„Das Thema Wohnraum hat ein großes Politisierungspotenzial”

Die Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen organisiert sich auch an den Berliner Hochschulen. Die Aktivistinnen Jana und Erna erzählen im Gespräch mit Kira Welker von überteuerten WG-Zimmern, Vernetzungsarbeit und der Stille nach dem Zoom-Meeting.

Sticker machen in der Stadt auf den bevorstehenden Sammelstart aufmerksam. Foto: Kira Welker

Jana und Erna sind beide in der Hochschulvernetzung der Sammel-AG von Deutsche Wohnen & Co. enteignen aktiv. Jana studiert im Master Sozialwissenschaften an der HU, Erna arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und promoviert in Jura an der FU.

FURIOS: Mögt ihr kurz zusammenfassen, worum es bei der Kampagne Deutsche Wohnen & Co. enteignen geht und was ihr fordert?

Jana und Erna: Um dieser Wohnungskrise, die ganz Berlin und auch alle anderen Großstädte beherrscht, etwas entgegenzusetzen, geht es darum, große Wohnungsunternehmen zu enteignen, das heißt Wohnungsunternehmen, die über 3000 Wohneinheiten in Berlin besitzen. Dazu gehören zum Beispiel Deutsche Wohnen, Akelius, Vonovia, aber auch Pears Global, die ja durch die Syndikat-Räumung bekannt geworden sind.

Deren Wohnungsbestände sollen vergesellschaftet werden, also nicht in den Besitz der Stadt Berlin, sondern in Gemeineigentum aller Berliner*innen übergehen, in Form einer Anstalt öffentlichen Rechts. Die soll dann demokratisch verwaltet werden, unter Mitbestimmung der Mieter*innen, sodass diejenigen über ihren Wohnraum entscheiden, die da wohnen. Es geht also darum, diese Wohnungen dem privaten Immobilienmarkt zu entziehen und dadurch auch zu einer Entspannung auf dem Wohnungsmarkt beizutragen, weil gerade diese großen Wohnungsunternehmen und Investoren maßgeblich dazu beitragen, dass die Mietpreise so stark steigen.

Es gab ja schon eine erste Unterschriftensammlung – könnt ihr die verschiedenen Schritte eines Volksentscheids nochmal aufschlüsseln?

Ein Volksentscheid hat drei Schritte: die erste Unterschriftensammlung, die zweite Unterschriftensammlung, die Volksbegehren heißt, und am Ende den Volksentscheid, also die Abstimmung. In der ersten Stufe müssen 20.000 Unterschriften gesammelt werden, das wurde im Frühling 2019 gemacht, und da hat die Initiative in zwei Monaten sogar 77.000 Unterschriften zusammenbekommen, von denen über 58.000 gültig waren. Diese erste Hürde wurde also mit Leichtigkeit genommen.

Dann lag das Ganze beim Senat, der das nochmal rechtlich prüfen musste, und sich sehr lange Zeit dafür gelassen hat. Nach über einem Jahr Prüfung auf Zulässigkeit wurde das dann letztendlich freigegeben letztes Jahr, und seitdem sind wir in der Vorbereitung für die zweite Sammelphase. Die beginnt jetzt am 26. Februar und geht dann vier Monate. In der Zeit müssen circa 176.000 Unterschriften der wahlberechtigten Berliner*innen gesammelt werden. Die offizielle Zahl an benötigten Unterschriften, die deshalb kommuniziert wird, ist circa 240.000, weil davon auszugehen ist, dass ein bestimmter Prozentsatz der abgegebenen Unterschriften nicht gültig ist. Um wahlberechtigt zu sein und damit gültig unterschreiben zu können, ist gesetzlich vorgesehen, dass man seit mindestens drei Monaten in Berlin gemeldet sein muss, und man braucht eine deutsche Staatsbürgerschaft was natürlich politisch auch eine hochproblematische Regelung ist, wenn man sich überlegt, wie viele Menschen in Berlin wohnen und auch unter dem Wohnungsmarkt leiden, die das eben nicht haben.

Und wenn diese Unterschriftensammlung klappt, und da sind wir sehr zuversichtlich, kommt es zur Abstimmung. Die könnte noch 2021 stattfinden, vielleicht zusammen mit den Bundestags- und Abgeordnetenhauswahlen im Herbst, und da müssten dann mindestens 50% der Wahlteilnehmer*innen zustimmen, sowie 25% aller Wahlberechtigten, damit der Volksentscheid angenommen wird.

Wie organisiert ihr euch für diese zweite Unterschriftensammlung, und wie passt ihr als Hochschulvernetzungsgruppe da rein?

Das Herzstück unserer Sammelstrukturen sind auf jeden Fall die Kiezteams. Seit Monaten läuft da die Vernetzungs- und Strukturarbeit, um möglichst viele Leute einzubinden. Zusätzlich wird in bestimmten Bereichen mobilisiert. Dazu gehören eben die Hochschulen, aber auch Arbeitsplätze können wichtig sein, Gewerkschaften, eigentlich auch die Kulturbranche, was durch Corona ziemlich ausgehebelt wurde… Die Hochschulen werden auch vernetzt mit den jeweiligen Bezirksteams, gerade weil total viele motivierte Studierende dabei sind.

Was gibt es denn für Wege, sich als Studierende*r an der Kampagnenarbeit zu beteiligen?

Wir machen zurzeit alle zwei Wochen ein großes Hochschulvernetzungstreffen über Zoom, zu dem immer viele neue Leute kommen, aber auch Menschen, die regelmäßig dabei sind, seit wir das machen. Da gibt es auch immer einen kleinen Input für neue Menschen, um nochmal die Kampagne vorzustellen. Zusätzlich gibt es auch an den einzelnen Hochschulen Untergruppen, die sich individuell treffen, um hochschulintern zu planen und zu vernetzen.

Ansonsten gibt es von der Kampagne verschiedene Workshops, die auch für die Hochschulteams angeboten werden. Da geht es darum, wie mobilisiere ich noch andere Menschen, dass sie auch mitmachen, oder wie argumentiere ich für das Volksbegehren, wie kann ich Leute dazu bewegen, zu unterschreiben, wie sammele ich überhaupt Unterschriften? Und natürlich ist es eine Möglichkeit, zu plakatieren, Flyer zu verteilen, oder einfach gemeinsame Aktionen zu planen. Es werden gerade für den Beginn des Sommersemesters „Enteignungstage” an den Unis geplant, da gibt es also inhaltliche Veranstaltungen, Vorträge und Workshops zu organisieren…

Wie funktioniert die Vernetzung im Online-Semester für euch?

Die Onlinetreffen funktionieren eigentlich ganz gut, und wir glauben gerade dadurch, dass zurzeit wegen der Pandemie auch nicht viele andere Sachen passieren, sind viele Leute extrem motiviert, sich einzubringen. Es sind gerade schon über 250 Leute in einer Telegram-Gruppe der Hochschulvernetzung, da sind zurzeit Menschen von sieben verschiedenen Hochschulen dabei. Gerade mit Studis funktioniert natürlich auch diese Onlinevernetzung gut, weil die fast alle Laptops haben und geübt darin sind, in Zoom-Konferenzen zu sitzen. Auch über Mailverteiler Leute zu erreichen, ist natürlich mit der Uni und den ganzen Strukturen über Fachschaften und Asten, die es sowieso schon gibt, viel einfacher.

Und was geht verloren bei der Onlinevernetzung? Was fehlt?

Natürlich wäre es noch motivierender, wenn wir uns in echt treffen könnten, weil das einfach mehr Spaß macht, und der ganze soziale Aspekt unter diesen Onlinetreffen leidet. Man kann sich nicht nach dem Treffen noch persönlich unterhalten kann, oder zusammen andere Dinge unternehmen. Wir hoffen, dass sich Menschen einfach kennenlernen, und darüber dauerhaft vernetzt werden. Aber online ist das schon schwieriger – es sitzen halt alle an ihren Computern, und nach dem Treffen schließt man Zoom und sitzt dann alleine zuhause.

Manche Aktionen wie Plakate kleben und auch das Unterschriften sammeln selbst, müssen ja sowieso offline stattfinden, oder?

Ja genau, viele Leute sind auch schon losgegangen, haben Flyer in den Wohnheimen verteilt, oder in Absprache mit den Kiezteams in bestimmten Gebieten plakatiert, und das ist natürlich eine gute Aktivität, um sich dann auch mal in echt zu treffen, einfach in kleinen Zweier-, Dreierteams. Das Sammeln muss tatsächlich auch in echt stattfinden, weil nur Unterschriften, die auf Papier abgegeben wurden, gezählt werden, und es keine Möglichkeit gibt, für das Volksbegehren Onlineunterschriften einzugeben. Und sobald es wärmer wird und wenn die Coronasituation es zulässt, planen wir auch, uns draußen und mit Abstand als Hochschulgruppe zu treffen!

Ist das eine Hürde für die Kampagne, dass euch Menschen entgehen, die vermutlich unterschrieben hätten, aber gerade nicht draußen unterwegs sind?

Es macht die Sache auf jeden Fall schwieriger, na klar. Die ganzen Großveranstaltungen fallen weg, und es ist generell schwieriger, draußen mit Menschen ins Gespräch zu kommen, alle sind mehr zuhause. Aber wir glauben durch diese sehr guten Strukturen, die innerhalb der letzten Monate in den Kiezteams aufgebaut wurden, ist das trotzdem total machbar. Die Menschen müssen einfach mehr in ihrem Kiez erreicht werden statt an Arbeitsplätzen oder am Campus.

Im Hochschulbereich wäre es natürlich trotzdem toll, wenn die Bibliotheken nächstes Semester wieder öffnen, sodass man dort sammeln kann. Den erhofften Vorteil, dass aus einer Vorlesung 900 Leute rauskommen, die man dann ansprechen kann, kann man jetzt natürlich nicht ausspielen, wenn es ein weiteres Onlinesemester gibt… aber wir sind trotzdem zuversichtlich, dass wir das gut schaffen.

Wenn ihr jetzt mit Studierenden sprecht, wie würdet ihr ihnen begründen, dass diese Kampagne sie betrifft und ihre Interessen berührt?

Erstmal ist das Thema Wohnraum für alle total wichtig, das ist ja eine existentielle Frage. Gerade Studis sind häufig von prekären Wohnsituationen betroffen, und haben nur ein sehr geringes Einkommen über Bafög oder 450 €-Minijobs. Daraus resultiert, dass Studis häufig über die Hälfte des zur Verfügung stehenden monatlichen Einkommens für überteuerte WG-Zimmer ausgeben müssen. Ein WG-Zimmer in Berlin kostet zurzeit anscheinend durchschnittlich 500 € warm im Monat, wenn man aktuell auf WG-gesucht unterwegs ist. Und wenn ein Studijob ungefähr 450€ im Monat einbringt, geht das natürlich gar nicht, so viel auszugeben.

Dazu kommt jetzt noch, dass wegen Corona viele Studis gerade ihre 450€-Jobs verloren haben, und häufig nicht von Kurzarbeitsregelungen profitieren. Zum Beispiel in der Gastronomie können sie dann gerade nicht arbeiten und verdienen auch kein Geld mehr, was die Lage natürlich noch verschlimmert. Wenn man jetzt gerade in einem kleinen WG-Zimmer wohnt, hat man zudem auch nicht viele andere Orte, an denen man Zeit verbringen kann, weil zum Beispiel am Campus alles geschlossen ist. Zu wenig Wohnheimplätze gibt es auch. So gesehen ist Wohnraum gerade für Studis einfach ein problematisches Thema.

Darüber hinaus würden wir schon sagen, dass es uns mit dieser ganzen Organisation an den Hochschulen auch darum geht, Studierenden eine Möglichkeit zu geben, die eigene politische Selbstermächtigung voranzutreiben und zusammen zu lernen, wie man sich organisiert, um bestimmte Ziele zu erreichen. Wir glauben, das ist gerade jetzt mit dem wichtigen und aktuellen Thema, und der Möglichkeit, sich zu vernetzen und Workshops zu politischer Mobilisierung zu machen, eine total gute Erfahrung, die Studis in der Kampagne machen können.

Das wird ja auch in der Studierendenvertretung der FU gerade diskutiert, wie man Leute aus der Krise heraus politisch mobilisiert und zum Aktivismus anleitet – ihr seht euch also auch als Teil eines größeren Versuchs, Studis wieder zu politisieren und anzuregen, sich einzubringen?

Ja, auf jeden Fall. Gerade das Thema Wohnraum hat ein großes Politisierungspotenzial. Es gibt ja häufig bestimmte Studiengänge, von denen man sich denkt, es ist vielleicht einfacher, Leute zu politisieren oder für bestimmte Themen zu erreichen; aber wir glauben, das Thema Wohnen und die Deutsche Wohnen & Co. enteignen-Kampagne sind für sehr viele ein einfacher, zugänglicher Einstieg in politische Arbeit.

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