Mein Prof, der Geheimagent

Lana Bambetov hat ihr Auslandssemester an einer elitären Moskauer Diplomat*innenschule verbracht. Ein Unialltag zwischen ehemaligen Geheimagent*innen und künftigen Präsident*innen.

Wenn von Moskau die Rede ist, dann meist auch vom Kreml. Foto: Lana Bambetov

»Ihr, als unsere zukünftige Führungselite, werdet bald die wichtigen Entscheidungen in diesem Land treffen!« Das ist einer der ersten Sätze, die man zum Auftakt am Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) zu hören bekommt. An einer deutschen Universität scheint ein solcher Satz undenkbar oder zumindest sehr unwahrscheinlich. Aber das hier ist nicht Deutschland und das ist auch keine normale Universität. Denn das MGIMO untersteht als Bildungseinrichtung direkt dem russischen Außenministerium und gilt als »Kaderschmiede« der russischen Außenpolitik.

Ein Auslandsstudium hier bietet einen faszinierenden Einblick in die Welt der russischen Oberschicht, deren Sprösslinge sich auf die scheinbar vorgezeichnete Diplomat*innen-Lauf bahn vorbereiten. Auch durch seine Rolle in der Ausbildung der Auslandsagent*innen des sowjetischen Geheimdienstes KGB hat sich das MGIMO die Reputation aufgebaut, über eine der besten Sprachausbildungen weltweit zu verfügen. Dadurch ist das Institut international bestens vernetzt und jährlich kommen etliche Studierende aus aller Welt an das MGIMO, wo sie auf eine komplett andere Perspektive und Lebensrealität treffen.

Einer der KGB-Alumni, die an die Universität zurückgekehrt sind, ist Andrei Bezrukov. Er lehrt »Strategic Intelligence«, ein Bestandteil der Internationalen Beziehungen am Institut. Seine Kurse sind voll, denn Andrei Bezrukov ist eine kleine Berühmtheit. In seiner ersten Sitzung verweist er auf die amerikanische Fernsehserie »The Americans«: »Sie basiert auf meinem Leben. Ich habe die Filmrechte vor ein paar Jahren verkauft.« Ob all die wilden Verfolgungsjagden und hübschen, spärlich bekleideten Damen, die im zugehörigen Trailer eine prominente Rolle einnehmen, der Wirklichkeit entsprechen, lässt er im Unklaren. Aber einen wahren Kern hat die Serie auf jeden Fall. Denn tatsächlich kannte die Welt Andrei Bezrukov lange als Donald Heathfield, einen Harvard-Absolventen der John F. Kennedy School for Government, der bis zu seiner Enttarnung und Festnahme 2010 als russischer Agent in den USA spionierte. Einer seiner Mitstudierenden in Harvard, über die er genaue Aufzeichnungen führte, war Felipe Calderon, späterer Präsident Mexikos. Im Rahmen eines Gefangenenaustauschs kam Bezrukov nach kurzem US-Arrest frei und kehrte nach Russland zurück, um künftige Auslandsvertreter*innen zu unterrichten.

Am MGIMO geht es nicht um eine theoretische Betrachtung der Wirklichkeit, oder die Frage, ob es die Wirklichkeit überhaupt gibt. Es geht um Detailwissen über andere Länder, die Bildung von Kontakten und eine ausgezeichnete Sprachausbildung. Jede*r Studierende bekommt im ersten Semester eine Sprache zugeteilt, komplett ohne Mitspracherecht. Danach ist es Pflicht, diese das gesamte Studium lang zu belegen, unzwar intensiv: dreimal die Woche, je zwei Stunden und mit maximal vier Personen. Sergei Lawrow, langzeitiger Außenminister Russlands, lernte hier während seines Studiums etwa Singhalesisch und Dhivehi, die Amtssprache der Malediven

Es ist keine Seltenheit, berühmte Personen am Institut anzutreffen. Ehemalige Agent*innen, hochrangige Diplomat*innen und auch führende Politiker*innen geben sich hier nahezu wöchentlich die Klinke in die Hand und plaudern aus dem Nähkästchen. Die Studierenden sollen gut vorbereitet werden und die ganze handwerkliche Vielfalt russischer Politik kennenlernen. Die Liste an prominenten Absolvent*innen ist lang: Xenia Sobchak, ehemaliges »It-Girl« aus der Fernsehsendung »The Blonde in Chocolate« und erste weibliche Präsidentschaftskandidatin Russlands, Alihser Usmanow, einer der reichsten Männer Russlands, und gefühlt die gesamte politische Führung der ehemaligen Sowjetstaaten haben hier im Südwesten Moskaus Zeit verbracht.

Das Studium am MGIMO ist keine billige Sache: 70 Prozent der Studienplätze sind kostenpflichtig, der Rest wird über Stipendien nach Noten vergeben. Bis zu 10.000 Euro sind pro Semester f ällig, was für normale russische Verhältnisse geradezu unerschwinglich ist. Kein Wunder, dass die Probleme normaler Leute an der »Elite-Uni« kaum Beachtung finden. Weder die Rentenreform und die sie begleitenden Proteste, noch die Bezirkswahlen in Sibirien erregen das Interesse der Studierenden. Sie sehen sich wenig in der Verantwortung, sich mit den internen Problemen des Landes auseinanderzusetzen. Geht es aber um internationale Politik, sind alle in ihrem Element. Wenn sie etwa die russische Position in einem Planspiel nach dem Vorbild der Model United Nations vertreten, würde keine*r der Studierenden im Schatten des großen Vorbilds Sergei Lawrow stehen.

»Neutrale Regeln gibt es nicht« oder auch »Russland hat jegliches Recht, den Westen zu penetrieren« – im Studienalltag ist es nahezu unmöglich, die Spitzen gegen »den Westen« zu überhören. Auch, wenn objektive Untermauerungen solcher Aussagen eher schwer zu finden sind. Zur ganzen Wahrheit gehört aber auch, dass solche Äußerungen nicht unumstritten sind. In vielen Seminaren wird Raum für offene und kontroverse politische Diskussion gegeben, manchmal auch von Lehrenden bewusst gefordert. Viele Studierende suchen engen Kontakt zu internationalen Studierenden aus den Ländern, deren Sprache sie lernen. Und der Seminarkatalog ist breit aufgestellt. Eine Veranstaltung zu »Buddhismus im Süd-Osten Russlands« ist kein Ausnahmefall.

Natürlich kann man das Studium am MGIMO durchaus zu Recht als bonzig, unreflektiert oder gar unwissenschaftlich kritisieren. Aber wer sich nur auf diese Kritik beschränkt, greift zu kurz und verpasst etwas Wichtiges. Nachdem man diese Studienrealität und ihre radikal andere Perspektive erlebt hat – gerade im Kontrast zum normalen Leben in Moskau oder auf dem Land – versteht man Russland und seine Politik ein großes Stück besser. Dafür wiederum dürfte es sogar Lob des ehemaligen Undercover-Spions Andrei Bezrukov geben. Denn würde man den jetzigen Professor fragen, was der Hauptzweck eines Auslandsaufenthaltes sei, wäre genau das wohl seine Antwort: »Пойми другую сторону!« – »Verstehe die andere Seite!«

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