Ruhestätte Mensa II: Hier verspeisen Studierende die traurigen Überreste anderer Lebewesen. Unsere Autorin hat Mitleid mit sich und den Tieren. Von Cecilia T. Fernandez
Liebstes Schwein, verzeih mir, bitte. Gewiss hattest du große Träume, als du noch auf kleinen Klauen durch einen Stall in Brandenburg stolziertest. Bestimmt wolltest du gekrönter Anführer deiner Schweineherde werden und die fetteste Sau ehelichen. Nun aber liegst du hier vor mir, im Flutlicht der großen Mensa bis auf die Knochen entblößt und in mundgerechte Stücke gehackt. Liebstes Schwein, hier zu enden ist unwürdig.
Ist es dir zumindest ein Trost, dass nicht du allein im kulinarischen Fegefeuer gelandet bist? Immerhin sind die Brokkoliröschen und Bandnudeln an deiner Seite so konsequent durchgekocht, dass sie dem Gebiss weniger Widerstand leisten als Großmutters Busen der Gravitation.
Ich gebe zu, das Mensa-Essen zu monieren ist müßig. Immerhin bist du, arme Sau, billig zu haben! Und habe ich erst einmal die Schlange an der Kasse überstanden, ist mein bitteres Hungergefühl schon so angeschwollen, dass ich auch dankbar Kieselsteine lutschen würde.
Doch nicht einmal jetzt kann ich dich verspeisen, mein liebes Schwein. Denn einen Sitzplatz sehe ich hier weit und breit nicht. Erst einmal muss ich aufpassen, dass ich mir nicht den Hals breche: Vorsichtig umgehe ich die feuchten Essensreste, die die Gourmets hier schon um die Tische verteilt haben. Gar nicht so leicht, mich hier zurechtzufinden, während der Lärm meine Trommelfelle auf die Zerreißprobe stellt. Dazu diese Mischung aus den Düften von Mahlzeiten, Körperflüssigkeiten und schelmisch abgesonderten Flatulenzen – meine Nase verweigert den Dienst. Ich beneide dich ein wenig um deine Gleichgültigkeit, Schweinchen.
Aber siehe da, ich erspähe ihn trotz meiner Sinneseinschränkungen: den Kommilitonen, der alleine mit seiner Tasche und seinem Laptop den Tisch besetzt, an dem eigentlich sechs Personen zu Mittag essen könnten. Nicht nur muss ich meinen Albtraum wahr machen, mit einem Wildfremden am Tisch zu essen, ich muss ihn auch noch höflich bitten, mir Platz zu machen. Dass wir uns alle um die Mittagsstunde wie ein Rudel übergeschnappter Gefängnisinsassen am Fressloch versammeln müssen, liegt vor allem daran, dass ab 14.30 Uhr die Speisekarte dramatisch gekürzt wird.
Nun könntest du vielleicht denken, das sei wenigstens gut für die Linie, mein Schwein. In Wahrheit bedeutet es jedoch, dass gegen Abend nur noch die grell beleuchtete Fast-Food-Theke lockt. Den Hungrigen kommen dann höchstens Würste und Pommes auf den Teller, an denen das Fett abperlt wie der Morgentau am Grashalm.
Dabei kommt mir ein Gedanke, liebstes Schwein: Dein Ende ist wahrlich kein glorreiches – doch immerhin wurdest du nicht zu Wurst verarbeitet! Als Mensafleischgericht des Tages erlangst du zwar keinen Ruhm. Doch zumindest endest du so in meinem Darm, und nicht in deinem eigenen.
Herzlichst,
Cecilia