Top Gun: Maverick – Sensationskino par excellence

Was passiert, wenn ein Filmstudio einem wahnsinnigen Hollywoodstar erlaubt, sich in einen 70 Millionen Dollar teuren Kampfjet zu setzen und halsbrecherische Manöver mitzufliegen? Die Antwort liefert Oliver Koch in der Kritik zu Top Gun: Maverick.

Tom Cruise als Captain Pete “Maverick” Mitchell in Top Gun: Maverick. Foto: Paramount Pictures

Im Juli 1985 pflanzte Regisseur Tony Scott ein paar Schauspieler in das Cockpit mehrerer mit Kameras ausgestatteten F-14-Jäger und ließ Pilot*innen der US Navy einige Kampfmanöver fliegen. Denn für Top Gun, der kurze Zeit später zu einem der kultigsten Filme der 1980er-Jahre avancieren würde, wollte der britische Filmschaffende das höchstmögliche Ausmaß an Authentizität auf die Leinwand verfrachten. Das Resultat war jedoch enttäuschend, denn die kostspieligen Aufnahmen waren nicht zu gebrauchen. Die Darsteller waren die körperlichen Eskapaden nicht gewohnt, sodass sie das Bewusstsein verloren oder die Fliegerkabine mit ihrer letzten Mahlzeit besprenkelten. Drum kamen Tom Cruise und Produzenten-Urgestein Jerry Bruckheimer auf die Idee, mit Top Gun: Maverick drei Jahrzehnte später eine Fortsetzung zu drehen und dieses Mal alles richtig zu machen. Was dabei entstanden ist, erweist sich als Sensationskino der Superlative.

Klappe zu, Triebwerk an

Im Deckmantel der Nostalgie erzählt Top Gun: Maverick eine archetypische Story, die nur so vor altbekannten Banalitäten strotzt. Rund 30 Jahre nach den Ereignissen aus dem Erstling arbeitet Captain Pete „Maverick“ Mitchell (Tom Cruise) als Testpilot für die US Navy. Seine Tage als Kampfpilot gehören der Vergangenheit an, doch wird er alsbald durch seinen einstigen Weggefährten Tom „Iceman“ Kazanski (Val Kilmer) zurück zur US Navy Fighter Weapons School, auch Top Gun genannt, beordert. Seine Aufgabe lautet, ein Team an jungen Pilot*innen für einen Angriff auf eine unterirdische Atomanlage auszubilden. Eine Mission, die selbst dem alten Fliegerass unmöglich scheint.

Die Handlung entpuppt sich rasch als eine in Patriotismus getränkte Geschichte nach Schema F, die wahrlich lachhaft wird, wenn beispielsweise Admiral Beau „Cyclone“ Simpson (Jon Hamm) den stets anonymen Feind lediglich als „Schurkenstaat“ bezeichnet. Womöglich handelt es sich hierbei um eine nachträgliche Änderung, die aufgrund Russlands Kriegs gegen die Ukraine vorgenommen wurde. Womöglich aber auch nur um eine faule Masche, die dem Publikum mit einem Augenzwinkern sagen soll: Die Story ist euch doch egal, ihr seid für die Action hier.

Action, die nachhallt

Damit seine werten Kolleg*innen nicht dasselbe Schicksal ereilte wie die Darsteller*innen des Vorgängers, jagte Tom Cruise alle an den Flugszenen beteiligten Schauspieler*innen durch ein knallhartes Training: „Wir waren alle Mini-Toms, als wir den Film machten. Er jagte uns durch das … Ich nenne es einfach das Tom-Cruise-Boot-Camp“, erklärte Miles Teller im Gespräch mit Total Film. Kurz vor seinem erzwungenen Ruhestand als waschechter Action-Star züchtet Tom Cruise demnach die nächste Generation an todesmutigen Selfmade(wo)men heran.

Dabei zahlt sich der Größenwahn des 59-Jährigen, wie für Tom-Cruise-Filme gewohnt, in den Action-Sequenzen aus. Die akrobatischen Flugmanöver besitzen eine hypnotische Ästhetik, die einen durch den audiovisuellen Bombast vollends in den Bann zieht. Wird bei einem der Flieger der Nachbrenner gezündet, drückt einen die äußert nuancierte Soundkulisse ebenso in den Sitz wie die Soldat*innen hinter dem Steuerknüppel. Top Gun: Maverick ist ein perfekt inszenierter Wirbelsturm aus Power, Pathos und Pathetik. Der wilde Ritt eines Wahnsinnigen, der sich wieder einmal als grandios in Szene gesetztes Action-Feuerwerk entpuppt.

Dauerbrenner mit Beiklang

Allerdings suhlt sich der Streifen derart in Nostalgie, dass er an manch einer Stelle glatt in ihr zu ertrinken droht. Bereits in den ersten Minuten, in denen schlichtweg das Opening des ersten Films rekreiert wird, drückt das Sequel seinem Publikum die Nostalgie-Brille mit dem Presslufthammer ins Gesicht. Ausstaffiert mit Popsongs der 1980er, selbstreferenziellen Momenten und Bildern, die der muskelbepackten Crew wie durch einen Instagram-Filter einen goldbraunen Teint verleiht, erscheint Top Gun: Maverick wie ein zweistündiges Werbevideo für die US Navy. Kitsch und Pathos triefen hier aus den Löchern wie der Treibstoff eines im Gefecht getroffenen Kampfflugzeugs. Mit ein paar One-Linern versucht der Film zudem einige humoristische Kapriolen zu schlagen, doch entpuppen sich diese in den meisten Fällen als Bruchlandung. Top Gun: Maverick ist demnach ein Sammelsurium an Fanservice, das die Herzen der Nostalgiker höherschlagen lässt, alle anderen Kinobesucher*innen womöglich mit den Szenen abseits der Action verliert.

In einer Szene richtet sich Admiral Cain (Ed Harris) an Maverick und sagt, dass der niemals kleinzukriegende, sich den Befehlen widersetzende Kampfpilot zu einer aussterbenden Art gehört. Ironischerweise steckt in dieser bedeutungsschwangeren Phrase eine Binsenwahrheit, die sogar die Fiktion überschreitet: Tom Cruise ist der letzte wahre Action-Star Hollywoods. Im Zeitalter der Computer Generated Imagery sträubt er sich wie kein anderer gegen den Einsatz von Stuntdoubles und die Verwendung von computeranimierten Effekten, sodass er und seine Leinwandpersona förmlich miteinander verschmelzen. Das Militär sagt: Nein. Maverick sagt: Doch! Das Filmstudio sagt: Nein. Tom Cruise sagt: Doch! Und am Ende des Tages triumphiert der kleine Mann über das große System.

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