Bondage & Discipline – zwei sadomasochistische Praktiken, bei denen sich Partner*innen bis zur Bewegungsunfähigkeit fesseln. Das ist nicht ungefährlich: Gerade komplizierte Hängepositionen und Knoten erfordern Fachwissen und Expertise. Wie fühlt es sich an, die vollkommene Kontrolle über meinen Körper abzutreten? Ein fesselnder Selbstversuch.
Dass Clyo eine Sadistin ist, die Spaß daran hat, Menschen ihre Bewegungsfreiheit komplett zu rauben, denkt man auf den ersten Blick nicht. Freundlich bietet die junge Frau mir einen Platz auf dem Sofa in ihrem gemütlichen Wohnzimmer an. An der Wand hinterm Sofa hängen Seile, ordentlich nach Länge sortiert. Von der Decke herab baumelt eine Bambusstange von immensem Durchmesser, gehalten von massiven Haken.
In diesem Wohnzimmer nimmt die Bondagekünstlerin regelmäßig Menschen in Empfang, denen sie in Workshops beibringt, wie man Andere fesselt. Meist sind es Paare, die das „Shibari“ – so nennt man die aus Japan stammende, meist erotisch konnotierte Fesselkunst – von ihr lernen wollen. Aber Clyo gibt nicht nur ihr Wissen weiter: Sie bietet auch Sessions an. Wer zu ihr kommt, lässt sich von ihr fesseln, an die Decke hängen und dominieren. Dabei, das sagt sie mir ganz offen, geht sie gern sadistisch vor. Clyo fügt Menschen gerne Schmerzen zu – solange das einvernehmlich geschieht. Die meisten ihrer Partner*innen stehen auf Schmerzen. Was sie mit ihren Seilen so anstellt, werde ich heute am eigenen Leib erfahren.
Ohne Konsens geht nichts
„Mir ist wichtig, dass wir zuerst genau absprechen, was wir heute machen wollen. Konsens ist das Wichtigste“, stellt Clyo klar. „Du kannst mir jederzeit sagen, wenn dir etwas zu viel wird, wenn ich aufhören oder eine Pause machen soll.“ Das beruhigt mich, aber ich bin ohnehin eher gespannt als besorgt. Die Atmosphäre in Clyos Appartment ist so entspannt und sie so ausgesprochen freundlich, dass ich keine Angst davor habe, mich gleich komplett in ihre Obhut zu begeben und später von der Decke baumeln zu lassen.
So eine Bondage-Session braucht einiges an Vorbereitung. Nachdem Clyo den Platz unter der Bambusstange mit Decken gepolstert hat, hocken wir uns gemeinsam hin. Sie erklärt mir, wo meine Nervenbahnen in Armen, Beinen und Händen verlaufen und wo ihre Seile später aufliegen werden. Die Hände möchte sie mir auf dem Rücken fixieren. „Die werden vielleicht etwas kribbeln und später dann taub werden. Aber das ist okay, da geht nichts kaputt“, versichert sie mir. „Du kannst es auch einfach genießen.“ Okay.
Ein ziemliches Tabu
Dann geht es los: Clyo kniet hinter mir und ich kann nicht genau sehen, was sie da macht – aber sie ist verdammt schnell. Obwohl sie die Knoten immer wieder löst und neu bindet, bin ich in Windeseile bewegungsunfähig. Mit den Knien hocke ich auf dem Polster und ein Fingerstoß von ihr würde genügen, um mich wie einen nassen Sack umzukippen. Während sie knotet, erklärt sie mir genau, wie sie mit normalen Klient*innen vorgehen würde. Denn mich dominiert Clyo heute nicht mit Strafen und Schmerzen, sie bietet mir lediglich einen Einblick in ihre Kunstfertigkeit. „Es ist auf jeden Fall befriedigend, wenn mir die Knoten gut gelingen. Ich mache das so lange neu, bis ich zufrieden bin.“ Für sie ist das Fesseln eine Art Entspannung. Für die „subs“, die sie verschnürt, ist das meist ein sexuell höchst erregendes Erlebnis. Ebenso für Clyo, die als „dom“, also die Dominierende, für den Zeitraum der Session die volle Verantwortung für das ihr unterwürfige Individuum übernimmt. Dieses Hobby konnte sie nicht immer so ausleben wie in Berlin.
Ursprünglich kommt Clyo aus der Türkei. Erste Erfahrungen mit der BDSM-Szene machte sie erst in Deutschland, als sie für ihr Studium an der FU herzog. „Dort, wo ich herkomme, ist das ein ziemliches Tabu.“ Doch auch hier blieb sie nicht verschont von Unverständnis und Belästigungen. Es gab, so erzählt sie mir, Phasen, in denen sie massiv gestalked wurde. Ein Mann hatte auf Instagram neben ihrem Künstlerinnenaccount, auf dem sie ihre Shibari-Kunst präsentiert, auch ihren privaten gefunden. Schnell hatte sich ihr als anrüchig geltendes Hobby herumgesprochen und für Unverständnis und Spott gesorgt. Über Monate wurde sie in Nachrichten belästigt, sogar ihre Familie und Freund*innen wurden bedrängt – nur wegen ihrer als anrüchig geltenden Freizeitbeschäftigung.
Freischwingend unterm Bambus
Anrüchig kommt mir unsere Fesselaktion gerade gar nicht vor. Allerdings bin ich auch nicht nackt, wie es eigentlich üblich wäre und Clyo sieht davon ab, mich verbal einzuschüchtern oder bewusst zu quälen. Ich bin mittlerweile ziemlich verschnürt; meine Atmung wird schwerer und die Seile schneiden tief in meine Hüfte. Clyo hat begonnen, mich an der Bambusstange hochzuziehen. Der kribbelnde Schmerz in meinen Händen wurde wie angekündigt mittlerweile von Taubheit abgelöst, was mich dann doch ein wenig beunruhigt. Mein Körper ist auf so wundersame Weise verschnürt, dass er mir ganz fremd vorkommt, wenn ich so daran herabschaue. Ein bisschen wie ein Meerjungfrauenschwanz. Plötzlich: Zack! Als wäre ich federleicht, zieht Clyo meinen Torso nochmal ein Stück an der Stange hoch und mein Kopf schwingt nun frei herab. Sofort schießt Blut hinein, ich kneife reflexartig die Augen zusammen. Clyo erklärt mir ihre weitere Vorgehensweise, richtet hier und da Seile, korrigiert Knoten. Es fällt mir nicht nur deutlich schwerer, ihr zuzuhören. Es strengt mich wahnsinnig an, ihr überhaupt zu antworten. Nur schleppend formt meine lahme Zunge Silben. Nach einer guten Stunde sind wir fertig und ich habe meine Endposition erreicht. Mein Schwerpunkt liegt auf meiner Hüfte, wo die Seile tief einschneiden und wirklich schmerzen.
Davon – und von den tauben Händen, die ich wirklich nicht genießen kann – abgesehen geht es mir erstaunlich gut. Die Haltung meines Körpers kombiniert mit der „Full-Suspension“, also dem Aufhängen des kompletten Körpers, ist ungewohnt. So ungewohnt, dass ich kaum weiß, wo oben und unten ist. Einige Momente verharre ich noch, während Clyo zurücktritt und ihr Werk kritisch begutachtet. Als sie mich herunterlässt, liege ich erstmal auf der Decke unter dem Bambus. Obwohl ich noch komplett gefesselt bin, ist das ein wahnsinnig schönes Gefühl. Der immense Druck meines eigenen Gewichts ist weg und mein Kopf füllt sich wieder mit Blut.
Mehr als eine Sexspielerei
Aber noch etwas anderes erfüllt mich: Stolz. Auch wenn der eigentlich Kraft- und Kunstakt bei Clyo lag, war die Session auch für mich unfassbar anstrengend. Das durchgehalten zu haben, fühlt sich gut an.
Nachdem Clyo alle Fesseln gelöst hat, sehe ich mir schon mal einige der Bilder an, die Fotograf Thilo während der Aktion geschossen hat. Krass. Die Formen, in die ich da gewunden und gebunden wurde, sind wirklich irgendwie ästhetisch. Für mich sieht das mehr nach Kunstwerk als nach Sexspielereien aus. „Was daran ist jetzt anstößig, unsittlich?“, frage ich mich. Na klar, auf Schmerzen und irre Verrenkungen steht nicht jede*r. Dennoch haben mich Clyos Fähigkeiten tief beeindruckt. Diese Kunst sollte man anerkennen – nicht nur im stillen Kämmerlein.
The.Clyos Künstlerinnenprofil findet ihr bei Instagram.