Mehr Demokratie ins Hochschulgesetz!

Seit Jahren befindet sich die Hochschuldemokratie in einem kritischen Zustand. Abhilfe ist dringend notwendig. Die Politik sollte das neue Hochschulgesetz dafür nutzen, findet Julian Sadeghi.

Auch in der “inneren Verfasstheit” von Unis soll ihr Bekenntnis zur Demokratie deutlich werden, so das Berliner Hochschulgesetz – hier z.B. im Juni 2019 auf einer studentischen Vollversammlung. Foto: Leonie Fischer

Der Gesetzgebungsprozess für das neue Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) befindet sich auf der Zielgeraden. Die Zeit drängt, und es ist noch nicht einmal klar, ob das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann. Die rot-rot-grüne Koalition tut gut daran, dieses Projekt jetzt nicht kurz vor Schluss scheitern zu lassen. Aber vor allen Dingen muss sich die Landespolitik die Frage stellen, ob sie wirklich derart hinter den studentischen Erwartungen zurückbleiben möchte.

Bei einer Diskussionsveranstaltung des Netzwerk Demokratische Hochschule bestehend aus Landesastenkonferenz, Gewerkschaften und Vertreter*innen des Akademischen Mittelbaus mit den verantwortlichen Wissenschaftspolitiker*innen entstand vor ein paar Tagen mitunter der Eindruck: Die Kritik der Studierenden an mangelnder Demokratisierung und zu laschen Nachhaltigkeitsregeln hört sich die Politik interessiert an, bügelt sie aber im nächsten Atemzug mit dem frustrierenden Argument ab, mehr sei in dieser Koalition eben nicht durchsetzbar gewesen. An wem es denn nun eigentlich konkret gelegen haben soll, spricht indes niemand aus; jedenfalls ist es die SPD, die den Wissenschaftssenator stellt. Wer auch immer die letzte Verantwortung trägt, die wissenschaftspolitischen Beharrungskräfte sind offensichtlich weiterhin derart stark, dass sich an den Machtverhältnissen an Berliner Hochschulen durch das neue Hochschulgesetz strukturell nichts zu verändern scheint.

Mehr war leider nicht drin?

Der zuständige Staatssekretär Steffen Krach wird nicht müde zu betonen, dass er keine Maximalforderungen erfüllen könne, weil verschiedene Interessengruppen zusammengebracht werden müssten. Klar, Politik bedeutet immer auch Kompromiss. Aber der im vorliegenden Referent*innenentwurf gefundene Kompromiss hat eindeutig Schlagseite zugunsten der Profiteur*innen des hochschulpolitischen status quo. Und das sind im Wesentlichen die Hochschulleitungen und die Professor*innen. Das neue Gesetz sorgt zweifelsohne in einigen Bereichen für Verbesserungen. Über die Tatsache, dass der Gesetzentwurf die universitären Machtstrukturen bis auf die Zusicherung von mehr Transparenz im Wesentlichen unangetastet lässt und die Studierenden auf ihre Plätze verweist, kann das aber nicht hinwegtäuschen.

Bliebe es beim jetzigen Entwurf, würde die Koalition den desolaten Zustand der demokratischen Verfasstheit der Hochschulen zementieren. Nur zwei Beispiele: Es mangelt dem Gesetz, mal abgesehen von der rechtlich auch nicht ganz unproblematischen Möglichkeit digitaler Wahlen, an sinnvollen Ideen, um an der – nicht nur bei der Statusgruppe der Studierenden – unterirdischen Wahlbeteiligung bei Gremienwahlen etwas zu ändern. Außerdem fehlt anscheinend der politische und juristische Mut, mit der Einführung einer, wenigstens partiellen, Viertelparität die verkrusteten Machtstrukturen der Akademischen Senate aufzubrechen. Zwischen den beiden Punkten könnte übrigens ein Zusammenhang bestehen. Die Politik muss aufpassen, dass sich das Gesetz am Ende nicht selbst widerspricht, indem es hinter das Versprechen von § 4 des Entwurfs zurückfällt. Darin heißt es über die Aufgabe der Hochschulen für die Erhaltung der Demokratie: „Dies soll auch in ihrer inneren Verfasstheit zum Ausdruck kommen.”

Die Studierenden stecken in einer schwierigen Situation. Seit mehr als einem Jahr sitzen viele von ihnen artig in ihren überteuerten WG-Zimmern, sind geplagt von finanziellen Nöten, lassen die digitale Vereinzelungsuniversität über sich ergehen, fühlen sich von Politik und Gesellschaft vielfach im Stich gelassen und retten sich in die Hoffnung auf bessere Zeiten. Angesichts dieser Lage sollte die Berliner Landespolitik die Chance nicht ungenutzt verstreichen lassen, den studentischen Mitbestimmungsmöglichkeiten an den Berliner Hochschulen eine Frischzellenkur zu verpassen, indem sie mit einem progressiven BerlHG die Hochschuldemokratie für die Zeit nach Corona auf neue Füße stellt. Dafür bräuchte sie vielleicht einfach ein bisschen mehr Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit.

Autor*in

Julian Sadeghi

Einer der Julian Sadeghis dieser Welt.

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