlreicher, beteuert Viviana: „Etwa jedes Mal, wenn jemand lächelt und sich bedankt, jedes Mal wenn jemand sich freut dich wiederzusehen und du merkst, dass die Schüler auch über den Deutschunterricht hinaus an deiner Person interessiert sind.“
Einige der Geflüchteten sprechen dank des Unterrichts bereits fließend Deutsch. Laut Viviana bleibe in Zukunft aber noch viel zu tun: „Ich würde mir wünschen, dass mehr Personen, die relativ unbedarft in Deutschland leben, etwa Studierende wie du und ich, sich für dieses Thema interessieren würden.“ Neben den sprachlichen Barrieren müssen auch die Barrieren im Kopf abgebaut werden.
*) Name geändert