Schmökerzeit Teil III – Ein Politthriller mit „radikalem“ Suchtpotenzial

Es gibt nur wenige gute Thriller, die in Deutschland spielen. Einer aber ist jetzt erschienen. Er handelt von Fremdenhass, Islamismus und einer Bombe im Berliner Regierungsviertel. Florian Schmidt hat ihn gelesen.

Islamistischer Terror erreicht Deutschland! Abgeordneter stirbt bei Anschlag im Regierungsviertel! Al-Qaida bekennt sich zu Bombenattentat in Berlin! – Zugegeben, solche Schlagzeilen wirken im Kontext der jüngst entdeckten Bedrohung durch rechtsextreme Terrorzellen wie dem NSU etwas realitätsfern. In Yassin Musharbashs Thriller „Radikal“ aber bringen sie präzise auf den Punkt, um was es in seinem Debütwerk geht: die Angst vor dem islamistischen Terror und das damit verbundene Misstrauen gegenüber Muslimen in Deutschland. Jedoch der Reihe nach.

Für Lutfi Latif könnte es kaum besser laufen. Der Grünen-Politiker ist frisch in den Bundestag gewählt worden und engagiert sich besonders in der Integrationspolitik. Doch dafür erntet er nicht nur Lob. Besonders in der muslimischen Szene ist er wegen seiner liberalen Positionen umstritten.

Das weiß auch die Kreuzbergerin Sumaya, als sie bei dem Abgeordneten eine Stelle als Assistentin annimmt. Durch die extremen Ansichten ihres strenggläubigen Cousins erfährt sie schnell, dass Lutfi Latif zwischen mehreren Fronten steht. Schon bald gerät ihr neuer Chef ins Fadenkreuz radikaler Gruppen.

Die Situation eskaliert, als er vor laufender Kamera Ziel eines Bombenanschlages wird. Lutfi Latif stirbt, al-Qaida übernimmt die Verantwortung für das Attentat, alles scheint auf den ersten Blick klar zu sein: Das islamistischen Terrornetzwerk fühlt sich von dem westlichen Vorzeigemuslim verraten und hat Rache geübt.

Für Sumaya aber werfen sich unzählige Fragen auf. Gemeinsam mit dem Islamexperten Samuel Sonntag versucht sie Licht ins Dunkle zu bringen. Nicht zuletzt Samuel verstrickt sich dabei in ein undurchdringliches Netz verschwörerischer Kreise, die mit Islamismus nicht den Hauch zu tun haben. Auf der Suche nach dem wahren Hintergrund des Anschlages riskiert er bei Undercover-Missionen Kopf und Kragen.

Als wäre das nicht genug, mischen zudem auch noch die Politik-Redakteurin Merle und der korrupte Kriminalkommissar Dengelow in den Ermittlungen mit – jeweils mit gänzlich verschiedenen Ansprüchen, was das Verfolgen heißer Spuren angeht.

Yassin Musharbash erzählt in seinem Debüt einen der spannendsten Politthriller der jüngsten Zeit. Das beschriebene Szenario wirkt zunächst verrückt. Doch je länger man liest, desto realistischer erscheinen die Ideen des Autors. Gerade deshalb fällt es mit zunehmender Seitenzahl immer schwerer, das Buch aus der Hand zu legen.

Besonderen Lesespaß hat, wer sich in Berlin und Umgebung auskennt. Von Villen in Dahlem bis zu Internetcafés in Kreuzberg, von Redaktionsgebäuden in Mitte bis zu herrschaftlichen Anwesen in Potsdam – wer über die entsprechende Ortskenntnis verfügt, den zieht „Radikal“ noch einmal mehr in seinen Bann.

Interessant sind zudem die Eindrücke, die Musharbash nur am Rand der Geschichte vermittelt. So erfährt der Leser etwa, wie die Arbeit in der Redaktion eines großen Nachrichtenmagazins aussieht oder er lernt, mit welchen Problemen ein Kommissar auf seiner Dienststelle zu kämpfen hat.

Trotzdem verliert der Autor dabei nie den Kern der Geschichte aus den Augen, die sich um den Islam, Fremdenhass und Extremismus dreht, und nicht spannender sein könnte. „Radikal“ sind in diesem Buch nicht nur die Milieus, von denen es handelt – radikal ist vor allem das Suchtpotenzial, das dieser Thriller bietet.

Radikal
Autor: Yassin Musharbash
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
Preis: 14,99 Euro

Alle weiteren Teile der Literaturserie „Schmökerzeit“ gibt es hier.

Autor*in

FURIOS Redaktion

Unabhängiges studentisches Campusmagazin an der FU seit 2008

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