Aus dem Rahmen gefallen

Prüfungen beliebig oft wiederholen war gestern, Zwangsberatungen sind heute. Die FU will das Berliner Hochschulgesetz mit besonderer Härte umsetzen. Die geplante Rahmenprüfungsordnung wird alle betreffen und sorgt für Wut bei Studierenden. Von Rani Nguyen und Max Krause

Werden Prüfungen künftig nach einer bestimmten Anzahl von Versuchen nicht geschafft, droht die Exmatrikulation. Illustration: Kelsey Bass

Es ist ein großer Stein, der Linda (Name geändert) am Anfang dieses Semesters vom Herzen gefallen ist. Endlich bekam sie ihr Klausurergebnis: 3,0. Bestanden. Im vierten Anlauf.

Die Vorlesung Analysis III hat Linda schon vor einem Jahr besucht. Sie gilt als eine der schwierigsten Veranstaltungen im Mathestudium. Linda fiel durch die Haupt- und Nachschreibeklausur – bei Durchfallquoten von mehr als 50 Prozent kein Einzelfall. Erst zwei Semester später konnte sie die Vorlesung wiederholen. Bei einem weiteren Fehlversuch hätte sie ihren Bachelor nicht in der Regelstudienzeit geschafft – das wäre das Ende ihres unverzinsten Bafögs gewesen. Der Druck zu bestehen war groß. Mit ihm wuchs auch Lindas Unsicherheit.

Nur noch drei Prüfungsversuche

Nun soll der Druck noch weiter steigen. Der Grund dafür ist das im Frühjahr 2011 überarbeitete Berliner Hochschulgesetz, das den Unis die Einführung einer zentralen Rahmenstudien- und Prüfungsordnung (RSPO) vorschreibt. An der FU ist ein Entwurf durchgesickert, der drastische Änderungen im Studierendenalltag vorsieht: Prüfungen dürfen nur noch zweimal wiederholt werden – universitätsweit. Sonst folgt die Exmatrikulation. Schon nächstes Semester könnte es so weit sein. Wäre die RSPO bereits in Kraft, hätte Linda ihr Studium abbrechen müssen. Ein Schicksal, das vielen Studierenden droht.

Warum aber beschränkt die FU die Anzahl der Prüfungswiederholungen derart drastisch? Laut Berliner Hochschulgesetz dürfen Prüfungen „grundsätzlich mindestens zweimal“ wiederholt werden, nach oben gibt es keine Vorgabe. FU-Präsident Professor Dr. Peter-André Alt wollte FURIOS dazu keine persönliche Stellungnahme abgeben. Durch seinen Pressesprecher ließ er ausrichten, dass die FU sich noch nicht auf eine konkrete Zahl festgelegt habe. Allerdings gebe das Berliner Hochschulgesetz zwei Wiederholungen in „gewisser Weise“ vor und auch die anderen Berliner Universitäten würden zwei Wiederholungsversuche in ihren Prüfungsordnungen festlegen.

Dass das Präsidium bei der anstehenden Entscheidung im Akademischen Senat (AS) von diesen zwei Wiederholungsversuchen nicht abrücken wird, davon ist Philipp Bahrt überzeugt. Er ist Sozialreferent des AStA FU und hält die RSPO in ihrer derzeitigen Form für inakzeptabel. „Es gibt keine Zahlen, die belegen, dass Studierende länger studieren, wenn Prüfungen beliebig oft wiederholt werden dürfen“, sagt Bahrt. Die RSPO werde Studierenden mit Prüfungsangst wie Linda nicht gerecht und baue damit erheblichen Druck auf.

Verpflichtende Beratung nach drittem Semester

Die geplante Studienberatung nach dem dritten Semester sorgt ebenso für Furore. Dem Berliner Hochschulgesetz zufolge „kann“ die RSPO eine verpflichtende Teilnahme vorsehen – sie muss es aber nicht. Laut des aktuellsten Entwurfs vom 15. Mai wird im dritten Semester allen eine optionale Beratung angeboten. Studierende, die allerdings nach der Hälfte der Regelstudienzeit weniger als ein Drittel aller Leistungspunkte erreicht haben, müssen zur Studienfachberatung. Offenbar verspricht sich das Präsidium durch dieses Vorgehen die Zahl der Studienabbrecher zu verringern.

Eine verpflichtende Beratung gehöre abgeschafft, findet Bahrt. „Diese Regeln könnten missbraucht werden“, sagt er. Am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften habe er erlebt, dass Studierenden in solchen Gesprächen zu strenge Auflagen gemacht worden seien. Aus Unwissenheit hätten sich die Studierenden nicht gewehrt.

Anwesenheitspflicht kommt wohl nicht

Am Status quo der Anwesenheitspflicht soll laut Präsidium nicht gerüttelt werden. Die RSPO sieht vor, die Fachbereiche darüber entscheiden zu lassen.

Angesichts der genannten Pläne fordern Studierende Mitbestimmung bei der Erstellung der RSPO. In einer einstimmig verabschiedeten Resolution des Studierendenparlaments heißt es: „Eine Einbeziehung oder Information Studierender war zu keinem Zeitpunkt gegeben.“ Das Präsidium widerspricht: Dies sei an verschiedenen Stellen geschehen. „So ist die Kommission für Lehrangelegenheiten zur Hälfte mit Studierenden besetzt“, schreibt der Präsidiumssprecher. Außerdem seien Empfehlungen des Runden Tisches aus dem Jahr 2010 berücksichtigt worden.

Doch laut Ronny Matthes, studentisches Mitglied im AS, ist der Einfluss der Studierenden in den Gremien stark begrenzt. „Im Akademischen Senat sitzen vier Studierende, aber 13 Professoren. Und der Runde Tisch und die Kommission für Lehrangelegenheiten sind ohne Beschlussfähigkeit“, sagt Matthes. Die Studierenden in den Gremien könnten lediglich Empfehlungen aussprechen. „Bisher wurde in der RSPO allerdings nichts von den Studierenden aufgenommen“, sagt er. In der Sitzung des AS am 23. Mai waren neben den eigentlichen Mitgliedern mehr als 100 Studierende anwesend, die sich in die Diskussion einbringen wollten. Auf die Anliegen und Fragen ging das Präsidium allerdings kaum ein, am Ende wurde das studentische Mikrofon abgeschaltet.

Bisher nur ein Arbeitsentwurf

Bis jetzt ist alles ein Entwurf, der noch vom Akademischen Senat verabschiedet werden muss. Bis dahin stelle er keine Diskussionsgrundlage dar, so das Präsidium. Wenn er offiziell eingereicht wurde, dürften auch Studierende mitdiskutieren. Dies soll in der Sitzung am 20. Juni geschehen. Einige Studierende haben bereits angekündigt, die Verabschiedung der RSPO mit allen Mitteln verhindern zu wollen.

Linda wird die Auswirkungen der RSPO nicht mehr zu spüren bekommen. Sie will im Sommer, am Ende ihres sechsten Semesters, ihre Abschlussarbeit einreichen und ihren Bachelor beenden. Sie wird in der Regelstudienzeit fertig. Obwohl sie mehr als drei Versuche für eine Prüfung gebraucht hat.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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