Eskalationsstufe Holm

Andrej Holm hat innerhalb kürzester Zeit zwei Jobs verloren – dafür ist er zu bedauern. Viele seiner Verteidiger verdrängen allerdings nur zu gern seine Fehler. Der Versuch einer Deeskalation von Marius Mestermann.

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Die Fronten sind hart, waren es von Anfang an. Da sind die einen, die Andrej Holm zur Ikone der Stadtsoziologie erheben und in seine aktuelle, ganz persönliche Misere alles Mögliche hineinprojizieren. Und da sind die anderen, die sein Aus als Baustaatssekretär und als Dozent der Humboldt-Universität für die einzig richtige Konsequenz aus seinem Umgang mit seiner Stasi-Vergangenheit halten.

Dass Holm gleich beide Jobs verloren hat, ist bedauerlich. Vor allem, weil er mit Inhalten und Engagement wohl viel zu einer sozialeren Wohnungspolitik hätte beitragen können – seine akademische Forschung und Lehre war, so ist es seit Tagen in den Zeitungen zu lesen, ohnehin hochgeschätzt. Doch Holm hat nun mal Fehler gemacht.

Politikum und politische Romantik

Sein Rücktritt als Baustaatssekretär ist eigentlich ein reines Politikum. Die förmliche Entlassung erfolgte einstimmig, ganz im Sinne des Koalitionsvertrages von Rot-Rot-Grün. Das war auch ein Zeichen dafür, dass da eine Regierung eine unliebsame Diskussion abhaken und sich schnell wieder ihren ehrgeizigen Erneuerungsprojekten widmen will. Denn eine Endlosdebatte um die Frage, ob Holms Stasi-Vergangenheit und sein Umgang mit derselben nun problematisch ist oder nicht, wollte man nicht riskieren.

Einen deutlich längeren Atem haben die Berliner Studenten, die seit knapp zwei Wochen das sozialwissenschaftliche Institut an der Humboldt-Universität besetzt halten – und Holm selbst. Der Noch-Dozent spricht offen von einer Kampagne gegen sich: „Wenn’s nicht die Stasi, nicht der Fragebogen gewesen wäre, dann wär’s der Linksextremismus geworden oder meine Haltung zu den Basisbewegungen in Venezuela.“ Er kündigte zudem eine Klage gegen seinen Rauswurf aus der HU an. Reue zeigt Holm nicht, und macht sich damit noch angreifbarer.

Es passt zu gut ins Schema

Viele seiner Unterstützer sehen das ganz anders: Andrej Holm, das Opfer einer fiesen Kampagne. Er, der für linke Ideale in der Stadtentwicklung steht, gestürzt von den Mächtigen in der Regierung – es passt einfach zu gut. Der HU-Präsidentin Sabine Kunst, die die schwere Entscheidung über Holms nahe akademische Zukunft fällen musste, werden sogleich politische Motive vorgeworfen. Auch hier wird so getan, als habe Holm gar nichts falsch gemacht, sondern sei „denen da oben“ aufgrund seiner Haltungen eben ein Dorn im Auge.

Die gegenwärtige Debatte hätte in ihrer Schärfe und Undifferenziertheit einen eigenen Namen verdient: Eskalationsstufe Holm. Wer hinter jeder Entscheidung, die nicht den eigenen Vorstellungen entspricht, gleich eine Verschwörung von Politik, Medien und Immobilienwirtschaft wittert, ist schlicht ideologisch verblendet. Warum ist es so schwer zu akzeptieren, dass Andrej Holm seinen doppelten Abgang letztendlich doch nur selbst herbeigeführt hat?

Die Solidarisierung mit Holm als verdientem Dozenten hat natürlich trotzdem ihre Berechtigung. Die Entscheidung von HU-Präsidentin Kunst war sicherlich hart und muss diskutiert werden. Andrej Holm schien nach dem Rücktritt als Staatssekretär eigentlich schon genug gestraft – trotz seiner offensichtlichen Reuelosigkeit. Das bedeutet im Umkehrschluss aber auch, dass man durchaus für Holm als Dozenten argumentieren kann, ohne gleich seine gesamte Wut über die Berliner Politik darin zu verpacken. So lässt sich vielleicht auch die Eskalationsstufe wieder etwas senken.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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