Viele kleine Dinge könnte das neue Hochschulgesetz im Studium verbessern, doch traut man sich auch an große Veränderungen heran? Kira Welker und Julian von Bülow geben einen Überblick über den ersten Entwurf.
Das Leben an der Uni wird maßgeblich durch das Hochschulgesetz geprägt: Wofür wird Geld ausgegeben, wer darf darüber entscheiden und wie kann man das Leben von Studierenden leichter oder schwerer machen? All das regelt das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG). In diesem Frühjahr wird es neu aufgelegt und wir haben die Neuerungen des ersten Entwurfs aus der Senatskanzlei für Wissenschaft für euch zusammengefasst.
Studium und Lehre
Besonders direkt auf den Studienalltag wirken sich die Regelungen des BerlHG zu Studium und Lehre aus. Die Landesastenkonferenz (LAK) Berlin als Interessenvertretung der Studierenden hatte dabei vor allem Hoffnungen auf ein selbstbestimmteres Studium geäußert – und einige dieser Vorschläge finden sich im Gesetzentwurf wieder. So stellt Janik Besendorf (Asta FU) für die LAK Berlin fest: „Es gibt einige kleinere Änderungen, die uns Studierenden zu Gute kommen werden” und nennt als Beispiel unter anderem das erleichterte Teilzeitstudium. Auf Antrag soll es in Zukunft bedingungslos für alle Studierenden und in allen Studiengängen möglich sein.
Die im BerlHG vorgesehene verpflichtende Studienberatung bei langsamem Studienfortschritt soll abgeschafft werden. Studierendenvertretungen kritisieren diese „Zwangsberatungen“ seit langem als reines Repressionsinstrument. Mit der Neuregelung wäre auch eine Zwangsexmatrikulation wegen nicht eingehaltener Studienverlaufsvereinbarung nicht mehr möglich. Außerdem soll es einfacher werden, als Nebenhörer*in innerhalb von Berlin und Brandenburg auch an anderen Hochschulen anrechenbare Studienleistungen zu erbringen.
Weitere Änderungen betreffen den Bereich Prüfungen. Unter anderem wird klargestellt, dass der Erwerb von ECTS-Leistungspunkten in einem Modul nicht zwingend an eine Prüfung geknüpft sein muss, sondern lediglich den „erfolgreichen Abschluss des jeweiligen Moduls“ voraussetzt. Eine Senkung der Prüfungslast wird damit zumindest theoretisch möglich – gesetzlich festgelegt, wie von der LAK Berlin vorgeschlagen, wurde sie aber nicht. Ebenfalls nicht aufgegriffen wurde der Vorschlag der Studierendenvertretungen, die Anwesenheitspflicht in Lehrveranstaltungen grundsätzlich abzuschaffen. Besendorf bemängelt, Anwesenheitskontrollen seien vor allem für pflegende oder berufstätige Studierende und Studierenden mit Kind(ern) eine zusätzliche Belastung.
Dafür wurden einige Erleichterungen im Bereich der Wiederholungsprüfungen aufgenommen: Für die erfolgreiche Wiederholung einer Prüfung dürfen keine zu engen Fristen gesetzt werden, mindestens vier Semester sollen Studierende dafür Zeit haben. Besendorf bewertet diese Änderung zwar als positiv, aber nicht ausreichend: „Wiederholungsfristen wurden zwar auf ein Minimum von zwei Jahren gesetzt, wurden allerdings nicht ausgeschlossen, wie es von uns vielfach gefordert wurde.”
Für Bachelor- und Masterprüfungen soll wohl ein zusätzlicher Versuch eingeführt werden, es wären dann künftig zwei (statt bisher einer) Wiederholungen möglich. Im Laufe des Studiums soll zudem die Teilnahme an einer Studienfachberatung einen zusätzlichen Prüfungsversuch sichern. Besendorf sieht die Beschränkung von Prüfungsversuchen jedoch grundsätzlich kritisch: „Wir geben uns nicht mit einem weiteren Prüfungsversuch nach einer Beratung zufrieden. Wir sehen keine inhaltliche Argumentation, warum die Anzahl an Versuchen eine Begrenzung erfährt, und fordern, diese komplett abzuschaffen.“
Auch der Studienzugang soll erleichtert werden. So soll eine Regelung die Bewerbung für Geflüchtete erleichtern, die aufgrund der Situation in ihrem Herkunftsland bestimmte Nachweise nicht erbringen können. Außerdem sollen Zugangshürden für Bewerber*innen abgebaut werden, die sich über eine Berufsausbildung für das Studium qualifizieren. Sie sollen nun neben der Ausbildung keine zusätzliche Berufserfahrung mehr vorweisen müssen.
Demokratie an der Hochschule
Mit dem neuen Gesetz sollen Berlins Hochschulen demokratischer werden. Studierende zwischen 16 und 18 Jahren sollen sich in der Universität selbst vertreten und Gremien wählen können. Vorbei sind dann die Jahre, in denen Mama und Papa einspringen mussten, wenn ein Formular eine Unterschrift erforderte. Außerdem dürften künftig auch Azubis an Universitätswahlen teilnehmen. Diese Wahlen sollen fortan bei Bedarf elektronisch abgehalten werden können – die Pandemie lässt grüßen. Wird gewählt, so sollen – nicht müssen! – auf den Listen mit Wahlvorschlägen mindestens 50% Frauen vertreten sein. Und von Gremiensitzungen darf die Öffentlichkeit nur noch in „begründeten Fällen“ ausgeschlossen werden. Ordnungsmaßnahmen wie eine Androhung der Exmatrikulation darf der Akademische Senat nur dann anwenden, wenn diese „im Einzelfall unerlässlich“ sind.
Neu ist außerdem, dass Hochschulen weniger umfangreich vom Hochschulgesetz abweichen dürfen als bisher. Dies sollte unter anderem die Erprobung von neuen Organisationsformen ermöglichen, die Wirtschaftlichkeit erhöhen und neue Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen. Diese Gründe für die sogenannte Erprobungsklausel wurden aus dem Gesetz gestrichen, ebenso wurden 45 Paragraphen ausgeschlossen, von denen die Unileitungen zuvor noch abweichen durften.
Auch Besendorf bewertet hier einige Neuerungen als positiv: So werde die Rolle von Studierenden durch den neu vorgeschriebenen studentischen Vorsitz in der Kommission für Lehre gestärkt. Doch abseits dessen habe sich wenig verbessert. „Kompetenzen werden aus den Fachbereichen an die Hochschulleitungen und von den Hochschulleitungen an die Senatskanzlei verschoben. Eine echte Basisdemokratie an der Universität ist damit eher in weite Ferne gerückt“, so Besendorf. Als Beispiel nennt er die Amtszeit der Präsidien, die von vier auf sechs Jahre verlängert wird. Das könne dazu führen, dass manche Studierenden weder im Bachelor, noch im anschließenden Master durch eine Wahl Einfluss auf die Hochschulleitung nehmen könnten.
Informationen aus Gremien sollen fortan hochschulöffentlich zugänglich gemacht werden, sofern nicht Datenschutz oder Vertraulichkeit dagegensprechen. Außerdem soll ein unabhängiges Gremienreferat sicherstellen, dass alle Mitglieder universitärer Gremien die notwendigen Informationen erhalten.
Nachhaltigkeit und verantwortungsvolle Wissenschaft
Die gesellschaftliche Verantwortung von Forschung und Lehre ist ebenfalls Gegenstand der Gesetzesnovelle. Unter anderem soll der Aspekt Nachhaltigkeit an mehreren Stellen im Gesetz verankert werden. Nachhaltige Entwicklung wird als eine der Aufgaben von Hochschulen ergänzt. Dazu sollen diese verpflichtet werden, ein Nachhaltigkeitskonzept zu entwickeln. Die Befähigung zu nachhaltigem Handeln wird zudem als ein Studienziel hinzugefügt. Auch eine Art Zivilklausel soll Eingang ins Gesetz finden: Forschung solle „friedlichen Zwecken dienen“.
Außerdem soll in der Lehre zukünftig so weit wie möglich auf den Einsatz eigens dafür getöteter Tiere verzichtet werden. In der Begründung zum Gesetzentwurf heißt es weiter, dass es Studierenden grundsätzlich möglich sein müsse, ihr Studium ohne die Teilnahme an Tierversuchen abzuschließen.
Dem neuen Hochschulgesetz soll ein neuer Paragraph hinzugefügt werden, der verbindlichere Regelungen zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis einfordert. Außerdem soll eine unabhängige Ombudsstelle für gute wissenschaftliche Praxis als hochschulübergreifende Ansprechpartnerin eingerichtet werden.
Eine kleine sprachliche Änderung verweist währenddessen auf eine anhaltende Debatte in der Berliner Wissenschaftslandschaft: Bisher „kann“ in Täuschungsfällen der so erworbene akademische Grad wieder entzogen werden – in Zukunft „soll“ er das auch. Diese Umformulierung schränkt also das Ermessen der Hochschulleitungen beim Entzug von akademischen Graden ein. Das Präsidium der FU hatte davon zuletzt im Fall der Doktorarbeit von Bundesfamilienministerin Franziska Giffey großzügig Gebrauch gemacht, als es beschloss, lediglich eine Rüge auszusprechen.
Schließlich macht der neue Gesetzentwurf die Verantwortung von Hochschulen deutlich, Forschungsergebnisse ihrer Mitglieder auch der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Diese seien grundsätzlich „in frei zugänglichen Datenbanken“ zu veröffentlichen – auch im Fall von drittmittelfinanzierter Forschung.
Diversität und Antidiskriminierung
Während in der Vergangenheit hauptsächlich Frauenförderung bzw. die Beseitigung von Nachteilen aufgrund des Geschlechts im Fokus stand, geht es im neuen Gesetz generell um die Beseitigung struktureller Benachteiligung. So müssen an allen Hochschulen Beratungs- und Beschwerdestellen für von Diskriminierung Betroffene geschaffen werden, die Öffentlichkeitsarbeit muss außerdem besonders unterrepräsentierte Gruppen zum Studium anregen. Gremien sollten geschlechterparitätisch besetzt werden, Berufungskommissionen müssten zu 40% aus Frauen bestehen.
Senatsverwaltung zurückhaltend mit großen Veränderungen
Der Gesetzentwurf bringt viele kleine Neuerungen, die teils schlicht notwendig waren. Doch wirklich einschneidende Entscheidungen blieben bisher aus. Die LAK Berlin hatte beispielsweise die gleiche Macht für Studierende, Professor*innen sowie wissenschaftliches und nicht-wissenschaftliches Personal in einigen Gremien gefordert. Davon ist nichts zu sehen, Profs behalten ihre gesetzlich festgeschriebene Mehrheit. Auch zur Entlastung von Studierenden durch mehr Wahlfreiheit und weniger Prüfungen sowie im Bereich der Antidiskriminierungsstrukturen standen weitergreifende Vorschläge im Raum, die es nicht in den Entwurf geschafft haben.
Zu Beginn des Gesetzgebungsprozesses hatten zumindest die Grünen ebenfalls ambitionierte Ziele geäußert. Doch der Entwurf des Gesetzes stammt aus der Verwaltung, die in Sachen Hochschulen eher darauf bedacht ist, wasserdichte Gesetze zu schaffen, statt große Würfe zu planen (siehe FURIOS-Interview mit Staatssekretär Steffen Krach). Der Streit wird daher jetzt erst richtig losgehen, wenn der Entwurf im Abgeordnetenhaus beraten wird. Dabei könnten sich durchaus noch größere Änderungen ergeben, sofern sich die rot-rot-grünen Regierungsfraktionen einigen können. Doch das muss noch vor der Sommerpause geschehen. Danach beginnt der Wahlkampf.
Die Besprechung des Entwurfs im Abgeordnetenhaus beginnt voraussichtlich Anfang April. Wir halten euch auf dem Laufenden.
Schade auch, dass es keine Äußerungen zu dem Erhalt studentisch selbstverwaltetem Freiraum gibt!