Popcorn und Pille danach

Das Theaterstück me and uterus am Theater Verlängertes Wohnzimmer in Friedrichshain erkundet das Thema ungeplante Schwangerschaften und ist dabei behutsam, vergnügt und nachdenklich zugleich. Eine Rezension von Julia Schmit.

Regisseurin Jana Haberkern (links) und die Spieler*innen am vorletzten Aufführungsabend. Foto: Julia Schmit

Amalia und Jonas haben Lust aufeinander. Sie reißen sich die Kleider weg, küssen sich am ganzen Körper und stöhnen dabei genüsslich. Zu sexy Licht und E-Gitarrenriff winden sie sich auf der kleinen Bühne umeinander. Vorne am Bühnenrand steht eine knallrote Popcornmaschine, aus der schon die fertigen Körner springen. Das Corn poppt, die beiden ebenfalls. Doch dann fällt Amalias Blick voller Schock auf die Maschine. “Wo ist der Deckel, Jonas? Wir hatten die ganze Zeit keinen Deckel drauf!” Die Metapher des Poppens macht sofort klar, warum Amalia so aufgewühlt ist. Kein Deckel auf der Maschine heißt: Wir haben kein Kondom benutzt.

“Wie geht es weiter?”

Über die nächsten anderthalb Stunden begleiten wir als Publikum Amalia durch eine Zeit voller Unsicherheit. Zwar hat sie die „Pille danach” sofort genommen, ihre Menstruation bleibt aber trotzdem aus. Sie mag es nicht glauben, aber der Test, den sie macht, zeigt zwei Striche: Sie ist schwanger. Der zweistöckige  Aufbau der Bühne erlaubt uns den Doppelblick: Amalia geht oben fassungslos hin und her, während Jonas unten unbeirrt weiter zu den Klängen von Britney Spears und “Toxic” tanzt. Amalia will nicht schwanger sein, fühlt sich nicht bereit, Mutter zu werden, sie steht kurz vor ihrer Masterarbeit. Soll sie die Schwangerschaft abbrechen? Schauspielerin Emilie Willner verkörpert als Amalia glaubhaft die Zweifel vieler junger Frauen in dieser Situation: “Ich will doch kein Kind. Aber jetzt ist da etwas in mir und ich muss jetzt entscheiden: Wie geht es weiter?“ 

Der Theatertext für me and uterus stammt von den vier  Autorinnen Anna Fedorova, Catharina Klein sowie Regisseurin Jana Haberkern und Steffi Schmidt, die auch mit auf der Bühne steht. Schmidt spielt die alleinerziehende Mutter einer kleinen Tochter. Die Handlung zwischen Amalia und Jonas wird von ihrer namenlosen Figur im golden glitzernden Kleid immer wieder unterbrochen durch Erzählungen von Bürokratie, dem zermürbenden Alltag, jahrelange Streits mit dem Vater der Tochter, der sich weigert, Unterhalt zu zahlen. Der starke soziale Anspruch des Stücks kristallisiert sich in ihrem Monolog über unbezahlte Care-Arbeit heraus. “Man sagt mir, es lohne sich doch alles für das Lächeln des Kindes. Von einem Kinderlächeln kann ich aber keine Miete zahlen, kein Essen und keine Kleidung.”  Dieser Satz hallt noch lange nach. Ihre Figur wirkt wie eine mögliche Version von Amalia in der Zukunft – wie diese sich schließlich entscheiden wird, bleibt offen. 

Aufklärung auf der Bühne

Mithilfe bunter Schilder, die das Publikum aufgrund ihrer Überdimensionalität zum Lachen bringen, werden Teile des Stücks zu Info-Blöcken über Zyklus und Verhütungsmethoden. Wie funktioniert zum Beispiel wirklich die “Pille danach”? Amalia dachte, diese Pille töte einfach alle Spermien ab und verhindere somit eine Schwangerschaft. Tatsächlich aber verschiebt sie nur den Eisprung um einige Tage nach hinten, um eine Befruchtung unmöglich zu machen. Ist das Ei aber bereits gesprungen, kann auch die “Pille danach” nichts ausrichten, erklärt Amalias beste Freundin Beka, gespielt von Anna Luise Rother. Beka hat bereits einmal eine Schwangerschaft beendet und steht Amalia treu zur Seite – anders als Jonas, auf den sie nicht zählen kann. Tillmann Drews spielt den Jonas genüsslich als Kotzbrocken, der sich Pudding essend aus der Verantwortung zieht und Amalia unter Druck setzt, als sie Zweifel an einer Abtreibung äußert.

Über unangenehme Beratungsgespräche und anstrengende Streits mit Jonas hinweg versucht Amalia sich über Wasser zu halten und für ihr Recht auf Selbstbestimmung einzutreten. me and uterus gelingt es hierbei pointiert, von den Schwierigkeiten zu erzählen, die ungeplant Schwangeren wie Amalia begegnen. Der Abend entlässt die Zuschauer*innen aufgeklärter, wütender und ein bisschen mutiger in die Nacht.


Zwischen einem Tattoo-Laden und einer Fahrradwerkstatt auf der Frankfurter Allee liegt das Theater Verlängertes Wohnzimmer und wird seinem Namen gerecht. Hinter der kleinen Bar öffnet sich der Vorraum in einen gemütlichen Bereich voller Sofas, Holztische und trutschiger Stehlampen. Das solidarische Ticketsystem erlaubt Zuschauer*innen selbst zu entscheiden, welchen Preis sie für den Eintritt zahlen. Vor Beginn des Stücks herrscht entspannte Atmosphäre, man quatscht und trifft alte Bekannte. Einmal im Monat findet hier auch der Wohnzimmer Slam von den Kiezpoeten statt.

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