Jeder in Deutschland kennt seine Cartoons. Uli Stein plaudert über seine Kindheit und die Studienzeit an der FU während der Hochphase der Studierendenproteste. Ein Porträt von Anabel Godoy-Rother und Leon Holly.
1968 gehen Studierende in Berlin auf die Straße gegen Vietnam-Krieg, Springer-Presse und Nazi-Muff. Uli Stein, damals Student an der FU, beobachtet die Proteste durch die Linse seines Fotoapparats. Vergnügt erzählt er von seinen Jahren in der geteilten Hauptstadt: »Ich war mittendrin«. Doch wirklich involviert war er nicht. Ob er Sympathien für die Forderungen der Demonstrierenden hegte? »Nein, nur für meine Fotos«. Mit denen finanziert Stein sein Studium. »Ich war eher neutral eingestellt, muss ich sagen.« Der 72-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie anstrengend das Fotografieren der Proteste war: »Aus irgendeinem Grund demonstrierte man im Laufschritt. Damit ich die ganzen schönen Spruchbänder fotografieren konnte, musste ich noch schneller laufen. Ich bin viel, sehr viel gelaufen in der Zeit. Heute geht man bei Demos ja in beschaulichem Tempo.«
Torten, Polos und Türmatten
Dieser Tage entzieht sich Uli Stein dem Trubel der Öffentlichkeit. Er lebt zurückgezogen auf dem Land in seiner Villa in Wedemark, nördlich von Hannover. Dort zeichnet er seine Cartoons, die ihn zu Deutschlands wohl berühmtesten Karikaturisten gemacht haben. »Cartoonist«, verbessert Stein, »denn Karikaturisten sind die, die Leute so zeichnen, dass man sie nicht wiedererkennt.« Häufig zeichnet er Tiere, vor allem Hunde, Pinguine und Mäuse, aber auch Menschen, die er in humoristische Alltagssituationenwirft. Nachts, wenn es am ruhigsten ist, begibt er sich auf Ideensuche. Das Zeichnen aber legt er auf den nächsten Tag – wobei er betont, er zeichne nicht digital, sondern noch auf richtigem Papier. So, wie Opa das früher gemacht habe.
Stein hat ein rauhes Matrosenlachen, er strahlt eine zeitlose deutsche Männlichkeit aus: Typ ‘unverheirateter Tatort-Kommissar mit norddeutsch-herbem Erscheinungsbild‘. Seine rauchige Stimme ist manchmal undeutlich, die lässige Attitüde scheint sein ganzes Leben zu durchziehen. Er habe sich nie »Stress gemacht«, der Erfolg als Cartoonist sei peu à peu gekommen. Aber inzwischen ist er da: Fast 200 Millionen Postkarten und rund 11 Millionen Bücher hat er verkauft, in seinem Online-Shop vertreibt seine Marketingagentur zudem Uli-Stein-Torten, Uli-Stein-Poloshirts und Uli-Stein-Türmatten. Persönlich ist er um Anonymität bemüht und genießt es, auf der Straße kaum erkannt zu werden. Auch mit der Presse spricht er selten, Fernsehauftritte lehnt er komplett ab. Es scheint, als wären Ruhm und Reichtum nie Steins großer Plan gewesen, als wäre das eben so passiert. Hätte es damals nicht gereicht, wäre er heute wohl trotzdem der selbe gelassene Typ.
Uli Stein, Geburtsjahrgang 1946, wächst im zerbombten Hannover der Nachkriegszeit auf. Obwohl während seiner Kindheit noch Mangel herrscht, hat er die Zeit in guter Erinnerung. »Ich war ein sehr stilles Kind, spielte ungern mit anderen. Stattdessen habe ich viel gemalt und gezeichnet, Sachen für mich gemacht und viel gelesen«, blickt er zurück. Das künstlerische Talent habe er von seiner Mutter geerbt, von der Stein enthusiastisch berichtet: »Alles, was ich heute kann, egal in welchem Bereich, habe ich von ihr gelernt. Sie war sehr kreativ, hat gezeichnet, fotografiert und gedichtet.« Sein Vater, ein Beamter – Uli Stein überlegt einen Moment – »war halt da.« Er habe die Bestrafungen organisiert, wenn der Junge mal wieder etwas ausgefressen hatte, sagt Stein und lacht.
Für sein Lehramtsstudium mit den Schwerpunktfächern Deutsch, Erdkunde und Biologie verschlägt es ihn nach Berlin ins beschauliche Lankwitz, wo er bei einer »netten Familie« wohnt. Seine heutige Aversion gegen Großstädte ist damals noch nicht so ausgeprägt. »Das ist ein halbes Jahrhundert her. Damals war Berlin ja noch eine sehr charmante Stadt, es war überschaubar, gemütlich und entspannt.« So hat er auch sein Studium an der FU in Erinnerung. Mit Kommiliton*innen trifft sich Stein regelmäßig in der letzten Filiale des berühmten Lokals »Aschinger« am Bahnhof Zoo, wo es Erbsensuppe für eine Mark und Brötchen für umme gibt.
Als sein Examen näherrückt, realisiert Uli Stein, dass er niemals unterrichten will. »Ich habe mir gedacht: An die Schule gehen und mich mit den Bälgern rumärgern? Hundertpro niemals! Nicht einen einzigen Tag! Weswegen gehe ich dann eigentlich noch hin?« Seine Eltern sind zu dem Zeitpunkt bereits verstorben. »Ich weiß nicht, ob ich mir sonst die Frechheit hätte erlauben können, mein Studium abzubrechen. Den Eltern möchte man ja gefallen.«
„Mehr als Titten war damals nicht erlaubt, sonst kam sofort die Zentrale für jugendgefährdende Schriften. Titten waren ungefährlich!”
Uli Stein, 2019
Während des Studiums schreibt Uli Stein bereits für diverse Blätter – keine politischen Texte, versteht sich. Seine Satiren, Glossen und erfundenen Interviews bringen dem Studenten bereits mehr Geld ein, als er als Lehrer verdient hätte. »Ein paar Jahre später habe ich angefangen, zu zeichnen. Weil ich aber nicht zeichnen konnte, habe ich textlastige Sachen gemacht«, berichtet Stein. »Da habe ich zwei Leute ins Bett gesetzt, die unter der Bettdecke hervorlugten und sich unterhielten.« Seine ersten Cartoons werden Mitte der Siebziger in den St. Pauli Nachrichten veröffentlicht, einer Hamburger Schmuddel-Postille, die sonst eigentlich nur halbnackte Frauen druckt. »Mehr als Titten war damals nicht erlaubt, sonst kam sofort die Zentrale für jugendgefährdende Schriften. Titten waren ungefährlich! Und davon gab’s reichlich«, erinnert er sich.
Auch nach der Furore von 1968 entwickelt Uli Stein kein Interesse am politischen Geschehen. Bis auf diese eine Episode im Jahre 2006. Stein entspannt gerade auf seinem sonnigen Anwesen in Naples, Florida, da bringen ihn politische Verwerfungen in der Heimat auf die Palme. Als Juniorpartner in der Großen Koalition erdreistet sich die SPD, die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent zu erhöhen – entgegen voriger Versprechungen! Im niedersächsischen Landtagswahlkampf 2008 ergreift Uli Stein deshalb Partei für die CDU und Christian Wulff.
Pension ist nichts für Kunstschaffende
Heute widmet sich der Hannover 96-Fan neben den Cartoons vor allem seiner Liebe für Tiere. 2018 gründet er die »Uli Stein Stiftung für Tiere in Not«, die kleinere Tierschutzvereine im In- und Ausland unterstützt. Diese Leidenschaft greift er in seiner Kunst auf. Hundeporträts und Naturfotos, die Uli Stein seit einigen Jahren schießt, lädt er täglich auf seinem Blog hoch oder stellt sie gelegentlich aus. Ans Aufhören denkt Uli Stein noch lange nicht. Ein Künstler geht nicht in den Ruhestand, er stirbt, sagte er einmal. »Solange mir das Spaß und Freude bereitet, und den anderen auch, sehe ich keinen Grund aufzuhören. Außer mir fällt die Hand ab.«