Der Wachtturm auf dem Campus

Auf dem Campus der FU versuchen Zeugen Jehovas unerbittlich, junge Menschen zu bekehren. Leon Holly hat mit ihnen geplaudert und ist skeptisch.

Beinahe jede Woche versuchen die Zeugen, Studierende zu "bekehren". Foto: Leon Holly

Die Zeugen glauben an eine bevorstehende Apokalypse. Nur wer beitritt, könne sich retten. Foto: Leon Holly

Zum Ende der Vorlesungszeit versuche ich morgens in der Eiseskälte vor dem U-Bahnhof Dahlem Dorf das neue FURIOS-Heft an die Studierenden zu bringen. Von denen bekommt man zu früher Stunde häufig Blicke zugeworfen, als hätte man ihnen den Wecker persönlich gestellt. Doch ich bin nicht der Einzige, der versucht seine Literatur zu verteilen. Nach kurzer Zeit gesellen sich zwei ältere Herren dazu, die sich schnell als Zeugen Jehovas zu erkennen geben. Zugegeben, das ist auf dem Campus der FU kein seltener Anblick. Wer Dahlem-Dorf regelmäßig auf seinem Weg zur Uni passiert, bemerkt hin und wieder Zeug*innen, die „ungläubigen“ Studierenden ihre Zeitschrift anpreisen. Was glauben diese Menschen und was motiviert sie zu ihrer Bekehrungsarbeit? Nun endlich bot sich die Gelegenheit das herauszufinden!

Fehlgeleitete Mitmenschen

Einer der Herren, zeigt sich besonders gesprächsfreudig und so beginnen wir uns zwischen den vorbeirauschenden Studierenden über Gott und die Welt zu unterhalten. Sein Umgangston ist überzeugt und bestimmt, doch nicht unfreundlich. Die jungen Leute („Evolutionisten und Atheisten!“) würden sich doch nicht mehr für die Heilige Schrift interessieren, entrüstet sich mein Verteil-Kollege, und andauernd nur mit Kopfhörern im Ohr auf ihre Smartphones schauen.

„Andere Christen sind ebenso fehlgeleitet“, meint er, als eine Frau seine Broschüre mit dem Hinweis auf ihren Glauben ablehnt. Die Zeugen Jehovas zeichnen sich im Vergleich mit anderen Konfessionen in der Tat durch eine strikte, wortgetreue Lesart der vermeintlichen Offenbarungen aus. Ihr Glaubensverständnis beinhaltet das Ablehnen von Bluttransfusionen, die Nichtanerkennung der Evolutionswissenschaft und die Überzeugung von der buchstäblichen Wiederherstellung eines irdischen Garten Edens.

Während sie auf das Paradies auf Erden warten, sehen die bibeltreuen Gläubigen von der Partizipation in weltlichen Dingen, wie dem Wählen von Parlamenten und Abgeordneten, ab. Das „Königreich Gottes“, lässt mich der Mann mit Verweis auf Johannes 18:36 wissen, sei schließlich nicht von dieser Welt. Die jetzigen Regierenden seien lediglich Platzhalter, bis der Endzeitkrieg namens Harmagedon die Erde überziehe.

Psychoterror in der Gemeinde

Nach einiger Zeit gesellt sich ein Student zu uns, der vor dem U-Bahnhof sein Frühstück zu sich nimmt. Er berichtet uns von Bekannten und Freunden, die früher Zeugen waren und die Glaubensgemeinschaft mittlerweile verlassen haben. Einige Aussteiger*innen äußern sich öffentlich über die dogmatische Indoktrination und den systematischen Terror, die sie erfahren mussten. „Es steht doch jedem frei zu kommen und zu gehen“, entgegnet der Missionar. Faktisch stimmt das – allerdings werden Abtrünnige von der Sekte mit sozialer Isolation und dem Kappen jeglicher Kontakte gestraft.

Solche Praktiken und Denkweisen wirken in unserer aufgeklärten Gesellschaft mehr als befremdlich. Es ist äußerst bemerkenswert und verblüffend, wie der vermeintlich nette, ältere Herr von nebenan, ganz selbstverständlich von der bevorstehenden Apokalypse schwadronieren kann. Wie er der festen Überzeugung ist, dass jede*r die*der an ihm vorüberzieht in einer Endzeitschlacht den Tod finden wird, während nur er und seine acht Millionen Glaubensschwestern und -brüder errettet werden.

Während ich meinen Soll beim Verteilen erfüllt habe, verkünden die beiden Zeugen beharrlich weiter das Wort des Schöpfers. Zum Abschied reiche ich ihnen die Hand und wir tauschen unsere heiligen Texte aus. Ich besitze jetzt den „Wachtturm“ – die beiden ein FURIOS Magazin.

Autor*in

Leon Holly

On the write side of History. @LeonHolly_

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